„The Hare & Hounds“ – aus Nova Scotia

reblogged vom Oktober 2015

Die einzige Insel auf dem Second Christopher Lake in Nova Scotia/Kanada wurde für zwei Wochen mein Domizil.
Es war eine glückliche Notlösung, nachdem das geplante Zelten im Nationalpark Kejimkujik schief lief, weil dies mit vielen Umständlichkeiten und mit langer Voranmeldung verbunden ist. Kurzfristig mussten wir einen anderen See finden. In unserer gemeinsamen Verlegenheit fuhren meine Freunde mich zu zwei uns unbekannten Seen, zwischen denen ein Campingplatz liegt. Sie luden mich ab und entließen mich in die Freiheit.

Seenebel – Foto: © Ullrich Wannhoff
Früher Seenebel zieht auf – Foto: © Ullrich Wannhoff

Gleich paddelte ich fluchtartig und schnellstmöglich von dem Campingplatz weg, wo ein Wohnwagen sich an den anderen reiht und lärmendes Menschengewirr noch Hunderte Meter weit über dem See zu spüren war. Dann endlich war ich außer Sichtweite der Zivilisation und hatte noch vier Stunden Zeit, einen passenden Zeltplatz zu finden, bevor die Sonne untergeht.

Mein Boot auf der Insel Foto – © Ullrich Wannhoff
Mein Boot auf der Insel, die mich 14 Tage beherbergt – Foto: © Ullrich Wannhoff

Ich steuerte am Anfang eine Insel an, die mir vordergründig ins Auge fiel. Mit dem steinigen Untergrund war ich nicht so zufrieden. So paddelte ich weitere Buchten ab, die alle nicht in Frage kamen. Entweder war der Boden viel zu feucht oder weiter drin im Wald viel zu holprig. Moose und Flechten überziehen große und kleine Steine und ergeben keine ebene Fläche für das Zelt.

Insel im morgendlichen Nebel – Foto: © Ullrich Wannhoff
Meine Insel im morgendlichen Nebel – Foto: © Ullrich Wannhoff

Also zurück zur Insel, die etwa hundert Meter lang und vierzig Meter breit ist und auf der Kiefern, Fichten, Birken und verfilzte Sträucher wachsen. Ich finde einen flachen, großen Stein aus der Eiszeit, den einst ein kilometerdicker Eispanzer schliff und hobelte. Die Größe der Grundfläche ist wie geschaffen für das Zelt. Mit anderen Steinen, anstatt Heringen, kann ich meine Unterkunft fixieren. Auf der westlichen Seite habe ich die herrlichen Sonnenuntergänge und auf der anderen Seite die Aufgänge. Beide färben sich in dieser Zeit meist rot, wie das Blut erlegten Wildes, das zur Jagdzeit fließt.

Roter Sonnenuntergang – Foto: © Ullrich Wannhoff
Einer der vielen roten Sonnenuntergänge – Foto: © Ullrich Wannhoff

In tagelangen Erkundungen entdecke ich Jagdwege, Tierpfade von Weißwedelhirschen, bewohnte Biber-Baue und da und dort manche Vogelarten, die leider recht rar bleiben. Unendlich viele Steine schauen nicht nur aus dem torfhaltigen See, sondern befinden sich unsichtbar unter der Wasserfläche. Der Untergrund meines schönes roten Gummibootes verliert die Farbe. An fast jedem Stein schürfe ich an, es ist, als würde man mit Sandpapier die Farbe abschleifen.

In einer Steinritze bereite ich mein Essen zu – Foto: © Ullrich Wannhoff
In einer Steinritze bereite ich mein Essen zu – Foto: © Ullrich Wannhoff

In einer Steinritze lege ich mit dünnen Kiefernzweigen und Birkenrinde ein kleines Feuerchen an für Tee zum Frühstück und Abendbrot. Für mich, der mehr das subarktische Klima gewohnt ist, sind die Temperaturen zwischen 30-40°C eine Qual.

Sonntag, der 13. September – Foto: © Ullrich Wannhoff
Das war Sonntag, der 13. September – Foto: © Ullrich Wannhoff

Endlich gibt es einen Regentag. Es ist der Dreizehnte, aber nicht Freitag, sondern Sonntag. Zuerst kommt Nieselregen von den feuchten Wolken herunter, der sich zwar wie Nebel anfühlt, aber nicht wie an anderen Tagen in Sonnenschein übergeht. Ich wanderte um den oberen, kleineren Third Christopher Lake und entdecke eine Jagdhütte mit der witzigen Türüberschrift „The Hare & Hounds“. Bin ich der Hase oder ein Jagdhund?

Überraschend finde ich eine versteckte Jagdhütte – Foto: © Ullrich Wannhoff
Überraschend finde ich eine versteckte Jagdhütte – Foto: © Ullrich Wannhoff

Hier trinke ich in Ruhe meinen Tee und habe das Gefühl, der Regen hört nicht mehr auf. So bleibt mir nichts weiter übrig, als bei der Nässe zurück zum Boot zu laufen. Vorher nehme ich mir aus der Jagdhütte noch eine Cellophantüte, um meine Fotoausrüstung in der Fototasche vor Nässe zu schützen. Unterwegs sehe ich rote Bändchen an den Bäumen, die mir den Weg zeigen. So laufe ich diesen hinterher, anstatt am Seeufer mit den hohen Sträuchern zurück zu gehen. Jetzt führt der Weg mit den roten Fähnchen immer weiter weg vom See. So ein shit!

Ein gut organisierter Haushalt! – Foto: © Ullrich Wannhoff
Ein gut organisierter Haushalt! – Foto: © Ullrich Wannhoff

Ich biege ab in Richtung See. Feuchtwiesen und große, nasse Erlensträuchern erschweren das Laufen. Der Himmel liegt tiefgrau, und Wasser über mir, unter den Füßen morastige Gründe und an den Seiten die klitschnassen Sträucher – und kein Ende abzusehen.
Im Hintergrund sehe ich etwas Helleres durchleuchten. Ja, das muss die Lichtung sein, wo sich der See befindet. Fehlanzeige. Laufe weiter und stehe an einer markanten Fichte, die ich schon mal vom Ufer aus gesehen hatte. Weit kann es nicht mehr sein. Der Himmel ist nicht nur grau, sondern wässrig, wie schmutzige Wäsche. Ich habe keine Ahnung, welche Richtung ich einschlagen soll. Hier werde ich zum hilflosen Hasen und weiß von nichts. Alle Himmelsrichtungen sind von gleicher Farbe. So bleibt mir nichts anderes übrig als zu laufen, laufen und nochmals laufen – bis irgendwann ein Weg kommt, der mich in die Zivilisation bringt – und wenn ich bei einem fremden Kanadier übernachten muss.

Schild über der Eingangstür der Jagdhütte – Foto: © Ullrich Wannhoff
Schild über der Eingangstür der Jagdhütte – Foto: © Ullrich Wannhoff

Ich habe mich im Kreis bewegt und komme wieder an einem Holzeinschlag vorbei, wo Forstfahrzeuge ihre Spuren hinterlassen haben und mir die Richtung anzeigen. Mehrere Wege gehen davon ab. Ich laufe einen davon entlang, den ich später wieder erkenne – an Fähnchen, Bierbüchse, einen alten Kartoffelsack usw. – den ich vor Tagen schon mal abgelaufen bin. Ich atme tief durch, und mein Jagdgespür ähnelt jetzt dem eines Hundes. Naja, nur noch zwei Stunden bis zum Boot.

Das Regenwasser füllt meine leeren Wasserkanister und den Teetopf – Foto: © Ullrich Wannhoff
Das Regenwasser füllt meine leeren Wasserkanister und den Teetopf – Foto: © Ullrich Wannhoff

Meine Insel ist unsichtbar im dicken Grau verschwunden. Doch auf dem Wasser bin ich mir sicherer, und nach einer halben Stunde Paddeln kann ich anlegen, nach unfreiwilligen zehn Stunden Wanderung. Schnell entledige ich mich meiner triefend nassen Sachen. Stehe nackt vor dem Zelt, strecke mich, bevor ich mich ins Trockene lege. Ich bereite mir heißen Tee und schreibe Tagebuch, und die Gedanken zwischen „Hare und Hounds“ bleiben auf der Strecke.

Weitere Kanada-Erlebnisse folgen demnächst.

Andere Paddelerlebnisse: Eröffnung der Paddelsaison von Berlin nach Kamtschatka
Das süße Spreewasser fließt in den Dämeritzsee – Sonnige Tierbeobachtungen.

Über meine Paddeltouren in Kamtschatka: „Ust-Kamtschatsk – Geflügeltes an der Mündung des Flussess“ und „Bis zum Stillen Ozean und weiter„.
In meinem Buch „
Der stille Fluss Kamtschatka“ kann man erfahren, was ich auf einer 400 km langen Paddeltour auf dem Kamtschatka-Fluss noch alles erlebte – und was mich dort bewegte.

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