Frühe Berichte über Nordamerika
Vor 200 Jahren war in Deutschland das Wissen über Nordamerika begrenzt. Frühe Berichte über den entfernten Kontinent stammten etwa von Hessischen Söldnern in Diensten der Briten aus Nova Scotia – unter ihnen Johann Gottfried Seume, der später als Schriftsteller berühmt geworden ist; von Missionaren, zum Beispiel von den Herrnhutern in Labrador im Nordosten des heutigen Kanada; oder von Naturforschern wie Adelbert von Chamisso, der an der Rurik-Expedition von Otto von Kotzebue teinahm, die u.a. nach dem heutigen Alaska führte. Die Berichte behandeln Themen wie die Tier- und Pflanzenwelt, sie beschreiben die Landschaften, das Klima und die dort lebenden indigenen Völker: Mi’kmaq, Inuit und Inupiat.
In diesen Tagen jähren sich die Geburtstage von Johann Gottfried Seume (29.1.1763), dem Herrnhuter Missionar Benjamin Gottlieb Kohlmeister (13.2.1756) und Adelbert von Chamisso (30.1.1781), die von ihren Reisen nach Nordamerika mit erstaunlich nicht-kolonialem Blick berichtet hatten und deren „Reisewerke“ auch mit einem Abstand von rund 200 Jahren überaus lesenswert sind.
Für Seume, der 1782/83 in Halifax stationiert war, waren die Mi’kmaq „sogenannte Wilde“, denn er legte Wert auf die Unterscheidung dessen, was über sie erzählt wurde, von dem, was er selbst mit ihnen erlebt hatte. Er schätzte ihre Freundlichkeit, ihren Anstand (festgehalten in seinem berühmten Gedicht „Der Wilde“) wie auch ihre Fertigkeiten: „… Sie kamen gewöhnlich zur See, in ihren bekannten Booten von Birkenrinde, die meisterhaft gebaut waren und die sie mit ihren kleinen Rudern ebenso meisterhaft zu führen verstanden. Die englischen Matrosen, die es ihnen nachtun wollten, verloren sehr oft das Gleichgewicht und fielen in die See, worüber denn die Indier und über das europäische schwerfällige Schwimmen recht herzlich lachten. Sie machen mit diesen Booten große Küstenreisen und stechen damit außerordentlich weit in die See.“
Kohlmeister und sein Missionarskollege Johann Georg Kmoch waren 1811 die ersten Europäer, die unter Führung und Begleitung von 20 Inuit den nördlichen Teil Labradors umrundeten.
Das Schiff gehörte dem Inuk Jonathan, der mit seiner Mannschaft die Missionare auf ihrer Erkundungsreise führte. Dank der langjährigen Erfahrungen der Inuit beim Befahren der schwierigen Gewässer um Labrador und der Sprachkenntnisse von Kohlmeister und Kmoch war die gemeinsame Expedition erfolgreich.
An der Expedition von Kotzebue auf der „Rurik“ nahmen neben dem Kapitän und Chamisso zwei weitere Deutschstämmige teil, der Schiffsarzt und Zoologe Johann Friedrich Eschscholtz und der Expeditionsmaler Ludwig Choris.
Die Expedition ist gut dokumentiert, da es neben Kotzebues Expeditionsbericht eine Art Gegendarstellung Chamissos gibt. Beide Bücher enthalten Zeichnungen von Choris, die die Reisebeschreibungen lebendig illustrieren und frei von Diskreditierung der „Wilden“, aber auch von Romantisierung und Verklärung sind. Durch Zufall wurde Choris‘ verlorengegangenes Tagebuch 1986 in einer Pariser Bibliothek entdeckt; es ergänzt nun die Berichte von Kotzebue und Chamisso auf wunderbare Weise.
In allen drei Büchern spielt der 8. August 1816 eine besondere Rolle, da unter diesem Tag ein bis dahin kaum bekanntes Phänomen im Kotzebue Sound beschrieben wurde: Permafrost. Chamisso führte dazu aus: „… daß in Asien und Amerika unter hohen Breiten das angeschwemmte Land nirgends im Sommer auftaut; … dasselbe bis zu einer großen Tiefe fest gefroren befunden worden ist und dass stellenweise das Eis, oft Überreste urweltlicher Tiere führend, als Gebirgsart und als ein Glied der angeschwemmten Formation vorkommt, mit vegetabilischer Erde überdeckt und gleich anderem Grunde begrünt… Wo aber die Erde den alten Kern zutage zeigt, da mögen andere Temperaturverhältnisse stattfinden und unter gleichen Breiten mit der Eisformation Quellen anzutreffen sein.“ Heute wissen wir, dass das in den letzten Jahren immer stärkere Tauen des Permafrosts ein trauriges Zeichen für die Erwärmung der Erde infolge menschlicher Aktivität ist.
Kotzebue hat freundlicherweise seine Mitreisenden bei der Namensgebung an Alaskas Küste bedacht: „Chamisso Island“, „Choris Peninsula“ und „Eschscholtz Bay“. Auch nach Kmoch und Kohlmeister wurden jeweils Inseln vor der Nordspitze Labradors benannt. Dem Dichter Seume aber sind in Übersee wohl noch keine Ortsbezeichnungen gewidmet worden.
Mehr hier: Seume – von Poserna über Halifax und Syrakus nach Teplice