Johann August Miertsching zum Gedenken

Dieser Beitrag wurde zuerst im März 2014 gebloggt, daher die Reminiszenzen an Winter und Frühling. Wir re-bloggen ihn aus Anlass des morgigen Geburtstages von Miertsching.

Dieser Tage können wir in ganz Deutschland viel Grün und farbige Blüten sehen – unzweifelhaft hat der Frühling bereits Einzug gehalten. Es fällt schwer, sich vorzustellen, dass heute vor 139 Jahren in der Oberlausitz das Thermometer unter -10°C anzeigte.
Der Winter von 1874/75 suchte die Oberlausitz in ungewöhnlicher Strenge heim. Bereits seit November hatte fast durchweg, mit nur wenigen kurzen Unterbrechungen, scharfer Frost geherrscht, der auch Ende März noch anhielt. Kein Frühling war in Sicht, als das Leben des damals noch nicht einmal 58-jährigen Johann August Miertsching am 30. März 1875 in Kleinwelka bei Bautzen überraschend zu Ende ging.

Als junger Mann wohnte Miertsching im Brüderhaus in Kleinwelka
Als junger Mann wohnte Miertsching im Brüderhaus in Kleinwelka

In Kleinwelka hatte der 1817 in Gröditz geborene und aufgewachsene Sorbe Miertsching seine Jugendjahre verbracht, hier hatte er das Schusterhandwerk erlernt und war als junger Mann in die Herrnhuter Brüdergemeine, eine protestantisch geprägte Religionsgemeinschaft, aufgenommen worden. 27jährig wurde er in den Missionsdienst berufen und reiste über London mit dem Segelschiff „Harmony“ nach dem Norden Labradors, in die Missions-Siedlung Okak.

Die Missionsstation Okak im Norden Labradors
Die Missionsstation Okak im Norden Labradors

Hier war Miertsching zunächst im Schuldienst tätig und begann sogleich Inuktitut, die Sprache der Inuit, zu lernen. Er unterrichtete die Kinder in Lesen und Schreiben, aber auch in Geografie und Musik; nach einiger Zeit hielt er auch Predigten in Inuktitut. Und natürlich war er, wie auch andere Missionare, mit den notwendigen Alltagsverrichtungen in dieser harschen subarktischen Umgebung befasst: etwa dem Anbau von Gemüse in Frühbeet und Garten, oder dem Herbeischaffen von Brennholz aus den bewaldeten Regionen weiter südlich.
Nach fünfjährigem Dienst in Labrador war Miertsching gerade erstmals auf Urlaub zu seiner Familie in Gröditz heimgekehrt, als er schon wenige Tage später die Anfrage für eine ganz andere Mission erhielt: Er sollte im Auftrag der britischen Admiralität als Dolmetscher eine Schiffsexpedition in die Arktis begleiten, um die seit drei Jahren auf der Suche nach der Nordwest-Passage verschollene Franklin-Expedition zu finden.

Die HMS Investigator in der Prince of Wales Strait, Nordwestpassage
Die HMS Investigator in der Prince of Wales Strait, Nordwestpassage

Die Einzelheiten über dieser Expedition auf dem Segelschiff HMS Investigator – die Beschwernisse durch Stürme, Eis und Kälte, die Entbehrungen, Hunger und Not, die unglaublichen Leistungen der Expeditionsteilnehmer, die sich, als ihr Schiff mehrere Winter im Eis eingefroren blieb, nach Gewaltmärschen durch die arktischen Einöden schließlich retten konnten, kann man im Reisetagebuch Miertschings nachlesen.

Titelblatt des Reisetagebuchs von J.A. Miertsching
Titelblatt des Reisetagebuchs von J.A. Miertsching

Über seine Leistungen und Verdienste bei der Expedition soll an dieser Stelle nicht gesprochen werden, aber wir wollen zumindest erwähnen, dass die überlieferten Aufzeichnungen der Seeleute und Offiziere an Bord der HMS Investigator und der Rettungsschiffe der Royal Navy dem sorbischen Schuhmacher und Missionar höchste Wertschätzung zuteil werden lassen. Er gehörte zu den auserwählten Seeleuten, die für aussergewöhnliche Leistungen die von Queen Victoria gestiftete „Arctic Medal“ erhielten.

Johann August Miertsching 1854
Johann August Miertsching 1854

Bereits zwei Jahre nach seiner glücklichen Rückkehr aus der Arktis verließ Miertsching die Oberlausitz wieder, nachdem er kurz zuvor geheiratet hatte. Diesmal bleib er für lange Zeit weg: 12 Jahre lang diente er in der Herrnhuter Mission in Südafrika, wo er in den Stationen Elim und Genadendal vorwiegend den Handel betreute – teils unter misslichen Umständen in einer wirtschaftlich schwierigen Zeit.

Missionsstation Genadendal, Südafrika
Missionsstation Genadendal, Südafrika

Von den sechs in Südafrika geborenen Kindern des Paares überlebten nur zwei Töchter; die älteste war, wie bei den Herrnhuter Missionaren üblich, bereits im Schulalter von den Eltern getrennt und in die Mädchen-Anstalt nach Kleinwelka geschickt worden.

Die Mädchenanstalt in Kleinwelka
Die Mädchenanstalt in Kleinwelka

1869 verließ Miertsching mit seiner Frau und der zweiten Tochter, damals gerade neun Monate alt, Südafrika und kehrte zurück nach Deutschland. Die Familie siedelte sich in Kleinwelka an und war so wieder vereint. Aus dem erträumten geruhsamen und glücklichen gemeinsamen Familienleben in der Heimat wurde jedoch nichts. Schon nach wenigen Monaten starb Miertschings Frau, die seit längerem gesundheitliche Probleme hatte. Glücklicherweise konnte Miertschings Halbschwester ihm in der Folgezeit bei Haushaltsführung und Kinderbetreuung unterstützen.

Grabstein von Miertsching auf dem Gottesacker in Kleinwelka

Die folgenden Jahre verbrachte Johann August Miertsching als Witwer in Kleinwelka – und boten ihm die gegebenen Umstände nicht viel Anlass zur Freude, so konnte er vielleicht etwas Zufriedenheit finden, wenn er von seinen im Ruhestand befindlichen Missionars-Kollegen aufgefordert wurde, von dem bedeutendsten Ereignis seines Lebens, der Reise in die Arktis und seinem Anteil an der Entdeckung der Nordwest-Passage, zu erzählen. – Miertsching wurde auf dem Gottesacker der Herrnhuter in Kleinwelka bestattet. Noch heute ist sein Grabstein dort erhalten. Seine Nachfahren leben weit verstreut in Kanada, den USA, den Niederlanden, in Surinam und in Deutschland.

Nachtrag vom März 2022: Wir freuen uns sehr, dass unser Buch „Weil ich ein Inuk bin. Johann August Miertsching – ein Lebensbild“ im Sommer 2022 im Berliner Lukas Verlag erscheinen wird.

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