Der vor genau 200 Jahren, am 25.6.1822, viel zu früh verstorbene Dichter, Komponist und Jurist E.T.A. Hoffmann hatte gute Freunde, unter denen ihm einige hin und wieder Inspirationen zu seinen phantasievollen Werken lieferten.
E.T.A. Hoffmann 1821
Zum Berliner Freundeskreis des Künstlers gehörte Adelbert von Chamisso, der sich im Juli 1815 auf eine Weltreise begeben hatte, die bis 1818 andauerte. Auf Empfehlung von Hoffmanns Freund Hitzig hatte man ihn als Naturforscher – Botaniker und Zoologe – für die russische Expedition auf der Zweimast-Brigg „Rurik“ unter dem Kommando von Otto von Kotzebue berufen.
Die Rurik bei der St. Paul Insel, Zeichnung von L. Choris
Die Rurik segelte zunächst von St. Petersburg nach Plymouth. Von dort sandte Chamisso 1815 einen Brief an Hoffmanns Freund Eduard Hitzig, ein geplantes Buchprojekt mit Hoffmann, Karl Wilhelm Salice-Contessa und ihn betreffend, das er nun nicht mehr beenden konnte. Von Plymouth aus reiste Chamisso – ähnlich wie 35 Jahre später Johann August Miertsching auf HMS Investigator – um Südamerika, von wo die Rurik allerdings Kurs auf Kamtschatka nahm. Seinem Freund Hoffmann hatte er die Idee zu einer skurrilen Erzählung im botanischen Umfeld hinterlassen, und nachdem Hoffmann sich drei Jahre später etwas fachkundig machte, entstand die Erzählung „Datura fastuaosa (Der schöne Stechapfel)“, die erst 1823 posthum veröffentlicht wurde.
Hoffmanns Grab auf dem Kirchhof Jerusalem-Neue Kirche III vor dem Halleschen Tor, Berlin
Als die Rurik Petropawlowsk (Kamtschatka) erreicht hatte, konnte Chamisso endlich wieder Briefe senden – und natürlich schrieb er an seinen Freund Hoffmann. Der dänische Leutnant Wormskiold hatte hier die Rurik verlassen – zu Chamissos Erleichterung, denn er hatte als „freiwilliger Naturforscher“ neun Monate lang Chamisso mit seiner Eifersucht gequält, ganz anders als der andere Naturwissenschaftler an Bord, Eschscholtz, mit dem Chamisso gut zurecht kam. Sicherlich bot die komplizierte Beziehung zwischen Wormskiold und Chamisso die Anregung für Hoffmanns satirische Erzählung Haimatochare, die er auf Oahu (Hawaii) spielen lässt.
Die Rurik segelte im Juli 1816 weiter in die Beringstraße, wo verschiedene Orte an den Küsten Alaskas nach Teilnehmern der Expedition benannt wurden: Kotzebue Sound, Eschscholtz-Bay und Chamisso-Insel. Die Berliner Freunde sahen Chamisso schon am Nordpol, wovon eine scherzhafte Karikatur Hoffmanns zeugt.
Karikatur Hoffmanns: “Schlemihl reist zum Nordpol und wird von demselben freundlich empfangen” – mit Schlemihl alias Chamisso
Jedoch kehrte die Rurik dem Polarmeer bald den Rücken und segelte nach Hawaii, von wo aus Chamisso wieder an Hoffmann schrieb. 1817 ging es nochmals nordwärts, jedoch ordnete Kotzebue bei den St. Lorenz-Inseln die Rückkehr an, und über die Südsee und das Kap der Guten Hoffnung erreichte das Schiff 1818, nach drei Jahren Fahrt, wieder Europa und Russland. Ganz anders die Investigator mit Miertsching. Sie lief 1850 ebenfalls Hawaii an und segelte dann über den Kotzebue Sound ins Eismeer, wo die Besatzung vier Winter verbringen musste – und wo sich das Schiff heute noch befindet. Ob Miertsching wohl jemals Chamissos Buch über die Weltumseglung oder gar Hoffmanns Erzählungen gelesen hat?
Denkmal für E.T.A. Hoffmann am Berliner Gendarmenmarkt
Zum 50. Todestag des Meteorologen und Polarforschers Dr. Johannes Georgi
Johannes Georgi (14.12.1888-24.5.1972) gehörte wie Alfred Wegener zu den Wissenschaftlern, deren Erkenntnisse erst Jahrzehnte später der allgemeinen Öffentlichkeit in ihrer Bedeutung bewusst werden. Er war der erste in Europa, der die sogenannten Höhenwinde, heute als Jetstream bekannt, beobachtete.
Georgi bei der Arbeit auf Station Eismitte, 1930/31
Gegenwärtig gibt es kaum seriöse Wetterprognosen, die nicht auf den aktuellen Verlauf des Jetstreams eingehen – aber ohne das dabei der Name Georgi fällt.
Die Station Eismitte auf dem grönländischen Inlandeis, 1930
Georgi hat an mehreren Expeditionen nach Island und Grönland teilgenommen. Wissenschaftlicher Höhepunkt war die Überwinterung in Grönland in der zeitweiligen Forschungsstation Eismitte mit seinen Kollegen Dr. Sorge und Dr. Loewe 1930/1931.
Georgi, Wegener, Sorge und Loewe 1930 vor der Überwinterung auf Grönland
Auf der Station in Grönland wurden erstmals ausgedehnte geophysikalische Messungen vorgenommen, doch der schwierige Verlauf der Expedition führte auch zum tragischen Tod von Professor Alfred Wegener im November 1930.
Sorge und Georgi während der Überwinterung 1930/31
Die Beziehung der drei Überwinterer nach der Expedition steht exemplarisch für die politische Situation nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933. Sorge denunzierte den Juden Loewe, der daraufhin in „Schutzhaft“ kam. Glücklicherweise gelang Loewe jedoch später die Emigration nach England, und er überlebte den zweiten Weltkrieg mit Frau und Töchtern in Australien. Georgi zeigte, anders als Sorge, menschliche Größe, blieb in Kontakt mit Loewe und verteidigte ihn gegen Angriffe der Nazis. Sie blieben in Kontakt bis zu Georgis Tod.
Georgi und Loewe während der Überwinterung in Eismitte 1930/31
Bei der Recherche zu unserem Buch über Johann August Miertsching stießen wir auf einen interessanten Brief Georgis an einen Urenkel Miertschings, in dem er auf eine erweiterte Neuauflage seines Buches „Im Eis vergraben“ von 1933 hinwies: „… ich habe für das Int. Geogr. Jahr 1957/8 das Buch durch Geophys. Einschübe u. Bilder erweitert, erschien 1955, Nachdruck 1957 bei F. A. Brockhaus Leipzig, ist dort sofort vergriffen gewesen und daher kaum in die BRD und ins Ausland gelangt. Leider hatte die DDR zu wenig Papier für einen vielfach gewünschten Neudruck.” Dieses Ausgabe ist heute nur noch selten antiquarisch zu erwerben – und wenn, dann zu einem deutlich höheren Preis als die Erstausgabe von 1933.
DDR-Neuausgabe, Brockhaus
Loewe veröffentlichte 1972 in der Zeitschrift „Polarforschung“ einen Nachruf auf Georgi, in dem er lobte, wie dieser unter teils extrem schwierigen Umständen seine wissenschaftlichen Arbeiten in der Arktis durchführte, und ihn zudem als einen „unermüdlichen Verfechter des Rechtes“ würdigte.
Polarphilatelistische Würdigungen des Wirkens von Georgi und Wegener
Vor 300 Jahren, am 5. oder 6. April 1722, erreichten drei Schiffe aus Europa eine weit abgelegene Insel im Pazifik, die man, da gerade Ostern war, Osterinsel nannte.
Die Osterinsel, wie Ludwig Choris sie fast 100 Jahre später (1816) sah
Die Schiffe standen unter dem Befehl des Niederländers Jakob Roggeveen. An Bord war jedoch auch ein junger Seemann aus Rostock, Carl Friedrich Behrens.
Carl Friedrich Behrens
„Ich war der Erste, der bey der Anlandung unserer Leute, die Insul mit seinen Füssen betrat“ schrieb er später in seinem Bericht „Reise durch die Süd-Länder und um die Welt“, der 1735 in Leipzig veröffentlicht wurde.
Titelblatt des Reiseberichts von Behrens
Die in polynesischen Sprachen als “Rapa Nui” bekannte Insel war bereits seit langem besiedelt. Wegen ihrer isolierten Lage erregte der unerwartete „Besuch“ der Fremden viel Aufsehen. Die Neuankömmlinge verstanden sich allerdings nicht als Gäste, sondern als Eroberer. Als immer mehr Neugierige herbei strömten und sie sich bedrängt fühlten, schoss man einfach auf die Inselbewohner. Behrens hielt fest: „Es wurden hier viele erschossen….; die Todten abzuholen, kamen sie Hauffen-weiß, und brachten von allen Früchten und Gewächsen Praesente mit, damit wir desto eher solten abfolgen lassen. Die Verwirrung dieser Leute war überaus groß: Ja ihre Kindes-Kinder werden inskünfftige allda wissen zu erzehlen.“
Bewohner von Rapa Nui, gezeichnet von Ludwig Choris
Das „Zeitalter der Entdeckungen“ war gleichzeitig das der gewaltsamen Kolonialisierung indigener Völker und ihrer Heimat, was uns als Nachfahren dieser „Entdecker“ noch sehr lange beschäftigen wird. Carl Friedrich Behrens bedauerte damals zumindest den Tod des Insulaners, der sie als erster freundlich begrüßt hatte: “… auch lag der Mann, welcher ehedem bey uns gewesen mit unter den Todten, welches uns sehr jammerte…“.
Karte der Osterinsel / Rapa Nui; Quelle: Wikipedia, by Sting
Von Behrens stammt auch die erste Beschreibung der Monumentalskulpturen, Moai genannt, die bis heute als das “Markenzeichen” von Rapa Nui gelten: „ … Götzenbilder, welche allda in einer grossen Menge am Strande aufgerichtet stunden; vor welchen sie niederknieten und sie anbeteten. Diese Götzen-Bilder waren alle aus Steinen gehauen, und der Form nach, wie ein Mensch, mit langen Ohren, oben auf dem Haupt mit einer Krone gezieret, doch alles nach der Kunst gemacht, worüber wir uns nicht wenig verwunderten.“
Frühe Darstellung von Moai
Die
markanten Tafeln mit den seltsamen Schriftzeichen, Rongorongo
genannt, erwähnte Behrens allerdings nicht, vermutlich hatte man sie
den Seeleuten nach deren „freundlichen Willkommensgrüßen“ gar
nicht erst gezeigt. Über die Herstellung der Skulpturen weiß man
inzwischen mehr, und über ihre Bedeutung gibt es verschiedene
Hypothesen. Die Rongorongos aber haben ihr Geheimnis bis heute
bewahrt.
Rongorongo
Behrens überlebte die Weltreise und ließ sich nach seiner Rückkehr nach Deutschland nicht mehr in seiner Heimatstadt, sondern in Nürnberg nieder, wo er vor 1750 starb.
Buch von Carl Friedrich Behrens, 1925, nach der Originalausgabe bearbeitet
Im Sommer wird unser neues Buch im Berliner Lukas Verlag erscheinen. Der Oberlausitzer Sorbe Johann August Miertsching war als Einziger aus Deutschland an der Entdeckung der legendären »Nordwestpassage« beteiligt. Wir folgten seinen Spuren um die halbe Welt, spürten bislang unbekannte Dokumente auf – und fanden einen Inuk. (“Inuk” = Inuktitut für “Mensch”). Mehr dazu unter der Rubik Miertsching.
Franz Fühmann, geboren am 15. Januar 1922 – vor 100 Jahren
In einem Land, das viel wunderbunter war als das Grau und das eindeutige Schwarz-oder-Weiß, das die darin sehen wollen, die heute gern die Deutungshoheit über die Geschichte geltend machen, begegneten wir einem der bedeutendsten deutschen Dichter und Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. So einige Male.
Meine erste Begegnung, mit 14: an einem sonnigen Herbsttag überbrückte ich die Zeit zwischen Unterrichtsende und Busabfahrt in der elterlichen Buchhandlung, wo sich mein Vater mit einem beleibten Herrn unterhielt, dessen etwas schäbig aussehender alter Rucksack mir auffiel, der augenscheinlich voller Bücher war; daneben stand ein Beutel voller Äpfel aus unserem Garten. Der Mann wurde mir als der Schriftsteller Franz Fühmann vorgestellt, der gleich mit dem Zug nach Berlin fahren würde. Im Deutschunterricht hatten wir einst ein Gedicht von ihm behandelt, “Der Apfelbaum”, und ich sagte ihm das. Daraufhin seufzte er und erzählte, daß schon einige Kinder an ihn geschrieben hatten wegen dieses Gedichtes, über das sie Aufsätze schreiben sollten: Was hat der Dichter damit sagen wollen, was hat er sich bei diesem Gedicht gedacht? Und seine Antwort war: Gar nichts habe ich mir dabei gedacht, als ich es geschrieben habe. Überhaupt nichts!
Wenige Jahre später erwarteten wir ihn zu einer Buchlesung. Ein Taxi kam, ein großer hagerer Mann stieg aus, zahlte, packte seine Reisetaschen und überquerte zielgerichtet die Straße – Franz Fühmann! Beinahe hätten wir ihn nicht erkannt: wo war seine Körperfülle geblieben? Tja, sagte er zu uns, ich bin dabei, mir das übermäßige Essen abzugewöhnen. Ich hab mir das Trinken abgewöhnt, das Rauchen, meine Partei habe ich mir abgewöhnt, und nun brauche ich mir bloß noch den sozialistischen Realismus abzugewöhnen. – Nach der Lesung aus “22 Tage oder das halbe Leben” gab es eine Diskussion, und jemand fragte ihn, warum er im Buch formalistische Spielereien betreibe. Fühmanns Antwort – verblüffend und ohne Umschweife: Weil’s mir Spaß macht! – Das Buch habe ich leider erst danach gelesen. Aber dann immer wieder.
Seine Streitgespräche mit meinem Vater sind mir in Erinnerung, über Dichtung, über Goethe, den mein Vater fast heilig hielt, und über Modernes, das er nicht gelten lassen wollte – und natürlich widersprach Fühmann ihm vehement.
Das ehemalige Refugium Fühmanns in Märkisch-Buchholz, für viele Jahre seine bevorzugte Arbeitsstätte
Berlin, Jahre danach: Er besuchte unsere kleine Familie. Wir erwarteten Gespräche über sein neues Buch, doch zunächst bevorzugte er es, im Kinderzimmer auf dem Fußboden liegend mit unserem Vierjährigen zu spielen. Später schrieb er uns eine Widmung in “Vor Feuerschlünden” – aber erst, nachdem er zuvor durch die Seiten geblättert und handschriftlich einige Fehler korrigiert hatte!
Erinnerungen: Märkisch-Buchholz, die “Wandzeitung” hinter seinem Schreibtisch, und die mit Einklebungen versehenen Manuskriptseiten neben der Schreibmaschine. Wie er vor Wieland Försters Skulptur “Paar” in seinem Garten vom Winkelmaß und Kreuzweg der Geschlechter sprach. Unser Staunen über die Garage voller Bücher. Und immer wieder Obst: Die Stiege voller Pfirsiche, die er auf unserem Weg zum Bahnhof in Königs Wusterhausen kaufte; die Erdbeeren, die meine Schwester ihm ins Krankenhaus brachte.
Noch mehr Erinnerungen: Seine bedachtsam ausgewählten Postkarten, deren Bildmotive immer zu seinen Mitteilungen passten. Die Lesung in der Akademie der Künste, wo er mich neben Marlies Menge plazierte. Die Lesung für unsere FDJ-Gruppe an der Humboldt-Uni, die urplötzlich verschoben wurde, wohl weil die “Sicherheitsorgane” ihr Veto eingelegt hatten – wegen Bedenken über zuviel Öffentlichkeit für einen Autor, der auf ihrer Schwarzen Liste stand. Eine im Berliner Veranstaltungsmagazin angekündigte Lesung in einem Jugendklub im Prenzlauer Berg, die “wegen Wasserschaden” nicht stattfand, von der der Autor aber gar nichts wusste: man wollte wohl nur den Anschein erwecken, dass er ganz normal öffentlich auftreten konnte.
äre er doch 100 Jahre alt geworden! Dann könnte morgen sein Geburtstag gefeiert werden. Aber er starb viel zu früh im Sommer 1984, noch keine 62 Jahre alt. Ein grausamer Verlust. Dennoch ist das literarische Werk, das er hinterließ, gigantisch, wunderbar vielfältig und immer wieder voller überraschender Entdeckungen.
Als Taschenbuch-Ausgaben haben es diese beiden Bücher sogar nach Kanada geschafft
Unser Freund Hans-Ludwig Blohm lebt nicht mehr. Was für ein Verlust – für seine Familie und für alle, die das Glück hatten, ihn kennen zu lernen. Hans wurde 94 Jahre alt.
Hans Blohm am Wonderstrand in Labrador
Wir begegneten ihm zum ersten Mal in Labrador und trafen ihn danach mehrfach in Ottawa und auch in Berlin. Der Wahl-Kanadier hat seine norddeutschen Wurzeln nie vergessen.
Hans zu Besuch in Berlin 2012
Nur selten begegnet man einem solchen Optimisten par excellence. Hilfsbereit, immer freundlich, begeisternd, ein begnadeter Fotograf und ein Menschenfreund besonderer Art.
Hans Blohm mit einem seiner wichtigsten Bücher (englische Ausgabe; es erschien auch in Inuktitut und in Deutsch)
Eines seiner wichtigsten Bücher ist “Die Stimme der Ureinwohner – Der kanadische Norden und Alaska”, in dem er seinen wunderbaren Fotos engagierte Texte zur Seite gestellt hat.
Die deutsche Ausgabe seines Buches
Mach’s gut Hans, Du wirst uns unvergessen bleiben!
Heute, am 28. November 2021, jährt sich zum 90. Mal der Geburtstag des großartigen Künstlers und begnadeten Geschichtenerzählers Tomi Ungerer, der wohl vor allem ein Humanist im Sinne von „nichts Menschliches ist mir fremd“ war.
Für einige Jahre lebte der selbsterklärte „Wanderer“ mit seiner Familie in Nova Scotia an der Ostküste Kanadas. Hier suchte er Abstand von New York, wo es ihm aus vielfältigen, u.a. auch aus politischen Gründen nicht mehr gefiel.
Seinen Aufenthalt in Nova Scotia verarbeitete Tomi Ungerer fern aller Kanada-Romantik in dem überaus lesenswerten Büchlein „Heute hier, morgen fort“, das alltägliche und skurrile, zumeist recht amüsante Begebenheiten erzählt. Es ist vollgepackt mit wunderbaren Zeichnungen aus dem Alltag der Familie und der umgebenden Landschaft und Tierwelt.
Die Szenerie Nova Scotias in Tomi Ungerers Texten und Bildern
Die englische Ausgabe trägt den Titel „Far out isn’t far enough“.
Der Bildband „Slow Agony“ enthält Zeichnungen, die Umwälzungen im Nova Scotia der 1970er Jahre widerspiegeln, die mit dem Niedergang vieler Häuser, Dörfer und Städtchen verbunden waren; lange bevor Kanadier und Reisende aus den USA und Europa die Halbinsel als Ferienort entdeckt hatten. Da war Tomi Ungerer längst wieder nach Europa gezogen, wo er in Irland ein neues Domizil fand.
Als vor einigen Jahren Ungerers ehemalige Farm an der South Shore Nova Scotias zum Verkauf stand, geschah das mit dem Hinweis auf den berühmten Vorbesitzer. Offenbar hatte man ihm seine kritische Sicht auf Nova Scotia nicht krumm genommen.
Es ist Polar Bear Week –Eisbär-Woche, daher hier einige Auszüge aus unserem Buch „Eisbären – Wanderer auf dünnem Eis”
“… Erste figurative Skulpturen aus Stein und Elfenbein werden der Kultur der Dorset-Inuit (ca. 1000 v. u. Z. Bis 1000 u. Z.) zugeschrieben. …“ „… Seit den 1950er Jahren entstand die heute international nachgefragte Inuit-Kunst („Inuit Art“), die … auch in den Galerien mit zeitgenössischer Kunst im Süden ausgestellt und verkauft wird und in den Sammlungen moderner Kunst der Museen ihren Platz fand. Anders als man es vielleicht vermuten würde, fertigt nicht jeder Inuit-Kunstler Eisbären-Skulpturen an, und nur gelegentlich gibt es Grafiken, die den König der Arktis thematisieren.“
Eisbär – Miniatur-Skulptur in alter Tradition von Roy Klengenberg
„Tony Oqutaq (geb. 1977), auch er in Cape Dorset ansässig, gehört zur dritten Generation der Inuit-Künstler. Er hat sich besonders mit seinen kraftvollen Eisbären-Skulpturen einen Namen gemacht, denen die intensive Beobachtung der Bären in der freien Natur anzusehen ist. Man kann die gewaltige Kraft der Bären geradezu fuhlen, wenn man die Figuren in die Hand nimmt, Körper und Gliedmasen abtastet und so die in der Skulptur „eingefrorene“ Bewegung erspürt. …“
Kollektion zum Thema Eisbären, links: Skulptur von Tony Oqutaq; Mitte: Gemälde von Melissa Labrador; rechts: Skulptur von Gilbert Hay
„Darstellungen von Eisbären finden sich auch auf vielen Grafiken und Wandbehängen von Inuit-Künstlern, die das Leben und das Uberleben in der Arktis zum Thema haben. Das sind oft Jagdszenen, wie in dem Textildruck von Helen Kalvak, …“
Helen Kalvak: Eisbärenjagd, Textildruck
Peter Ragee: Eisbärenjagd, Buntstiftzeichnung
„… Es war wohl dieser Bericht von McClintock [über das Schicksal der Franklin-Expedition], der den englischen Maler und Bildhauer Sir Edwin Henry Landseer (1802-1873), Hofmaler von Queen Victoria, zu einem der ungewöhnlichsten Gemälde des 19. Jahrhunderts anregte, das bis heute die Gemüter vieler Leute bewegt: ‘Man Proposes God Disposes – Der Mensch denkt, doch Gott lenkt’. Das Gemälde zeigt eine Szene, in der sich zwei Eisbären über einem Bootswrack im Packeis befinden und offensichtlich nach Nahrung suchen …“
Edwin Henry Landseer: “Der Mensch denkt, doch Gott lenkt”
“Ullrich Wannhoff (geb. 1952) ist ein deutscher Maler und Grafiker, aber auch Ornithologe und Reisender, der sich mit den östlichen Regionen Russlands, besonders mit den Beringinseln und Kamtschatka beschäftigt. … Er verarbeitete seine Erlebnisse in Hunderten Zeichnungen, Collagen und Gemälden und als Autor von Büchern. In einer Serie von Bildern setzte er sich mit Artefakten der Volker um den Nordpazifik auseinander. In einem dieser Bilder bringt er in expressiver Formensprache und starken Farben eine kleine stilisierte, aus Elfenbein geschnitzte Eisbärenfigur, wie sie unter anderem auf der St. Lorenz-Insel in der Beringsee gefunden wurden, mit einer Schamanentrommel zusammen …“
Ullrich Wannhoff, „Eisbärenfigur mit Schamanentrommel”
Mehr zum Thema „Eisbären in der Kunst“ im Kapitel 6 unseres Buches „Eisbären – Wanderer auf dünnem Eis“, MANA-Verlag 2014, S. 232 bis 255. Erhältlich in der Buchandlung Ihres Vertrauens oder online.
Am 31.10.1850, heute vor 171 Jahren, kehrte der völlig erschöpfte Kapitän Robert McClure nach tagelangem Marsch zu seinem Schiff HMS Investigator zurück. Er sah „mehr einer Leiche als einem lebendigen Menschen ähnlich“ schrieb Johann August Miertsching in sein Tagebuch. McClure hatte sich vergewissert, dass die Wasserstraße, in der ihr Schiff lag, eine Verbindung zur bereits von Parry erreichten Barrow Strait besaß. Er war seinem Begleittrupp, der den schweren Lastschlitten zog, allein vorausgeeilt, um den auf der Investigator Zurückgebliebenen zu berichten, dass man nach 300 Jahren Suche am 26.10. endlich die Nordwestpassage entdeckt hatte.
Das von McClure entdeckte fehlende Glied der Nordwestpassage zwischen “Baring Land” und “Prince Albert Land”. Parry hatte das nördlich davon gelegene Melville Island vom Osten her bereits 1819 erreicht.
McClure „… wurde aber von Schneewetter befallen, verirrte sich und konnte das Schiff nicht finden, und wanderte so die ganze Nacht durch ohne zu ruhen, schlafen, essen oder trincken, und war zweimal in Gefahr von Eisbären bewillkommt zu werden, hätte er sie nicht früher als sie ihn gesehen; sein Pulver hatte er verschossen um sich der Wache auf dem Schiff bemerkbar zu machen…”, berichtete Miertsching.
“Melville Island from Banks’ Land”, gezeichnet von Samuel Gurney Cresswell
Durch dickes Packeis waren sie daran gehindert worden, die Passage per Schiff zu bezwingen, denn die Investigator war in der Prince of Wales Strait, deren Nordausgang vom Eis verstopft war, nahe der Princess Royal Islands festgefroren.
“Discovery of Princess Royal Island”, gezeichnet von Samuel Gurney Cresswell
Nach dem Auffinden einer zweiten Passage im Sommer darauf – sie hatten inzwischen Banks Island (damals auch Baring Land genannt) vom Süden her fast umrundet – zwang der Wintereinbruch das Schiff in die Mercy Bay, eine geschützte Bucht, in der es sich heute noch befindet – gefangen im Eis, inzwischen auf dem Grund der Bucht.
Kapitän Robert McClure
Bis heute wird die Leistung McClures und seiner Mannschaft als Entdecker der Nordwestpassage ungerechtfertigt angezweifelt. Zwar ist es theoretisch möglich, dass Männer der tragisch gescheiterten Franklin-Expedition ihnen mit der Erstentdeckung einer Passage zuvorgekommen sein könnten, bevor sie eines qualvollen Todes starben. Allerdings fehlt dafür bis heute irgendein Beweis. Der könnte sich gegebenenfalls in den Wracks von HMS Erebus und HMS Terror befinden – falls die Unterwasser-Archäologen von Parks Canada jemals entsprechende Dokumente dort finden sollten.
Beim Schreiben unserer Biografie über Miertsching ist uns übrigens eine “Wandzeitung” (siehe ganz oben) hilfreich. Bei der Verarbeitung der Unmengen an Dokumenten und der verwirrenden Vielfalt der Ereignisse ist es nicht einfach, den Überblick zu behalten; diese Kollektion von Bildern unterstützt uns dabei und gibt so manche Anregung.
In den vergangenen Tagen haben wir nochmals drei Archive in der Oberlausitz aufgesucht – denn abgesehen von den Eckdaten und einigen vergleichsweise recht gut dokumentierten Lebensjahren ist das Leben Miertschings immer noch nahezu unbekannt. Selbst für uns, trotz jahrelanger Recherchen, und obwohl weltweit auf seinen Spuren unterwegs, bleiben Fragen offen; einige davon sind überhaupt erst während des Schreibens an unserem Buch entstanden.
An der Lubata (Löbauer Wasser) in der Gröditzer Skala
Archivarbeit ist mühselig. Manche Akten durchforsteten wir nur, um etwas auszuschließen, oder um ganz sicher zu sein, dass uns kein möglicherweise wichtiges Detail entgeht. Zur Erholung vom langen Sitzen und vom Papierstaub nutzten wir die Gelegenheit, ausgiebig durch die „Gröditzer Skala“ zu wandern, das grüne Tal, in dem Johann August viele Stunden seiner Kindheit verbracht hatte.
Wanderweg im Engtal (Gröditzer Skala)
Diesmal war es trübe und regnerisch – anders als bei unserem letzten Besuch hier, als überall drückende Hitze herrschte und es nur im Tal angenehm kühl war.
Blick aus der Skala auf Schloss Gröditz
Was mag der Junge wohl alles im Auwald am Flüsschen „Löbauer Wasser“ unternommen haben? Ist er an den steilen Felswänden im Engtal herumgeklettert? Sicher wird er, so wie wir, die ungestörte Natur und die stille Atmosphäre genossen haben.
Felswand im Engtal (Gröditzer Skala)
Unserer gründliche Suche in den Archiven, Blatt für Blatt umwendend, brachte uns auch diesmal wichtige Dokumente vor Augen. Einige davon konnten die widersprüchlichen Motive und die Einstellungen von Miertschings Missionarskollegen erhellen; so manche unserer bisher nur intuitiv begründeten Vermutungen bestätigten sich damit.
Idyllischer Platz in der Gröditzer Skala
Ein zweites Mal hielten wir einen unter dramatischen Umständen erhalten gebliebenen, lange unbekannten Brief Miertschings in den Händen. Er hatte seinerzeit unsere Sicht auf seine Persönlichkeit entscheidend beeinflusst; den Moment des Findens werden wir nie vergessen, auch wenn sich die Tragweite des Fundes damals erst Tage später – nach mühevollem Transkribieren – erschloss.
Die “Romantische Brücke” in der Gröditzer Skala
Leider sind in den Archiven bei weitem nicht alle wesentlichen Dokumente erhalten, oft wegen Verlusten infolge des 2. Weltkrieges. Ob vielleicht eines Tages jemand auf dem Dachboden einen Fund macht, der weitere offene Fragen zu Miertsching beantworten könnte?
Gröditzer Skala – starker Baum
Übrigens hätte Johann August Miertsching heute Geburtstag – genau vor 204 Jahren, am 21. August 1817, wurde er in Gröditz geboren.
Erinnerung an ein außergewöhnliches Treffen auf Franz-Josef-Land
Am 27. Juli 1931, vor genau 90 Jahren, fand ein weltweit Aufsehen erregendes „Polar-Rendezvous“ in der „Stillen Bucht“ (Бухта Тихая / Buchta Tichaja) von Hooker Island auf Franz-Josef-Land statt, an dem einige bedeutende Arktisforscher ihrer Zeit – wenn auch nur für 15 Minuten – zusammentrafen.
“Endless. Franz Josef Land” – Foto von Christopher Michel, Wikipedia
Hooker Island liegt im Süden des Archipels und wurde erstmals bei der Entdeckung von Franz-Josef-Land durch die Österreich-Ungarische Nordpolexpedition von Carl Weyprecht und Julius Payer gesichtet. Ihren Namen erhielt die Insel von dem britischen Forscher Benjamin Leigh Smith während seines Aufenthalts auf der Insel 1880-82. Er benannte sie nach dem Botaniker Joseph Dalton Hooker, Teilnehmer der Antarktisexpedition von James Clark Ross und Franzis Crozier und ein enger Freund von James Darwin.
Die Entdecker von Franz-Josef-Land, Julius Payer und Karl Weyprecht, im “Wiener Extrablatt”
Nach Weyprecht, Payer und Leigh widmeten sich verschiedene Expeditionen der Erforschung von Franz-Josef-Land, darunter Persönlichkeiten wie Fridtjof Nansen und Hjalmar Johansen, Frederick George Jackson, Walter Wellman, Luigi Amedeo, Evelyn Baldwin, Anthony Fiala und Georgi Jakowlewitsch Sedow. Der erste Deutsche war übrigens Franz Lang alias Francis Long, Überlebender der Greely-Expedition und der arktiserfahrenste Teilnehmer der Expeditionen von Baldwin und von Fiala.
Russische Briefmarke aus Anlass des Treffens
Auf den Luftschiffer Walther Bruns und auf Fridtjof Nansen geht die Gründung einer Gesellschaft zur Erkundung der Arktis mit Luftfahrzeugen im Jahr 1924 zurück, genannt „Aeroarctic“. Obwohl es schon zuvor Versuche mit Flugzeugen – u.a. von Jan Nagórski und Arthur Neumann – wie auch mit Ballons bzw. Luftschiffen (Salomon August Andrée, Wellmann, Roald Amundsen und Umberto Nobile) gegeben hatte, stand die Entwicklung des arktischen Flugwesens noch ganz am Anfang.
Phantasie-Gemälde zum Treffen des Zeppelins mit dem Eisbrecher Malygin von Alexander Kircher
Eine lange von Aeroarctic geplante Fahrt des Luftschiffes „Graf Zeppelin“ über die noch immer nahezu unbekannte arktische Region nördlich von Russland verzögerte sich durch den Tod von Nansen und wegen erheblicher Finanzierungsprobleme. Doch schließlich konnte sie endlich im Juli 1931 stattfinden. Für den 27. Juli wurde ein Treffen mit dem sowjetischen Eisbrecher „Malygin“ an der neu errichteten Wetterstation an der „Stillen Bucht“ von Hooker Island vereinbart.
Der Eisbrecher “Malygin”, Foto: Walter Basse
An Bord des Zeppelins waren u.a. die bekannten sowjetischen Arktisforscher Rudolf Samoilowitsch und Pawel Moltschanow, beide spätere Opfer des stalinistischen Terrors, und der in den folgenden Jahren weltberühmt gewordene sowjetische Funker Ernst Krenkel. Das Luftschiff wurde von Hugo Eckener geführt, dem Leiter der Zeppelin-Werke in Friedrichshafen am Bodensee.
Rudolf Lasarewitsch Samoilowitsch und Hugo Eckener Bundesarchiv Bild 102-12053
Weitere Teilnehmer waren der amerikanische Finanzier von Amundsens Nordpol-Expeditionen, Lincoln Ellsworth, der deutsche Arzt Ludwig Kohl-Larsen, die Wissenschaftler Ludwig F. Weickmann, Gustav S. Ljungdahl, Edward H. Smith, dazu Fotografen und Journalisten, unter ihnen Arthur Koestler für den Ullstein-Verlag.
Der sowjetische Funker Ernst Krenkel
An Bord der Malygin befanden sich der bedeutende sowjetische Wissenschaftler Wladimir Wiese, der Italiener Umberto Nobile, verschiedene Journalisten, sogar einige Touristen und der bis dahin nahezu unbekannte Postmeister Iwan Papanin, später weltbekannter Leiter der ersten sowjetischen Nordpol-Driftstation.
Der sowjetische Wissenschaftler Wladimir Wiese
Zur Ko-Finanzierung der Expedition nutzte man die Herausgabe von Briefmarken und die Beförderung von Briefpost, die mittels Sonderstempeln den ungewöhnlichen Weg des Luftschiffes von Friedrichshafen über Leningrad nach Franz-Josef-Land sowie des Eisbrechers Malygin dokumentierten. Bis zu 50.000 Briefe wurden von enthusiastischen Sammlern und Händlern auf den Weg gebracht. Bis heute erzielen diese Dokumente früher Arktisaktivitäten hohe Preise auf Auktionen.
Sammlerstück mit Sonderstempeln (Wikimedia)
Am frühen Abend des 27. Juli war es soweit. Die Malygin lag vor der Wetterstation vor Anker. Der riesige Zeppelin näherte sich langsam dem Schiff und wasserte vorsichtig 200m vom Schiff entfernt. Ein Beiboot der Malygin brachte Tausende Briefe, gut gesichert vom Postmeister Papanin.
Die Wasserung des Zeppelins, im Hintergrund die Malygin – Postkarte
Nobile begrüßte eiligst den „Kollegen“ Ellsworth mit Handschlag, die Briefe vom Zeppelin wurden herabgelassen, die von der Malygin hochgereicht, und damit war das kurze Treffen auch schon beendet, denn Luftschiff-Kapitän Eckener drängte, schnellstens aufzusteigen, da plötzlich Eisschollen in die Bucht trieben und er den Zeppelin nicht in Gefahr bringen wollte. Über Sewernaja Semlja, die Taimyr-Halbinsel und Nowaja Semlja ging die Reise zurück, weiter über Berlin bis Friedrichshafen, insgesamt eine Strecke von mehr als 10.000 Kilometern.
Postmeister Iwan Papanin
Obgleich das Treffen kurz war, stand es am Beginn einer langjährigen und ergebnisreichen Zusammenarbeit von deutschen und sowjetisch/russischen Forschern in der Arktis, die, unterbrochen durch den zweiten Weltkrieg, bis heute anhält. Im August 2021, 90 Jahre nach dem Treffen des deutschen Luftschiffes „Graf Zeppelin“ mit dem sowjetische Eisbrecher „Malygin“, wird sie auf dem russischen Forschungs-Eisbrecher „Akademik Trjoschnikow“ im gleichen Gebiet fortgesetzt: Die Arctic Century Expedition, organisiert und vorbereitet vom Schweizerischen Polarinstitut, dem russischen Forschungsinstitut AARI und vom GEOMAR in Kiel, führt in die Region um Franz-Josef-Land und Sewernaja Semlja.
Eisbrecher Malygin auf einer Briefmarke
Interessante Bücher zum Thema sind: P.J. Capelotti: “The Greatest Show In The Arctic – The American Exploration of Franz Josef Land 1896-1905”; Mitya Kiselev: Life and Love in Tikhaya Bukhta”; Ernst Krenkel: “Mein Rufzeichen ist RAEM”. Mehr Details auch in den Artikeln von Barbara Schennerlein in “Polarforschung”, 84. Jg, Nr. 2 (2014) sowie von Diedrich Fritzsche und von Barbara Schennerlein in “Polarforschung”, 88. Jg. Nr. 1 (2018).
Porträt Rahel Varnhagen, geb. 19. Mai 1871 in Berlin Lithographie (1834) von Gottfried Küstner nach Moritz Daffingers Pastell von 1818
Rahel Levin, Tochter eines jüdischen Händlers, die sich später Friederike Robert nannte und schließlich nach ihrer Heirat den klangvollen Namen Rahel Varnhagen von Ense trug, hatte gern Gäste, obgleich statt üppiger Menüs nur Tee serviert wurde. Ihre heute legendären Salons in den Jahrzehnten um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert waren eine Art „social media“, aber ganz analog. Zwanglos fanden sich bei ihr Menschen verschiedener Stände und Konfessionen ein, denen eines gemeinsam war: sie hatten mancherlei und oft Bedeutendes zu sagen, das man in Zeiten von Pressezensur, wo neue Ideen per se verdächtig waren, kaum gedruckt lesen konnte/durfte – es gab damals nur wenige Möglichkeiten, sie zu diskutieren.
Von 1793 bis zum Herbst 1808 bewohnte Familie Levin-Robert das Haus Nr. 54 (mit der Kutsche) in der Jägerstraße beim Gendarmenmarkt; Rahels Salon war in der Dachkammer. Zeitgenössische Darstellung von Friedrich August Calau
Gedenktafel am Haus Jägerstraße 54-55
Zu den Gästen ihrer Salons gehörten wichtige Philosophen und Literaten, u.a. Hegel, Fichte und Schleiermacher; Adelbert von Chamisso und Alexander von Humboldt – beide später durch ihre Weltreisen berühmt; die Brüder Schlegel, Heinrich Heine, Fürst Hermann von Pückler-Muskau oder Bettina von Arnim.
Ab 1827 wohnten Varnhagens in der Mauerstraße Nr. 36, wo Rahel wieder Gäste in ihrem Salon empfing
Doch „man … vergißt, daß die Humboldt’s ihrer Zeit nur zwei junge Edelleute, daß Rahel Levin ein lebhaftes Judenmädchen, Schleiermacher ein unbekannter Geistlicher, Varnhagen ein junger Praktikant der Medizin, die Schlegel ein paar ziemlich leichtsinnige junge Journalisten gewesen sind“ (Fanny Lewald) – nicht alle in Rahels Umkreis waren damals schon bekannt, und es befanden sich ganz „gewöhnliche“, ja sogar gesellschaftlich umstrittene Menschen unter ihren Gästen, wie die Schauspielerin Pauline Wiesel, Geliebte des Prinzen Louis Ferdinand von Preußen, eine enge Freundin Rahels.
Grabmal der Varnhagens mit dem Spruch: “Gute Menschen – wenn etwas Gutes für die Menschheit geschieht – dann gedenkt freundlich in eurer Freude auch meiner.”
Wir haben Rahel gedacht, als wir kürzlich an einem freundlichen Vorfrühlingstag in den Friedhofsanlagen vor dem Halleschen Tor spazierengingen und ihre letzte Ruhestätte auf dem Dreifaltigkeits-Friedhof aufsuchten, und gedenken ihrer ganz besonders heute an ihrem 250. Geburtstag.
“Auf einer Forschungsreise wird Nastassja Martin von einem Bären gebissen und schwer verletzt. In aufwühlenden Worten erzählt sie von der Geschichte dieses Kampfes und von ihrer Genesung.” (Website des Verlages)
Der Ego-Trip und die Odysseus-Fahrt einer Westeuropäerin durch russische und französische Krankenhäuser teilt das Buch in zwei Hälften. Ich wollte es schon ablegen, aber wurde nach der S.86 entschädigt. Die archaische Gewalt und unsere Verletzbarkeiten werden feinfühlig mit all ihren Widersprüchen dargestellt. Unser Gehirn arbeitet nachts weiter und schafft ein uneinheitliches Gebilde, das sich als Traum widerspiegelt. Die Zerrissenheit der Autorin, ihre innere Unruhe teilt sie uns eindringlich mit. Die Begegnung mit den Bären und unseren Ängsten ist nur der Auslöser, in Welten einzudringen, die scheinbar schon längst vergangen sind. Erst im letzten Abschnitt entsteht ein Dialog mit den Ewenen, der viel interessanter ist und einer Anthropologin gerecht wird.
Eine kurze Einführung über das Volk der Ewenen, ihre Kultur, ihren Bärenkult und ihre kleinen Rentierherden wäre für den Leser ein besserer Einstieg gewesen, als die Krankengeschichte der Autorin, die über die Hälfte des Buches einnimmt.
Geografische Eigennamen sollte man besser beibehalten. Der Hinweis, dass das russische Wort Kljutsch Schlüssel heißt, ist OK, aber das Dorf dann immer als “Schlüsseldorf” zu bezeichnen ist befremdend. Ob das Militärkrankenhaus wirklich in Kljutschi liegt und nicht außerhalb, da bin ich mir nicht sicher. Ich kenne Kljutschi ganz gut, und das Militär liegt außerhalb, nördlich, in Richtung des Vulkans Schivelutsch.
Kljutschi war Anfang der neunziger Jahre im 20. Jahrhundert noch eine verbotene Stadt. Dieser Status wurde aufgehoben, auch der Status Stadt, der mit der Reform durch Katharina II. zusammenhing. Alle bedeutenden Orte, egal wie klein sie sind, wurden damals, und auch noch in der Sowjetunion, als Stadt deklariert.
Die Ewenen sind erst Mitte des 19. Jahrhundert in Kamtschatka eingewandert und leben zwischen den anderen Völkern, wie auf kleinen Inseln. Das Hauptgebiet der Ewenen liegt auf dem nordöstlichen Festland Asiens, nördlich von Magadan. Es leben da insgesamt etwa 17.000 Menschen. Sie kommen aus der tunguso-mandschurischen Sprachfamilie und sind mit den Völkern auf Kamtschatka wie Itelemen und Korjaken nicht verwandt.
Vielleicht hätte man auch die Örtlichkeit mehr verfremden sollen, statt Twajan und den Fluss Itscha (Ischta) … Das wäre aber die Aufgabe der Lektoren …
Beim Schreiben des Buches über das Leben von Johann August Miertsching beschäftigen wir uns gerade mit seinem Aufenthalt in Okak, einer der damals vier Missionsstationen der Herrnhuter Brüdergemeine – oder: Moravian Church – an der rauen Küste von Labrador (Nunatsiavut) im heutigen Ostkanada.
An der rauen Küste von Nunatsiavut/Labrador – hier mit der vormaligen Missionsstation Hebron
Die Missionsstation Okak lag in einer geschützten, aber sonnenarmen Bucht auf der westlichen der beiden „Okak Islands“ vor der Küste. Um die nächstgelegenen Missionsorte Hebron im Norden oder Nain im Süden zu erreichen, waren jeweils weit über 100 km zurückzulegen. Per Hundeschlittengespann ging das nur von Januar bis April, wenn die Insel durch festes Eis mit dem Land verbunden war.
Diese Isolierung wurde durch die Wohnverhältnisse kontrastiert. Die Missionare unterschiedlichen Alters, Ehepaare mit kleinen Kindern und ledige Männer lebten in Okak – wie damals auch an den drei anderen Missionsorten – unter einem Dach in einer Wohngemeinschaft auf sehr engem Raum. Dass dies viel Anlaß zu zeitweiligen oder auch andauernden Konflikten bot, kann man sich leicht vorstellen. Beim Studium der Dokumente begriffen wir schnell, dass unter den Brüdern und Schwestern in den vier Gemeinen nicht nur eitel Sonnenschein und Harmonie herrschte. Eifersucht, Geltungsdrang, verletzter Stolz oder Zurücksetzungen konnten oft durch geduldige Aussprachen wieder ausgeglichen werden; manchmal waren jedoch Zank- und Herrschsucht, sogar regelrechtes Mobbing an der Tagesordnung – wie etwa mehr als ein Jahrzehnt lang in Hebron.
Miertsching hatte sich in Okak bald eingelebt, mit den Umständen hervorragend arrangiert, war sehr erfolgreich tätig und hatte während der 5 Jahre mit den meisten seiner Mitbewohner ein insgesamt gutes Verhältnis. Doch wie wir erfahren mussten, gab es auch hier wiederholt Spannungen, verstärkt durch Enge auch im geistigen Bereich, die letztlich zu einem folgenschweren Konflikt führten …
Die guten Erinnerungen an Labrador haben ihn aber noch in seinen letzten Lebensjahren erfüllt, wie von seinem späteren Schwiegersohn Hermann Theodor Jannasch beschrieben wurde. Am 30. März 1875, an einem eisigen Wintertag heute vor 146 Jahren, verstarb Johann August Miertsching im Alter von nur 57 Jahren. Sein Grabstein auf dem Gottesacker in Kleinwelka bei Bautzen, den wir vor vielen Jahren noch mühsam suchen mussten, wurde vor einigen Jahren restauriert und ist mittlerweile deutlich markiert.
Miertschings Grab auf dem Gottesacker in Kleinwelka
Gestern hörten wir den überaus interessanten online-Vortrag von Birgit Lutz in der Reihe Arktischer Mittwoch über die Ballonfahrt von Ingenieur Salomon August Andrée und seinen Gefährten im Jahre 1897. Sie begann auf Spitzbergens Insel Danskøya, sollte zum Nordpol und weiter nach Sibirien gehen, endete jedoch nach 66 Stunden irgendwo auf dem Eis; die Verunglückten schafften es bis nach Kvitøya, der „Weißen Insel“, wo sie zu Tode kamen. Gleich zu Beginn des Vortrags fielen mir spontan zwei andere berühmte Ballonfahrer ein.
Denkmal für Andrées Expedition auf Danskøya
Da war der später berühmte Polarforscher Alfred T. Wegener, der mit seiner Theorie der Kontinentalverschiebung die Grundlage für das Modell der Plattentektonik schuf, damit jedoch erst nach seinem Tod Anerkennung und Bestätigung fand.
Büste von A.T. Wegener im AWI
Neun Jahre nach Andrée, am 5. April 1906, stiegen Alfred und sein Bruder Kurt Wegener, damals Assistenten am Königlich-Preußischen Aeronautischen Observatorium Lindenberg bei Beeskow, in Reinickendorf bei Berlin zu einer denkwürdigen Ballonfahrt auf. Der Ballon war mit 1200 m3 Wasserstoff gefüllt. Sie wollten meteorologische Daten aus der höheren Atmosphäre gewinnen und überprüfen, wie man in der Nacht astrononomische Ortsbestimmungen vornehmen kann. Nach einer 52-stündigen Fahrt kamen sie am 7. April 1906 bei Laufach im Landkreis Aschaffenburg wieder auf den Boden und stellten damit einen Rekord im Dauerflug auf. Dieser galt damals – weil man Andrées Ergebnis noch nicht wissen konnte, da dessen Expedition verschollen war – als Weltrekord.
Im Alfred-Wegener-Museum in Zechlinerhütte bei Berlin kann man das Original des aus Weidenruten geflochtenen Ballon-Korbes besichtigen. – Übrigens: Für alle, die wissen möchten, was es mit dem zu Ehren Wegeners gegründeten und legendären “Continental Drift Club” auf sich hat, gibt es hier einen Hinweis.
Ballonkorb von 1906 Alfred-Wegener-Museum Zechliner Hütte
Der andere Ballonfahrer, ein betuchter und damals prominenter Mann, unternahm eine ziemlich abenteuerliche Fahrt bereits im Jahre 1816. Allerdings in professioneller Begleitung des berühmten Luftfahrtpioniers Gottfried Reichard, der 1810 als zweiter deutscher Ballonfahrer in die Geschichte einging und damals bereits auf sechs Fahrten in den hohen Lüften Erfahrungen gesammelt hatte; seine Frau Wilhelmine (Minna) war übrigens 1811 die erste deutsche Ballonfahrerin.
Wilhelmine und Gottfried Reichard Fotos von Adolph Friedrich Kunike
Der Abenteurer ließ sich das Vergnügen 600 Reichsthaler kosten, startete vor großem Publikum in Berlin am Gendarmenmarkt und stieg weit über drohende Wolkengebilde auf. Sie landeten schließlich nach Anbruch der Dämmerung in der Nähe von Potsdam auf einer großen Fichte – so sein eigener Bericht. Es war Hermann von Pückler-Muskau, ein sehr widersprüchlicher Mensch, zum einen ein verwöhnter Lebemann, der Verrücktheiten bis zum Übermut trieb; zum anderen Aufklärer, Anhänger und Förderer liberaler und demokratischer Ideen, jedenfalls aber ein scharfsinniger, aufgeschlossener, gerechtigkeitsliebender Mensch, Buchautor und bahnbrechender Park- und Landschaftsgestalter.
Heute jährt sich übrigens zum 150. Mal sein Todestag!
Hermann von Pückler-Muskau Zeichnung von Moritz Michel Daffinger