Am 30. März 1875, vor 150 Jahren, starb Johann August Miertsching. Nicht nur ein Anlass, an seine Lebensleistungen zu denken, sondern auch daran, wie an ihn erinnert wird.
Die neueste Würdigung Miertschings ist der Gedenkstein, der erst vor wenigen Monaten nahe seines Geburtshauses in Gröditz bei Weißenberg eingeweiht wurde. Bevor 2022 unser Buch über ihn „Weil ich ein Inuk bin“ erschien, war Miertsching deutschlandweit über Jahrzehnte nahezu vergessen – außer in der Oberlausitz, seiner sorbischen Heimat, wo man in sorbischen Zeitschriften und in Büchern gelegentlich über ihn schrieb, und wo sein von Verwitterung bedrohter Grabstein 2005 gerade noch rechtzeitig restauriert wurde.


Etwas anders sah es international aus. Man konnte (und kann) in wissenschaftlichen Artikeln und Büchern zur Polarforschung auf Miertschings Namen stoßen; immer wieder werden Passagen aus Miertschings Reisetagebuch referiert und zitiert, am meisten aus „Frozen Ships“, der englischen Übersetzung seiner Reisebeschreibung, die nach wie vor eine wichtige Quelle für die Polarforschung ist.

Vermutlich aber war Alexander von Humboldt der erste und berühmteste Wissenschaftler, der sich explizit auf Miertschings Reisetagebuch bezog – und das bereits 1858, im vierten Band seines Werkes „Kosmos“; er stützte sich auf die 1856 in deutscher Sprache von der Herrnhuter Brüdergemeine editierte Ausgabe.

Eine andere dauerhafte Würdigung Miertschings erfolgte in dem 10 Jahre später erschienen Standardwerk „Flora fossilis Arctica (1868) – Die fossile Flora der Polarländer“ von Oswald Heer, Karl Eduard Cramer, Adolf Erik Nordenskiöld und Carl Schröter. Dieses Buch verzeichnet zwei fossile Pflanzen mit seinem Namen: Sphenopteris Miertschingi, eine farnartige Pflanze, und Betula Miertschingi, eine polare Birke. Diese „Verewigung“ in den botanischen Wissenschaften war eine besondere Ehre für den Laien Miertsching, der selbst Fossilien gesammelt und ein Herbarium von etwa 4000 Pflanzen angelegt hatte.

Die für Miertsching vermutlich höchste Ehrungen zu Lebzeiten waren die Biografie, die 1854 in London erschien, sowie die „Arktische Medaille“ der Queen Victoria, der britischen Königin. Miertschings Leistungen in der Arktis wurden aber nicht nur in Großbritannien, sondern auch in Deutschland gewürdigt; nach seiner Heimkehr schrieben verschiedene Zeitungen darüber, er hielt viele Vorträge, und der sächsische König empfing ihn. Doch dann entsendete ihn die Herrnhuter Brüdergemeine nach Südafrika, und damit war sein Ruhm in Deutschland praktisch zu Ende.


Wir staunten nicht schlecht, als wir das Foto einer markanten Felsformation nahe Gnadenthal (Genadendal) in Südafrika sahen, wo er acht Jahre im Dienst der Herrnhuter Mission verbracht hatte. Das Foto war einige Jahr nach Miertschings Tod aufgenommen worden, und der Felsen trug den scherzhaften Namen „Miertschings Nase“! Offenbar war diese Felsformation seinerzeit ein bei den Missionaren beliebter Ort für Sonntagsausflüge. Als wir uns näher mit diesem geografischen Phänomen befassten, fanden wir allerdings nur den aktuell gebräuchlichen Namen „Wonderklippen“. Auch persönliche Nachfragen vor Ort während unserer Reise nach Genadendal 2018 brachten nichts Neues – jeder kannte die „Wonderklippen“, aber „Miertschings Nase“ war vergessen.

Foto: EBU-Archiv
In Kanada aber, wo Miertsching einen ausführlichen Eintrag im „Dictionary of Canadian Biography“ hat (ganz im Gegensatz zu dem mageren Eintrag in der „Deutschen Biographie“, der lediglich Namen, Geburts- und Sterbedatum, Wohnort und Berufe enthält), findet man seinen Namen sogar in den offiziellen Landkarten: ein See in Nunavut, dem Inuit-Territorium im Hohen Norden, heißt „Miertsching Lake“.

Wir waren überrascht, als wir noch auf eine zweite kanadische Ortsbezeichnung mit seinem Namen stießen: die „Sailing Directions for Labrador and Hudson Bay“ des United States Naval Oceanographic Office verzeichneten in der Ausgabe von 1965 die „Miertsching Bay“ nahe der Napartok-Bucht in Labrador, ebenso wie der Gazetteer of Canada des Canadian Permanent Committee on Geographical Names von 1968, allerdings mit dem Zweitnamen „Rifle Bay“ – das ist der Name, den man heute in den Landkarten findet.

Wie mag der Name „Miertsching Bay“ entstanden sein? Vermutlich hat es mit Miertschings mehrfachen Hundeschlitten-Reisen zwischen den Missionssiedlungen Okak und Hebron zu tun: vielleicht weil er von der üblichen Schlittenroute abwich und über das Eis einer anderen Bucht – die heutige Rifle Bay – fuhr. Offenbar konnte sich der einstige Name in dieser oft von Inuit-Jägern aufgesuchten Gegend nicht bis in die Gegenwart halten – denn auch bei den Labrador-Inuit denkt man nicht mehr an Miertschings hiesige Tätigkeit von 1844-49. Doch in Deutschland ist er nun wohl endgültig dem Vergessen entrissen. An seinem 150. Todestag verweisen wir wieder auf seine bedeutendsten Leistungen.