„Heute schönes Wetter aber Windstille; – nördlich von uns ist offen Wasser, können aber ohne Wind nichts thun,“ schrieb Miertsching am 24. Juli 1851 ins Tagebuch. Die Crew von HMS Investigator hatte den Winter im Eis der Prince of Wales Strait verbracht, wo das Schiff zwischen riesigen Eisschollen gefangen war. Nach ihrer Winterstarre gerieten diese ab Mitte Juli in Bewegung und setzten dem Schiff mit harten Stößen gefährlich zu; es wurde zum Spielball der starken Gezeitenströmungen in der Wasserstraße. Offene Wasserflächen waren selten – das treibende Eis behinderte den von Kapitän McClure vorgesehenen Kurs nach Norden, und nun fehlte auch noch Wind in den Segeln.
Aus unserem Buch: „Das Schiff befand sich in der Nähe von Armstrong Point, einem markanten Punkt am östlichen Ufer der Prince of Wales Strait, den McClure nach dem Schiffsdoktor benannte. Das Auf-und-Ab der letzten Tage hatte bei Miertsching an den Nerven gezerrt, und er ergriff die Gelegenheit, zusammen mit dem Zimmermann Ford, der nutzbares Treibholz bergen wollte, und fünf Matrosen an Land zu gehen. Ford fand brauchbare Fichtenstämme, die er ins Boot laden ließ.“ Miertsching sah sich auf dem Land um und entdeckte alte Wohnstätten von Inuit – und Pflanzen.
Lassen wir ihn selbst zu Wort kommen: „Nahe am Strand fand ich viele schneelose kleine Flächen, die mit Moos und Gras bewachsen waren; die weißen und gelben Blümchen standen herrlich in voller Blüthe. – Ich sammelte Pflanzen … und fand einige kleine Muscheln, die mir aber der Kapitän und der Docter auf eine sehr freundliche Art raubten, mit dem Versprechen, das ich nächstens wieder an’s Land gehen und mehr sammeln könnte.“ (Zitat aus Miertschings handschriftlicher Reise-Beschreibung) Allerdings wurde Miertschings Beschreibung in der Herrnhuter Druckausgabe seines Reisetagebuch auf die reine Sachinformation reduziert – keine Spur mehr von Begeisterung und guter Stimmung; die Textpassage mit dem „Raub“ der Muscheln wurde ganz gestrichen. – Das Sammeln von Pflanzen, das er bereits in Patagonien begonnen hatte, setzte Miertsching im Laufe der Arktisreise fort – ob auf Victoria Island, am Ballast Beach oder in der Mercy Bay von Banks Island. Insgesamt umfasste sein Herbarium etwa 4000 Pflanzen! Als die HMS Investigator im Eis zurückgelassen werden musste, glaubte er die Sammlung für immer verloren.
Auch wir waren davon überzeugt, bis unsere Recherchen uns eines Besseren belehrten. Wir stießen auf eine Spur, die uns schließlich nach London in die botanischen Sammlungen in KEW Gardens führte. Aus unserem Buch: „Eine zuvorkommende Mitarbeiterin begleitete uns mit viel Geduld durch die Sammlungsstandorte in dem fünfflügeligen Gebäude, in dessen ältesten Teil wir auf bewundernswert dekorativen gusseisernen Wendeltreppen quasi ins 19. Jahrhundert stiegen.“ Unter den über 7 Millionen Pflanzenpräparate wurden wir mehrfach fündig. Wenn Miertsching gewusst hätte, dass mindestens 40 Exemplare seiner verloren geglaubten Sammlung Bestandteil der Royal Botanical Gardens wurden, hätte er sich sicher sehr gefreut!
In wenigen Tagen erscheint unser Buch „Weil ich ein Inuk bin. Johann August Miertsching – ein Lebensbild“ im Lukas Verlag, Berlin.