Bei einem Bummel durch die Galerien von Yorkville, Toronto, vor über 20 Jahren fiel mir eine Grafik auf, die mich unmittelbar beeindruckte. Sie zeigte einen ruhenden Büffel mit mächtigem Buckel und gewaltigen Hörnern. Auffällig waren die Farben des Körpers, die mich an die Herbstfärbung der kanadischen Landschaften erinnerten.
Dem Galeristen fiel mein Interesse auf, und er nannte den Namen des Künstlers: Benjamin Chee Chee, ein Ojibwa aus Ontario. Informationsmaterial oder gar einen Katalog gab es leider nicht, doch notierte ich mir den Namen.
Benjamin Chee Chee wurde am 26. März 1944 in Temagami, Ontario, im Haus der Freundin seiner Mutter geboren. Diese, Angele Egwuna Belaney, war die erste Frau des berühmten Grey Owl, der durch den Film von Richard Attenborough auch in Deutschland bekannt wurde. Kurz vor seinem ersten Geburtstag starb der Vater. Es begann eine schwierige Zeit, da seine Mutter ihn oft anderen zur Betreuung übergeben musste. Schon mit elf Jahren begann er Alkohol zu trinken und mit zwölf „borgte“ er sich mit anderen ein Auto, um durch die Gegend zu fahren. Letztendlich endete er in der von der katholischen Kirche betriebenen St. Joseph’s Training School in Alfred, Ontario, wo er wie viele andere indigene Kinder auch körperlich und sexuell missbraucht wurde. Nachdem er die Schule verlassen hatte, lebte er für kurze Zeit wieder mit seiner Mutter zusammen, ging aber bald seine eigenen Wege. Mit 21 zog er nach Montreal, wo er dank seiner zeichnerischen Talente Arbeit als Gebrauchsgrafiker fand, ehe er ab 1972 versuchte, sich als Künstler zu etablieren. (1)
Zu seinen traditionellen Grafiken gehörten Ansichten von Ottawa, wo er ab 1973 lebte. Im Gegensatz dazu entstanden aber auch abstrakte Farbkompositionen.
Regelrecht berühmt wurde Benjamin Chee Chee für seine vielen Zeichnungen und Grafiken, die die Schönheit der Kanada-Gänse feiern. Manche davon werden seit Jahren in Museen-Shops, Touristen- und Andenkenläden auf Postkarten, Taschen und auf Tassen vermarktet. Schwieriger ist es, originale Werke zu sehen. Gute Gelegenheit gibt es im Whetung Ojibwa Centre in Curve Lake, in der Temiskaming Art Gallery in Temiskaming Shores, in der Thunder Bay Art Gallery (alle Ontario), oder in den Galerien mit indigener Kunst in den großen Städten Kanadas.
In den 1970er Jahren wurden Arbeiten von Chee Chee zunehmend in Ausstellungen neben denen von Norval Morrisseau, dem „Picasso des Nordens“, Carl Ray und anderen berühmten indigenen Künstlern gezeigt. Bei einer Personalausstellung in Victoria, BC, wurden alle seine 45 ausgestellten Arbeiten schon am ersten Tag verkauft. In der Kunstwelt wurde er nun allseits als eigenständiger Künstler akzeptiert.
Trotz aller Erfolge wurde er aber immer wieder von seiner unglücklichen Vergangenheit eingeholt. Alkohol, Tabletten und gelegentliche Gewaltausbrüche gehörten wie seine außergewöhnlichen künstlerischen Talente zu seinem Leben. Als er 1976 endlich wieder in Kontakt zu seiner Mutter kam, schien ein Leben als anerkannter Künstler, der auch mit seinem Alkoholkonsum umgehen könnte, möglich zu sein. Es kam jedoch anders. Bei einem Abend in einem Restaurant geriet er in Streit mit dem Personal, das sich nicht zu helfen wusste und die Polizei rief. Diese schloss ihn in einer leeren Zelle zur Ausnüchterung ein. Bei einem Kontrollgang fand man den scheinbar leblosen Chee Chee. Er hatte sich mit seinem Hemd stranguliert. Drei Tage später, am 14.3.1977, starb er im Krankenhaus, ohne das Bewusstsein wieder erlangt zu haben. Was für ein sinnloser Tod!
(1) Quelle: Ernie Biess: https://www.canadashistory.ca/explore/first-nations-inuit-metis/dancing-his-own-line
Literatur: Dr. Alvin L. Evans, „Chee Chee: A Study of Aboriginal Suicide“, Montreal 2004