Franz Fühmann, geboren am 15. Januar 1922 – vor 100 Jahren
In einem Land, das viel wunderbunter war als das Grau und das eindeutige Schwarz-oder-Weiß, das die darin sehen wollen, die heute gern die Deutungshoheit über die Geschichte geltend machen, begegneten wir einem der bedeutendsten deutschen Dichter und Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. So einige Male.
Meine erste Begegnung, mit 14: an einem sonnigen Herbsttag überbrückte ich die Zeit zwischen Unterrichtsende und Busabfahrt in der elterlichen Buchhandlung, wo sich mein Vater mit einem beleibten Herrn unterhielt, dessen etwas schäbig aussehender alter Rucksack mir auffiel, der augenscheinlich voller Bücher war; daneben stand ein Beutel voller Äpfel aus unserem Garten. Der Mann wurde mir als der Schriftsteller Franz Fühmann vorgestellt, der gleich mit dem Zug nach Berlin fahren würde. Im Deutschunterricht hatten wir einst ein Gedicht von ihm behandelt, „Der Apfelbaum“, und ich sagte ihm das. Daraufhin seufzte er und erzählte, daß schon einige Kinder an ihn geschrieben hatten wegen dieses Gedichtes, über das sie Aufsätze schreiben sollten: Was hat der Dichter damit sagen wollen, was hat er sich bei diesem Gedicht gedacht? Und seine Antwort war: Gar nichts habe ich mir dabei gedacht, als ich es geschrieben habe. Überhaupt nichts!
Wenige Jahre später erwarteten wir ihn zu einer Buchlesung. Ein Taxi kam, ein großer hagerer Mann stieg aus, zahlte, packte seine Reisetaschen und überquerte zielgerichtet die Straße – Franz Fühmann! Beinahe hätten wir ihn nicht erkannt: wo war seine Körperfülle geblieben? Tja, sagte er zu uns, ich bin dabei, mir das übermäßige Essen abzugewöhnen. Ich hab mir das Trinken abgewöhnt, das Rauchen, meine Partei habe ich mir abgewöhnt, und nun brauche ich mir bloß noch den sozialistischen Realismus abzugewöhnen. – Nach der Lesung aus „22 Tage oder das halbe Leben“ gab es eine Diskussion, und jemand fragte ihn, warum er im Buch formalistische Spielereien betreibe. Fühmanns Antwort – verblüffend und ohne Umschweife: Weil’s mir Spaß macht! –
Das Buch habe ich leider erst danach gelesen. Aber dann immer wieder.
Seine Streitgespräche mit meinem Vater sind mir in Erinnerung, über Dichtung, über Goethe, den mein Vater fast heilig hielt, und über Modernes, das er nicht gelten lassen wollte – und natürlich widersprach Fühmann ihm vehement.
Berlin, Jahre danach: Er besuchte unsere kleine Familie. Wir erwarteten Gespräche über sein neues Buch, doch zunächst bevorzugte er es, im Kinderzimmer auf dem Fußboden liegend mit unserem Vierjährigen zu spielen. Später schrieb er uns eine Widmung in „Vor Feuerschlünden“ – aber erst, nachdem er zuvor durch die Seiten geblättert und handschriftlich einige Fehler korrigiert hatte!
Erinnerungen: Märkisch-Buchholz, die „Wandzeitung“ hinter seinem Schreibtisch, und die mit Einklebungen versehenen Manuskriptseiten neben der Schreibmaschine. Wie er vor Wieland Försters Skulptur „Paar“ in seinem Garten vom Winkelmaß und Kreuzweg der Geschlechter sprach. Unser Staunen über die Garage voller Bücher. Und immer wieder Obst: Die Stiege voller Pfirsiche, die er auf unserem Weg zum Bahnhof in Königs Wusterhausen kaufte; die Erdbeeren, die meine Schwester ihm ins Krankenhaus brachte.
Noch mehr Erinnerungen: Seine bedachtsam ausgewählten Postkarten, deren Bildmotive immer zu seinen Mitteilungen passten. Die Lesung in der Akademie der Künste, wo er mich neben Marlies Menge plazierte. Die Lesung für unsere FDJ-Gruppe an der Humboldt-Uni, die urplötzlich verschoben wurde, wohl weil die „Sicherheitsorgane“ ihr Veto eingelegt hatten – wegen Bedenken über zuviel Öffentlichkeit für einen Autor, der auf ihrer Schwarzen Liste stand. Eine im Berliner Veranstaltungsmagazin angekündigte Lesung in einem Jugendklub im Prenzlauer Berg, die „wegen Wasserschaden“ nicht stattfand, von der der Autor aber gar nichts wusste: man wollte wohl nur den Anschein erwecken, dass er ganz normal öffentlich auftreten konnte.
Wäre er doch 100 Jahre alt geworden! Dann könnte morgen sein Geburtstag gefeiert werden. Aber er starb viel zu früh im Sommer 1984, noch keine 62 Jahre alt. Ein grausamer Verlust. Dennoch ist das literarische Werk, das er hinterließ, gigantisch, wunderbar vielfältig und immer wieder voller überraschender Entdeckungen.
Fuehmann starb ohne zu wissen, dass Sascha Anderson für das MfS arbeitete. Sie begegneten sich mehrfach. Wer weiss etwas über diese Begegnungen und Gespräche? Wo, in Anwesenheit von wem, fanden sie statt? Hat Fuehmann etwas zu Anderson geschrieben? Wen könnte sollte müsste man dazu befragen? Ich arbeite über Fuehmann und bin für jeden Hinweis sehr dankbar! Michael Ebner,Wien. ebnercro(a)eclipso.at
Hallo Herr Ebner, ich hatte Ihnen soeben per E-mail geantwortet, bzw. es versucht; das kam aber leider als unzustellbar zurück! Könnten Sie die Email-Adresse nochmals überprüfen?