Arktische Geisterschiffe

„ALL ABOARD! The Ghost Ship of Cannibal Rats! “ heisst ein Song auf dem neuesten Album der kanadischen Rockband „Billy Talent„. Wie man hörte, war der Text inspiriert von den Nachrichten um das 2013 im Nordatlantik verschwundene Schiff „M/V Lyubov Orlova“. Eine Gelegenheit, sich wieder einmal an dieses legendäre Schiff zu erinnern, bei dem wir einst selbst an Bord waren! – Wir rebloggen im Folgenden einen Beitrag vom Februar 2013.

M/V Lyubov Orlova und HMS Resolute

For our English readers, there is a slightly related story.

Als die Lyubov Orlova am 23.1. 2013 von Schleppern auf den Atlantik gezogen wurde, konnte man davon ausgehen, dass sie nun ihre letzte Fahrt zum Ort der Abwrackung in der Dominikanischen Republik angetreten hatte. Das ehemals sowjetische Kreuzfahrtschiff hatte fast zwei Jahre in dem großen Naturhafen von St. John’s, der Hauptstadt der kanadischen Provinz Neufundland und Labrador, stillgelegen.

M/V Lyubov Orlova 2010 vor Akpatok Island

An Deck, unterhalb der Brücke, erinnerte noch immer eine große farbige Plakette an den Orden für Völkerfreundschaft, in russisch Орден Дружба Народов, der dem Schiff 1981 von der sowjetischen Regierung verliehen worden war. Auf den letzten Charterer verwiesen weiße Plakate mit dem Schriftzug Cruise North Expedition, [damals] Spezialist für die Nordwest-Passage in der kanadischen Arktis, an der Reling des Schiffes.

Orden für Völkerfreundschaft an der Lyubov Orlova
Der Orden für Völkerfreundschaft an der Lyubov Orlova

Aber nach wenigen Tagen riss das Seil zwischen dem Schlepper und der Lyubov Orlova während eines Sturms unweit der Küste Neufundlands. Seitdem treibt das Schiff ohne Besatzung durch den Nordatlantik in Richtung Europa.
Die Lyubov Orlova ist nicht das erste führerlose Schiff im Atlantik, das zuvor in der Nordwest-Passage unterwegs war. Vor über 150 Jahren, 1854, war das Flagschiff der Suchexpedition nach dem in der Arktis vermissten Sir John Franklin und seiner Mannschaft, die HMS Resolute, im Eis der Nordwestpassage stecken geblieben und auf Befehl von Admiral Sir Edward Belcher aufgegeben worden.

HMS Resolute
HMS Resolute wurde 1854 im arktischen Eis aufgegeben

Wider Erwarten driftete aber damals das unbemannte Schiff im Packeis bis in den Nordatlantik vor Baffin Island, wo es von der Besatzung eines Walfängers „gekapert“ und in die USA gesegelt wurde. Später gelangte die Resolute als Geschenk der US-Regierung wieder nach England. Als das Schiff 1879 endgültig abgewrackt wurde, fertigte man aus ihrem Holz unter anderem auch einen Schreibtisch, der dem US-amerikanischen Präsidenten als Geschenk überreicht wurde. Dieser Schreibtisch ist bis heute, über 130 Jahre später, erhalten und wird von Präsident Obama im Oval Office in Washington DC benutzt. [Achtung, nicht wundern, das ist ein Text von 2012]

Schreibtisch im Oval Office
President Barack Obama sits behind the Resolute Desk in the Oval Office during a conference call with people of faith, August 19, 2009. Official White House Photograph by Pete Souza.
Der Schreibtisch im Oval Office wurde aus dem Holz der „Resolute“ geschaffen.

Die 1972 in Jugoslawien gebaute Lyubov Orlova, die nach einer von Stalin geschätzten Schauspielerin benannt war, fuhr zunächst im fernen Osten der Sowjetunion bzw. Russlands, bevor sie 1999 privatisiert, 2002 modernisiert und dann für Fahrten in Arktis und Antarktis verchartert wurde.

Die Schauspielerin Lyubov Orlova
Die Schauspielerin Lyubov Orlova auf einer Briefmarke

Der kanadische Reiseveranstalter Cruise North Expedition, Tochterunternehmen des Inuit-Unternehmens Makivik, nutzte das Schiff ab 2006 für Fahrten im arktischen Archipel Kanadas und nach Grönland. Besonders nachgefragt waren die Reisen durch die Nordwest-Passage, die infolge des Klimawandels auch für die eisverstärkte Lyubov Orlova möglich wurden.

M/V Lyubov Orlova -  Eisberg
M/V Lyubov Orlova auf Eisberg-Safari

Seit 2010 lag das Schiff jedoch infolge finanzieller Auseinandersetzungen zwischen Cruise North und dem Eigner des Schiffes in St. John’s fest. Nach dem Konkurs des Eigners wurde das Schiff versteigert und sollte verschrottet werden.

Bordtelefon-Tafel der Lyubov Orlova
Bordtelefon-Tafel der Lyubov Orlova

Seit dem 28. Januar 2013 driftet nun die Lyubov Orlova als Geisterschiff durch den Atlantik. Zur Zeit scheint sich keiner ernsthaft für das Schiff zu interessieren, solange es in den internationalen Gewässern unterwegs ist und keinen Ölplattformen und anderen Schiffen zu nahe kommt. Vielleicht erinnert sich ja noch einer der russischen Oligarchen an die sowjetische Vergangenheit des Schiffes und möchte sein Renommé bei Präsident Putin mit einem aus dem Holz der Lyubov Orlova gefertigten Schreibtisch aufbessern!?

reblogged vom 8. Februar 2013 von Wolfgang Opel

P.S.: Anders als in diversen Zeitungsartikeln behauptet, war die Lyubov Orlova kein „Luxusliner“, sondern ihre Ausstattung hatte lediglich den „Charme“ der 1970er Jahre; und sie fasste auch nicht 230, sondern lediglich etwas über 100 Passagiere.

P.S.2: Eine gute Zusammenstellung zur Geschichte der Lyubov Orlova kann man auf dem Blog „Original Shipster“ lesen.

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