Vor 91 Jahren, am 21. November 1932, schrieb der kommunistische Arzt und Schriftsteller jüdischer Herkunft Dr. Friedrich Wolf in einem Brief an seine Frau: „… mit Fanck und Udet war ich nochmals zusammen. Die Kerle haben herrliche Sachen da in Grönland gedreht …“
Dr. Arnold Fanck, ein damals sehr bekannter Filmregisseur, hatte den Kontakt zu Wolf gesucht, weil dieser ihn bei der Endfassung des Drehbuches für den Film SOS Eisberg unterstützen sollte, denn die amerikanischen Auftraggeber waren mit dem bisherigen Stand unzufrieden. Wolfs letzte Arbeiten, besonders aber das Hörspiel „SOS … rao rao … Foyn – »Krassin rettet Italia«“ hatte damals für Furore gesorgt.
Wolf war von dem in Grönland gedrehtem Material so beeindruckt, dass er unter dem Pseudonym „Christian Baetz“ den von Fanck angebotenen lukrativen Vertrag unterschrieb. Produziert wurde das Projekt von Universal Pictures, einem von dem ausgewanderten deutsch-jüdischen Filmproduzenten Carl Laemmle Sr. gegründeten und inzwischen überaus erfolgreichem Studio in Hollywood. Partner für Fanck und damit auch für Wolf war der Produzent Paul Kohner, ebenfalls jüdischer Herkunft wie übrigens auch der Komponist der Filmmusik, Paul Dessau. Man bedenke, dass die Filmproduktion in den letzten Monaten der Weimarer Republik stattfand!
Am 27.12.32 übergaben Fanck und Wolf die Endfassung des Drehbuchs an Kohner. Nur wenige Wochen später, gleich nach der Machtergreifung der Nazis, emigrierten Wolf und Dessau.
Der Dreh in Grönland im Sommer 1932 durfte übrigens nur stattfinden, weil Fanck mit Knud Rasmussen einen grönländischen Unterstützer und Garant der Seriosität des Vorhabens gefunden hatte und seiner Reise den Anstrich einer Expedition gab. Dafür engagierte er auch die beiden Teilnehmer der Grönland-Expedition Alfred Wegeners von 1930, Dr. Fritz Loewe und Dr. Ernst Sorge, die hier ihre wissenschaftlichen Arbeiten fortsetzten.
Zur gleichen Zeit hielt sich der bekannte amerikanische Maler Rockwell Kent mit seiner Frau France in Igdlorssuit, heute Illorsuit, auf. Udet hatte bei Erkundungsflügen die umgebende Bucht und einmündende Fjorde als für die Dreharbeiten Fancks geeignet befunden und richtete den Strand von Illorsuit als Basis für seine Flugzeuge ein. Die eigentlichen Drehorte waren etwa 50 km entfernt in Nuugaatsiaq, wo Fancks Drehteam seine Basis hatte, und in Nuliarfik auf Karrat Island.
Rockwell Kent, mit Knud Rasmussen befreundet, beobachtete das Geschehen und die durch die Dreharbeiten verursachte Unruhe mit gemischten Gefühlen, wie er in seinem Grönland-Tagebuch erzählte.
Vielleicht war es auch Ärger über seinen Freund Rasmussen, der die Dreharbeiten in Nuugaatsiaq unterstützte, aber ihn und seine Frau nicht besuchte, obwohl das mit Udets Hilfe leicht möglich gewesen wäre. Was zu dieser offensichtlichen Entfremdung der beiden geführt hatte, ist bis heute ungeklärt. Für Rockwell Kent gehörten seine insgesamt drei Aufenthalte in Grönland jedenfalls mit zu seiner produktivsten Zeit als Maler.
Während der Dreharbeiten kam es vermutlich auch zu ersten Missstimmungen unter den Teilnehmern, da die Hauptdarstellerin Leni Riefenstahl kurz vor der Abreise nach Grönland zur Hitler-Verehrerin mutiert war und in ihrem Zelt ein Bild von diesem aufgehängt hatte. Nach der Wahl Hitlers wurde Dr. Sorge ein eifriger Nazi, Mitglied der NSDAP und denunzierte seinen jüdischen Kollegen Dr. Fritz Loewe, der daraufhin interniert wurde und nach seiner Entlassung gerade noch rechtzeitig nach England und später nach Australien emigrieren konnte.
Der Film wurde nach Änderungen unter Protest von Fanck am 30. August in Berlin uraufgeführt. Mit Entsetzen registrierten Anwesende dort die den Hitlergruß zeigende Riefenstahl, deren weiterer Weg damit vorgezeichnet war. Fancks Karriere war im Wesentlichen beendet; die Udets endete später mit Selbstmord.
Dr. Sorge starb bald nach dem 2. Weltkrieg. Dr. Loewe lebte als erfolgreicher Wissenschaftler bis zu seinem Tod 1974 in Australien. Rockwell Kent hatte in einem Brief an Loewe dessen Rettung aus Nazi-Deutschland begrüßt; mithilfe seiner Kontakte half er dem ebenfalls emigrierten Fotografen des Filmsets, Ferdinand Vogel, beim Start seines Studios in den USA. Sowohl Laemmle als auch Kohner unterstützten von Hollywood aus die Rettung deutscher Juden.
Der Film SOS Eisberg wurde infolge der politischen Ereignisse von 1933-45 nahezu vergessen, bis ein schrecklicher Tsunami am 17. Juni 2017 durch den Karrat Fjord tobte, in dessen Folge die beiden Ortschaften Illorsuit und Nuugaatsiaq aufgegeben werden mussten. Übrigens fand ein ähnliches Ereignis auch während der Dreharbeiten statt und ist Bestandteil des Films.
Ein Filmteam, das zunächst eng zusammen arbeitete – und danach so verschiedene, so konträre Lebenswege. Was mag die Zukunft uns und heutigen Filmteams bringen?