Nach dem dritten entbehrungsreichen Winter an Bord von HMS Investigator war die gesamte Mannschaft körperlich geschwächt, Hunger und Skorbut forderten ihren Tribut. Als sie dann mit dem Eintreffen von Leutnant Pim – dem „schwarzen Mann mit dem Hundeschlitten“ – vor dem fast sicheren Tod gerettet worden waren, musste das noch immer fest vom Eis umschlossene Schiff schließlich verlassen werden.
Miertsching war zwar heilfroh über die Rettung, doch er war auch traurig, vor allem wegen seiner Sammlungen – Fossilien, Ethnografika sowie ein Herbarium von ca. 4000 Pflanzen – wie auch wegen seines Tagebuchs, die an Bord bleiben mussten.
„»Also mußte auch ich meine vierjährige Arbeit hier in Todt geben.« Das mag übertrieben klingen, aber Miertschings Niederschriften enthielten viele wertvolle Fakten und Begebenheiten aus fast dreieinhalb erlebnisreichen Jahren: Beschreibungen von Orten und Menschen, von Begegnungen und Funden, persönliche Eindrücke und zwischen den Zeilen auch über seinen Gemütszustand, seine Zweifel und seine Hoffnungen.“ (S. 291)
Am 11. April 1853 schrieb er ins Tagebuch: „Da wir alle unsre Sachen auf dem Schiff zurücklassen müssen, und nur erlaubt ist 2 paar Strümpfe nebst dem was man auf dem Leibe trägt mitzunehmen, so habe ich nun alle meine Sachen zusammengepackt; 4 mit Leder überzogenen Koffer, 1 Kasten mit Steinen; 1 Kasten mit Eskimo-Waffen; 1 Kasten mit getrockneten Pflanzen; 1 Lederne Huthschachtel. – Daß ich meine ganzen Schreibereien die mir viel Mühe gemacht haben und mir über alles andre werth sind verlassen muss, schmerzt mich sehr.“ Er hat nie erfahren, das Teile seiner Kästen später noch geborgen und nach London verbracht wurden.
Vier Tage später, bei stürmischem Wetter und Temperaturen um minus 20° C begann der Abmarsch nach Dealy Island: mehr als 300 km übers Eis mit schweren Lastschlitten, die mit Verpflegung, Zelten, Schlafsäcken, Werkzeug und Waffen beladen waren. „Cresswell hatte die Szene des Abschieds in einer Zeichnung festgehalten: Drei vollgepackte Schlitten stehen neben der Investigator auf dem Eis. Die einzelne Person ganz links könnte Cresswell selbst sein – oder aber Miertsching.“ (S. 293)
„Für gesunde Männer wäre die Last zu bewältigen gewesen, doch die geschwächten Seeleute kamen nur langsam voran: »Es gab heute viele lahme Pferde; … weil so viele durch die Scorbut-Kranckheit so entkräftet und leidend sind und kaum – sich an die Schlitten anhaltend – mit fortkommen können, so fiel die ganze Last auf die wenigen Gesunden«. Oft mussten sie auf Händen und Knien über das aufgetürmte Packeis klettern und die Schlitten mit vereinten Kräften einzeln über die Hindernisse hieven.“ (S. 294)
Nach sieben Tagen Marsch erreichten sie Melville Island, für Miertsching Anlass, trotz aller Anstrengung und Müdigkeit, sich nicht wie die anderen schlafen zu legen, sondern hügelan zu steigen; seine Gedanken an diesem Tag hielt er fest: „»Hier stand ich nun auf Mellvile Insel, und konnte mich bei allen Elend und Noth des schmeichelnden Gedancken nicht enthalten, daß ich hier in diesen Polar-Regionen der einzige Wende aus Deutschland bin, und an der seit mehr als 300 Jahren gesuchten nun von uns entdeckten Nordwestlichen Durchfahrt theil habe«; ein bewegender Moment, in dem er sein Bekenntnis zu seiner sorbischen Herkunft explizit zum Ausdruck brachte.
Sein kleiner »Ausflug« auf den Hügel zeigt exemplarisch seine mentale und physische Stärke, die ihn so wichtig für das Überleben vieler Seeleute der Investigator machte. Leutnant Pim schrieb Jahre später über ihn: »…er war der nützlichste Mann an Bord [der Investigator]… .«“ (S. 295)
Die Zitate stammen aus unserem Buch Weil ich ein Inuk bin. Johann August Miertsching – ein Lebensbild, die kursiv gesetzten Zitate sind aus Miertschings Tagebuchhandschrift.