Paddelsaison – Von Berlin nach Kamtschatka – Teil II

Der erste Teil dieses Beitrages von 2014 wurde bereits am 17.5.2019 hier reblogged.

Das süße Spreewasser fließt in den Dämeritzsee – Sonnige Tierbeobachtungen

Meine kurze Schienenreise geht nach Hangelsberg über Erkner bis kurz vor Fürstenwalde.
Die Helligkeit stieg schnell aus dem blauen dunklen Himmelszelt auf, während ich auf der Zugtoilette meinen verbrauchten Tee ausspüle. Mein müder Blick geht zum milchigen Fensterglas. Rotes leuchtet auf. Das Rote wird schnell gelb und die Strahlen erleuchten die flache Landschaft in warmen satten Farben und langen Schatten.

Flussnebel – Foto: © Ullrich Wannhoff
Flussnebel am Ufer der Spree bei Hangelsberg – Foto: © Ullrich Wannhoff

Nach einer dreiviertel Stunde bin ich vor Ort, am Ufer der Spree. Die Feen auf den feuchten Wiesen bleiben unsichtbar, nur noch der tief hängende Nebelschleier ist zu sehen. Ich blase mein rotes Gummiboot auf. Zum Glück war das Gras gemäht. In Kamtschatka hingegen wäre ich am zeitigen Morgen wegen Nässe und Kühle an den feuchten Hochstauden schnell bis auf die Haut durchweicht: Pflanzen, die bis zu drei Meter gegen den Himmel wachsen.

Neugierige Kuh – Foto: © Ullrich Wannhoff
Neugierige Kuh – Foto: © Ullrich Wannhoff

Die Sonne saugt den feuchten Feen den Nebel weg, und die klare Luft bildet die Bilder scharf ab. Mit aufgeblasenen Luftpolstern sitze ich auf dem dunklen Wasser, und eine andere Art der Bewegung treibt mich federleicht in westliche Richtung. In einer halben Stunde beobachte ich fünf Biber. Sie alle sind mir nicht freundlich gesinnt.

Gelbe Wasserschwertlilie – Foto: © Ullrich Wannhoff
Gelbe Wasserschwertlilie – Foto: © Ullrich Wannhoff

Bevor die Pelztiere kurz vor dem Boot abtauchen, schlagen sie mit der breiten Schwanzflosse noch mal kräftig zu. Kamera wie Hemd werden unfreiwillig nass. Von Weitem sieht der Kopf des Bibers aus wie dunkles Schwemmholz – nur dass das Holzstückchen gegen die Strömung schwimmt. Meinen ersten Biber sah ich in Nordalaska, mitten in der Stadt Anchorage auf dem See; die menschlichen Aktivitäten am Ufer berührten ihn kaum.

Biber taucht - Spritzfontäne – Foto: © Ullrich Wannhoff
Wenn der Biber abtaucht, entsteht eine Spritzfontäne – Foto: © Ullrich Wannhoff

Schwärme von Alt- und Jungstaren zwitschern aus den Baumkronen der hohen Eichen und Pappeln. Sie fliegen geschäftig hin und her und erinnern an die flirrenden Flügelschläge der Kolbris. Möglich, das die Stare bei den erwärmenden Sonnenstrahlen in der Höhe viele Insekten antreffen und sich daran sättigen. Es mögen weit über tausend Vögel sein, die ich unterwegs bis zum Dämeritzsee beobachte.

Große Teichrose – Foto: © Ullrich Wannhoff
Große Teichrose – Foto: © Ullrich Wannhoff

Das laute Gekräcke vom Teichrohrsänger ist nicht zu überhören. Mit Gesang hat das wenig zu tun, dafür ist es laut und eindringlich. Dort, wo sich die Teichrohrsänger befinden, ist der Kuckuck nicht weit, der seinen Wirt sucht und wohl schon längst gefunden hat. Ich sah, wie der Kuckuck einen Rotmilan ärgert. Meist sind es Krähen, die spielerisch um den Greifvogel fliegen oder ihn sogar attackieren, wenn er sich den Nestern nähert.

Schwanenkinder unterm Mutterbauch – Foto: © Ullrich Wannhoff
Junge Schwanenkinder unterm Mutterbauch – Foto: © Ullrich Wannhoff

In der Auenlandschaft befinden sich einzelne Büsche, und manch Neuntöter sitzt beobachtend darauf und hält Ausschau nach Insekten. Ein wunderschöner Vogel, der offene Landschaften mit Strauchvegetation bevorzugt. Aufgrund der intensiven Landwirtschaft werden sie leider immer weniger.

Distelfalter – Foto: © Ullrich Wannhoff
Distelfalter – Foto: © Ullrich Wannhoff

Die Sonne steigt und steigt und ich bevorzuge jetzt die schattigen Ufer der überhängenden Eichen, deren vereinzelte Blattgruppen im gleißenden Sonnenlicht punktuell hellgrün leuchten. Ein inneres Licht zwischen den größeren dunkelgrünen Blattgruppen, die fast bis ins Schwarze übergehen. Sie erinnern mich an den französischen Maler Maurice de Vlamink (1876-1958), der tiefe schwarze Farben in das kräftige Grün seiner Bäume setzt. Ein Pinselduktus, der mir sehr nahe kommt. Diese Bilder sah ich in der Eremitage in Petersburg, wo sich die französische Malerei in der letzten Etage befindet. Kleine Räume ohne Stuck und Prunk. Einfach wunderschön.

Weiße Seerose – Foto: © Ullrich Wannhoff
Weiße Seerose – Foto: © Ullrich Wannhoff

Ein Rotfuchs flüchtet mit seiner Beute durch die blühende Wiese in Richtung Kiefernwald, während ich meinen Frühstückssalat genieße. Weiße Weiden- und Pappelsamen tanzen auf der dunklen Wasseroberfläche, bilden ein Knäuel und fliegen unbeschwert weiter, ohne ein Ziel zu haben.

Adonislibelle – Foto: © Ullrich Wannhoff
Kopulierende Frühe Adonislibelle – Foto: © Ullrich Wannhoff

In der Mittagssonne verliert der Himmel seine Bläue und die flimmernde weiße Luft endet hinten am Wirtschaftswald voller hochgeschossener Kiefern, die in Reih und Glied stehen. Zarte blaue, grüne, rote, braune mosaikartige Edelsteine schwirren mit seidenen Flügeln dicht vibrierend an mir vorbei.

Gebänderte Prachtlibelle – Foto: © Ullrich Wannhoff
Larve mit frisch geschlüpfter Gebänderter Prachtlibelle – Foto: © Ullrich Wannhoff

Am Ufer schlüpft eine Blauflügel-Prachtlibelle aus der braunen Larve und trocknet ihre Flügel. Auf den schmalen Schilfblättern sehe ich mehrere verlassene leere Larven mit Öffnungen, als würde eine Frau aus ihrem altmodischen Kleid schlüpfen, und ein neues frisches, farbiges Kleid kommt zum Vorschein; Männerpupillen vergrößern sich um ein Vielfaches.

Libellenlarve (Hülle) – Foto: © Ullrich Wannhoff
Ausgeschlüpft – und zurück bleibt die Libellenlarve – Foto: © Ullrich Wannhoff

Mindesten fünf farbenfreudige Libellenarten beobachte ich, deren Namen mir unbekannt bleiben, so wie eine Azurjungfer. In Europa gibt es 135 europäische Libellenarten.
In Kamtschatka fliegen viele Libellen bis weit in den September hinein über die Feuchtwiesen. Einer ihrer Hauptfeinde ist der Baumfalke, der im schnellen Flug diese „Edelsteine“ erbeutet.

Junger Baumfalke aus Kamtschatka – Foto: © Ullrich Wannhoff
Libellenjäger – Junger Baumfalke aus Kamtschatka – Foto: © Ullrich Wannhoff

von Ullrich Wannhoff

Zum ersten Teil dieses Beitrages: Eröffnung der Paddelsaison von Berlin nach Kamtschatka.
In seinem Buch “Der stille Fluss Kamtschatka” kann man erfahren, was Ullrich Wannhoff auf einer 400 km langen Paddeltour auf dem Kamtschatka-Fluss erlebte und was ihn dort bewegte. Eine Kostprobe bietet “Bis zum Stillen Ozean und weiter” hier auf dem Blog.

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