Spitzbergen – eine Utopie?

Aus dem Buchregal: „Mein Spitzbergen“ von Birgit Lutz

Ich war sehr gespannt auf dieses Buch. Denn an diesem Ort hatten wir selbst einst – vor Jahrzehnten – unseren ersten, aber gleich sehr intensiven Kontakt mit der polaren Welt. Schnell waren wir „arctic-bitten“, wie man im Englischen sagt; vom sogenannten „arktischen Virus“ befallen. Die Arktis hat uns seither immer mehr beschäftigt, wir haben über sie gelesen und recherchiert, haben unseren Möglichkeiten gemäß mehrfach arktische Regionen in Kanada und Grönland besucht, so manches auch darüber geschrieben. Aber nach Spitzbergen haben wir es leider nie wieder geschafft.

Die "Noorderlicht" vor Spitzbergen, 1998
Die „Noorderlicht“ vor Spitzbergen, 1998; Foto © Wolfgang Opel

Nun, kurz vor Weihnachten, konnten wir es virtuell besuchen: mit dem Lesen des wunderbaren neuen Buches von Birgit Lutz. Ihre leidenschaftliche Liebeserklärung an Spitzbergen. Auf 224 Seiten – welche Vielfalt von Geschichten!
Birgit Lutz kennt Spitzbergen so gut wie nur wenige. In ihrer ersten Geschichte schildert sie die Erinnerung an ihr Erlebnis der „blauen Stunde“, als Longyearbyen 2008 für sie zur Durchgangsstation einer Reise zur Drifteis-Station Barneo wurde – auch sie war dann der Arktis verfallen.


Spitzbergen mit allen Sinnen erfahren – Birgit Lutz ist mittlerweile Spezialistin darin, und sie gibt das auch weiter: nicht nur direkt – an Reisende vor Ort, die mit ihr unterwegs sind – sondern auch indirekt mit ihrem wunderbaren Buch. Ihre Geschichten schildern die verschiedensten Facetten der natürlichen Schönheit des Archipels, die Inseln als Ruhepol, die Wunder der Landschaft und der Tierwelt, der man hier begegnen kann, und das alles eingebettet in spannende und sehr persönliche Episoden, mit Eisbären, Finn-, Buckel- und Zwergwalen.

Spitzbergen 1998
Spitzbergen, 1998; Foto © Wolfgang Opel

Manche der vielen abwechslungsreichen Kapitel führen von den Schauplätzen vor Ort zurück in die Geschichte, wie etwa das Scheitern der Ballonexpedition zum Nordpol, die auf der Insel Danskøya gestartet war, und das tragische Schicksal von Salomon August Andrée, Nils Strindberg und Knut Frænkel, das auf der Insel Kvitøya endete; oder die Unternehmungen von Roald Amundsen. Noch weiter zurück geht es in der Geschichte zur „Stadt der Walfänger“ Smeerenburg auf der Amsterdam-Insel im frühen 17. Jahrhundert, oder aber zur neueren Geschichte mit dem Abbau von Steinkohle. Und selbst wenn Birgit Lutz über den Spitzbergen-Vertrag und die aktuellsten politischen Implikationen schreibt, wird das zur spannenden Geschichte, die uns sehr nachdenklich hinterlässt.

Tafel zur Erinnerung an Roald Amundsen in Ny Alesund
Tafel zur Erinnerung an Roald Amundsen in Ny Alesund; Spitzbergen, 1998;
Foto © Wolfgang Opel

Zu vielen anschaulich geschilderten persönlichen Erfahrungen von Birgit Lutz – ob beim Nacktbaden im Eiswasser, beim Leben in einer einsamen Hütte ohne Wasser und Stromanschluss, beim Umgang mit Schlittenhunden oder beim Einsammeln von Plastikmüll an einsamen Stränden – kommt stets ihr reiches Wissen über die Arktis, die Zusammenhänge zwischen Mikro- und Makrowelt in diesem komplexen Ökosystem.

Da ist es selbstverständlich, dass sie den Blick auch auf die Veränderungen richtet, deren Tempo in den letzten Jahren dramatisch zugenommen hat. Der schnelle Rückgang der Gletscher auf Spitzbergen – nur eines der Zeichen für die menschengemachte Klimakatastrophe, die in der Arktis viel deutlicher spür- und sichtbar geworden ist als anderswo – erfüllt sie mit „Entsetzen und großer Trauer“, auch darüber, dass wir Menschen die natürliche Welt immer noch nicht wirklich wertschätzen, sondern diesen Schatz nur auf Verwertbarkeit hin behandeln und damit zerstören.

Die "Noorderlicht" vor Spitzbergen, 1998
Die „Noorderlicht“ vor Spitzbergen, 1998; Foto © Wolfgang Opel

Fazit: Birgit Lutz‘ liebevolle Ode an Spitzbergen ist ein wunderbares Buch, das die Faszination der Arktis am Beispiel Spitzbergens wissensreich und lebendig übermittelt, gleichzeitig zum Nachdenken anregt. „Mein Spitzbergen ist unser aller Spitzbergen. Aber ist ein Ort, an dem all gleich sind und die gleichen Rechte haben, ein Ort ohne Militär, Konflikte und Krieg, eine Utopie?“

Spitzbergen, 1998; Foto © Wolfgang Opel

Birgit Lutz: Mein Spitzbergen, mare verlag 2024, 224 Seiten, ISBN 978-3866486867, 20€

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Eine Antwort zu Spitzbergen – eine Utopie?

  1. Ullrich Wannhoff sagt:

    wunderschööööne geschrieben. Macht neugierig auf Meer und vieles mehr. Möge das Eis noch lange erhalten bleiben für kommende Generationen.

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