Bärenbeobachtung – Am Kurilensee in Kamtschatka
Reblogged vom Oktober 2016
Ein bewaffneter Parkranger holt uns an der Hängebrücke am Fluss Osernaya ab. Unser Gepäck mit gesamter Küche liegt im Aluboot und die Fahrt geht zum Kurilensee. Wir laufen einen 12 Kilometer langen Weg durch ein Flusstal.
Majestätisch erheben sich links von uns weiße Felswände aus hellen Tuffgestein, eingebettet in Grün. Nach einem reichlich drei Stunden langen Marsch entlang des Flusses Osernaja kommen wir am sonnigen Nachmittag ans Ziel.
Der Blick, der sich auf den See öffnet, bietet ein fast langweiliges „Postkarten“-Wetter mit blauem Himmel; die brennende Sonne wirft violette Schatten. Am gegenüberliegenden Seeufer begrüßt uns ein alter, roter (weil Eisenoxid enthaltender) Vulkankegel, der Illjynski mit einer Höhe von 1577 m. Das Panorama wird durch einen Elektrozaun zerschnitten. Es ist ein Kuhweidezaun, wie wir ihn bei uns zu Hause kennen. Nur dass wir die Kühe sind – und die Bären frei herumlaufen.
In dem eingezäunten Grundstück sieht es aus wie bei uns: Wasserklosett, fabelhaft eingerichtete Küchen und Aufenthaltsräume für die ankommenden Gruppen. Unterkünfte in großen Zelten oder in modernen Holzhäusern.
Am Elektrozaun beginnt die Inszenierung. sie erinnert mich an Theaterstücke von Goldoni, wo die Szenerie wie eine Guckkastenbühne aufgebaut ist. Der offene und einsehbare Uferstreifen – zweihundert Meter davon sind frisch gemäht. Dahinter beginnen die Weidenwälder, gemischt mit Steinbirken und Hochstauden, die die hohen Berghänge bedecken.
Eine Bärin mit vier Jungen kommt aus dem Weidengebüsch am Ufer und läuft von links nach rechts. Die Jungen sind in diesem Jahr geboren. Wieder von links nach rechts kommt noch eine Bärin mit zwei großen Jungen, die eventuell noch in diesem Jahr von der Mutter verlassen werden. Dann kommt ein Junggeselle auf die Bühne – schon von der Mutter entwöhnt. Er läuft von rechts nach links und ist ängstlicher als die anderen Bären.
Am offenen Uferstreifen befindet sich die Anlegestelle für die Boote, die uns zu den Flussmündungen am See fahren, wo die Bären fischen. Aber vorher werden die beiden Elektrodrähte entkoppelt und dann wieder eingehängt und angeschlossen.
Mit dem Boot fahren wir recht dicht an den fischenden Bären vorbei, die uns keines Blickes würdigen, weil die Lachse viel wichtiger sind. Wie war das bei Brecht? „Zuerst das Fressen und dann die Moral“. Die Braunbären haben sich über die Jahrzehnte an uns Menschen gewöhnt.
Am Ufer werden wir vom Bootsführer mit dem Ranger entlassen und stehen nun am Waldesrand und beobachten die Bären auf den Sandbänken mit den vom Fluss vorgeschobenen weichen Sedimenten. Hier sind die Laichplätze der Lachse (Nerka = Blaurückenlachs). Ein großer alter kampferprobter Bär ist „Platzhirsch“.
Läuft er über die Sandbänke, verschwinden alle Bären im Gebüsch. Verlässt er diesen Platz, kommen die jüngeren Bären zögerlich aus den Hochstauden.
Dabei gibt es unter den kleineren Bären wieder eine Rangordnung. Ein recht junger Bär fischt erfolgreich einen Lachs und muss auf der Hut sein, schnell zu fressen, bevor Neider kommen. Den letzten Rest des Lachses verzehrt er im Wegrennen.
Unser großer Bär läuft in fast fünfzehn Meter Abstand an uns vorbei. Der Ranger hat schon den Schraubverschluss der Leuchtpatrone an der Hand. Das Gewehr ist noch über der Schulter. Wir halten den Atem an. Angst habe ich keine, aber mächtigen Respekt!
Auf den Uferstreifen, der auf einer Länge etwa dreihundert Meter auf jeder Seite einsehbar ist, zähle ich etwa zwanzig Braunbären. Nach zwei Stunden werden wir mit dem Boot wieder abgeholt zur „Kuhweide“.
Auch wenn das alles ein wenig an „Zoofotografie“ erinnert, bleibt es doch ein schönes Erlebnis. Die Bärenmutter mit den vier Jungen hat sich so an unsere kleine Siedlung gewöhnt, dass sie ihre Jungen dicht am Elektrozaun säugt. Unter den Menschen ist sie sicherer, als in der freien Wildnis, wo ihr männliche Bären nachstellen.
An einem Tag zähle ich fünf ankommende Hubschrauber, aus denen „Busladungen“ von Menschen aussteigen.
Jedem sei es vergönnt, seinen Bären zu fotografieren – so wie ich es mit großer Freude tat.
Fortsetzung dieses Beitrages: „Bären auf Kamtschatka Teil II – Jagd gestern und heute„