Gestrandet auf der Beringinsel: Die Yacht „Wild“

Auf einem Segelschiff ohne Segel. Viele Wolken, Erinnerungen – und natürlich Kunst

reblogged vom Dezember 2017

Am 18. September 2013 trieb ein Zweimaster führerlos bei starken Sturm gegen die steinige Küste der Beringinsel und zerschellte direkt am Ufer der einzigen Ortschaft Nikolskoje, die 1826 gegründet wurde und rund 700 Einwohner hat.

Meer – Pastellskizze  © Ullrich Wannhoff
Meer – Pastellskizze © Ullrich Wannhoff

Mit Hilfe eines Kranes hievten Sergej und seine Freunde die Segelyacht an Land, ganz in der Nähe seines Ateliers. Die Backbordseite war aufgerissen und der Schiffskörper voller Wasser.

Die Yacht Wild, dahinter Sergejs Atelier – Foto: © Ullrich Wannhoff
Die Yacht Wild, dahinter Sergejs Atelier – Foto: © Ullrich Wannhoff
Fluss Gavanskaya bei Ebbe  –  Foto © Ullrich Wannhoff
Fluss Gavanskaya bei Ebbe – Foto © Ullrich Wannhoff

Die Yacht ruht auf dem schönsten Uferplatz der Siedlung, direkt an der Flussmündung Gavanskaya Reka. Hier fliegen zwar nicht die gebratenen Tauben vom Himmel, aber die Lachse ziehen bei Flut vor der Haustür vorbei.

Beschädigte Backbordseite mit eingebauter Tür  –  Foto © Ullrich Wannhoff
Beschädigte Backbordseite mit eingebauter Tür – Foto © Ullrich Wannhoff

Die etwa 15 Meter hohen Masten wurden abgetakelt und liegen nun bei Sergej im Schuppen. Auf der verletzten Backbordseite baute Sergej ein japanisches Bullauge ein, und auch eine Tür, die nun den Eingang in den Schiffskörper bietet.

Eingang zur Yacht  –  Foto © Ullrich Wannhoff
Eingang zur Yacht – Foto © Ullrich Wannhoff
Garderobe  –  Foto © Ullrich Wannhoff
Garderobe – Foto © Ullrich Wannhoff

Die Treppe zum Deck wurde entfernt, so dass die Kajüte groß und geräumig wurde. Statt des Mastes schaut jetzt ein langes Ofenrohr heraus. Die Kajüte wurde mit historischen Fotos aus Alaska ausgeschmückt.

Inneneinrichtung mit Bild und Uhr  –  Foto © Ullrich Wannhoff
Inneneinrichtung mit Bild und Uhr – Foto © Ullrich Wannhoff
Ölgemälde Moby Dick  –  Foto © Ullrich Wannhoff
Ölgemälde Moby Dick – Foto © Ullrich Wannhoff

Ein selbstgemaltes Bild zu Melvilles „Moby Dick“, Bücher und viele interessante Utensilien bereichern den Raum und machen ihn urgemütlich.

Arbeitsplatz vor dem japanischen Bullauge  –  Foto © Ullrich Wannhoff
Arbeitsplatz vor dem japanischen Bullauge – Foto © Ullrich Wannhoff

Die ursprüngliche Inneneinrichtung ist zu 70% erhalten. Eine polnische Werft stellte Segelschiffe für die Sowjetunion her. Wir nehmen an, das die Yacht auf der Danziger Werft hergestellt wurde, so wie auch Sergejs kleines Segelschiff „Alexandra“, die neben sein Bootshaus aufgebockt steht und mit Google Earth unter „Beringinsel, Nikolskoje“ betrachtet werden kann. Mit der „Alexandra“ segelten wir 1998 an der Küste Alaska entlang, auf den historischen Spuren von Vitus Bering und der Zweiten Kamtschatka-Expedition.

Sergej begutachtet, ob das Deck dicht ist  –  Foto © Ullrich Wannhoff
Sergej begutachtet, ob das Deck dicht ist – Foto © Ullrich Wannhoff

Die Yacht mit den Namen „WILD“ kann bis 14 Personen aufnehmen. Auf Grund von Breite und Schnitt des Bootskörpers ist sie nicht die schnellste, und jetzt dient sie als feststehendes Quartier, ist mein Rückzugsgebiet vom Dorf.

Mein Arbeitsplatz  –  Foto © Ullrich Wannhoff
Mein Arbeitsplatz – Foto © Ullrich Wannhoff

Nur das Rauschen des Meeres und die Schreie der Beringmöwen erreichen die Yacht, sobald ich die Türe am Morgen öffne und vergeblich den Sonnenaufgang suche.

Normales Wetter, Blick auf die Piers  –  Foto © Ullrich Wannhof
Normales Wetter, Blick auf die Piers – Foto © Ullrich Wannhof

Regen, Nebelwolken und starke Winde wechseln sich ab. Kein Fotografie-Wetter, aber für mich als Maler ist der Wolkenhimmel beeindruckend.

Abendlicht  –  Foto © Ullrich Wannhoff
Abendlicht – Foto © Ullrich Wannhoff

Der Dresdner Maler und Arzt Carus schreibt: „Wie ziehende Wolken im steten Wandel begriffen, so die inneren Zustände des Menschen. Alles, was in seiner Brust widerklingt, ein Erhellen und Verfinstern, ein Entwickeln und Auflösen, ein Bilden und Zerstören, alles schwebt in den Gebilden der Wolkenregionen von unseren Sinnen.“

Insel Toporok mit untergehender Sonne  –  Foto © Ullrich Wannhoff
Insel Toporok mit untergehender Sonne – Foto © Ullrich Wannhoff

So gehe ich jeden Tag ans Riff, wo der Wind die dunklen Wolken über mich her treibt. Die weiß schäumenden Wellen brechen an der erkalteten, schwarzen Lava, und ich warte auf helles Licht.

Brechende Wellen am Kliff  –  Foto © Ullrich Wannhoff
Brechende Wellen am Kliff – Foto © Ullrich Wannhoff

Oft quält sich das Sonnenlicht nur spärlich durch die Wolkenbänke, und ein weißer Strich bleibt am dunklen Meereshorizont kleben. Kierkegaard schreibt: „Wolken sind Hirngespinste und Gedanken, was sind sie anderes? Sieh darum wird man alles anderen müde, doch der Wolken nicht.“

Meer und Wolken  –  Pastellskizze © Ullrich Wannhoff
Meer und Wolken – Pastellskizze © Ullrich Wannhoff
Sergejs Zeichnung von der Yacht "Wild" auf einer Tasse  –  Foto © Ullrich Wannhoff
Sergejs Zeichnung von der Yacht „Wild“ auf einer Tasse –
Foto © Ullrich Wannhoff

Fast jeden Abend sitzen Sergej rauchend und ich Tee trinkend am heißen knisternden Kanonenofen und erzählen uns alte Geschichten von Freunden und Bekannten, die wir über die Jahrzehnte zwischen Alaska und Russland gemeinsam kennen lernten. Balzac schrieb, das man zweimal lebt: „Das erste Mal im wirklichen Leben, das zweite Mal in der Erinnerung“. So schwelgen wir in die Nacht, bevor die Müdigkeit uns übermannt.

Blick durch das Bullauge, mit Engelfigur  –  Foto © Ullrich Wannhoff
Blick durch das Bullauge, mit Engelfigur – Foto © Ullrich Wannhoff
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