… eine Übung für Nova Scotia, oder Vogelbeobachtungen
Diesen Beitrag schrieb ich bereits 2015, und jetzt wird er auf unseren neuen Blog übetragen.
Wieder mal war Sonnenschein zu erwarten – falls der Wetterbericht nicht lügt. So entschloss ich mich kurzerhand am Vorabend, meine Sachen zu packen, die für eine Bootsfahrt wichtig sind. Der Bahnstreik wurde gerade 21°°Uhr beendet, so dass nichts im Wege stand.

Morgens kommt die Blaue Stunde, als ich sechs Uhr am Bahnsteig stehe und der rote Doppelstockzug von Magdeburg nach Eisenhüttenstadt einfährt. Die glühend rote Sonne leuchtet durch die Wirtschaftswälder (Kiefer), die auf märkischem Sand stehen.
Nach anderthalb Stunden Zugfahrt laufe ich vom Bahnhof Eisenhüttenstadt nach Fürstenberg.

Unten am steinigen, menschenleeren Ufer blase ich mein rotes Gefährt auf. Eine junge Frau mit zwei Hündchen begrüßt mich, während ich mit Unterhose da stehe und mich umziehe. Nach zwanzig Minuten bin ich schon auf dem hier stillen Wasser. Schließlich ist das ein Kanal und noch nicht die Oder, die dreihundert Meter weiter entfernt fließt. Durch die milchige Wolkendecke leuchtet weiches Licht auf das Städtchen.

Kaum aus dem Kanal gepaddelt, nimmt mich der Strom mit nach Norden. Ein dunkles Schwemmholz kommt mir entgegen. Schwemmholz? Es ist ein Biber. Leider ist mein Fotoapparat noch nicht startklar. Nur wenige Minuten später steht ein neugieriger Rehbock vor mir. Der denkt sich wohl: „Soll ich hier bleiben oder wegrennen?“. Er ist noch unschlüssig, während das Fließgewässer mich immer näher zu ihm bringt und ich aus nächster Nähe fotografiere. Jetzt erst trabt er langsam durchs Schilf und verschwindet mit seinem weißen Spiegel am Hintern.

Die Bäume und Sträucher blühen und das junge zarte grüne Laub entfaltet sich, reckt und streckt sich nach Wärme. Vögel zwitschern, einige davon sind Zugvögel, die schon zurück aus dem Süden sind. So beobachte ich Fischadler, Schwarzmilan, Zilpzap, Wacholderdrossel, Kuckuck, Rauchschwalben, Küstenseeschwalbe – und andere werden noch kommen …

Endlich zieht der weiße Schleier auf, und es wird richtig warm. Zwei Silberreiher fliegen über mir. Öfters fliegen Graugänse vom Ufer auf, ziehen ihre Kreise, um hinter mir wieder ihre Ruheplätze einzunehmen. Sie sind sehr scheu.

Während das westliche Ufer fast menschenleer bleibt, sehe ich im Osten mehrere polnische Angler: als hätte sie Gott aus Lehm geschaffen, heben sie sich kaum von der Erde ab.

Im weiten Blau da oben am hellen Himmelszelt segeln ein Seeadler und ein Fischadler. Ich beobachte noch Mäusebussarde und einen schnell dahinfliegenden Turmfalken. Ein Schwarzmilan sitzt ruhig auf einer der vielen abgestorbenen Weiden. Sobald ich ihm mit dem Fließgewässer näher komme, fliegt er auf.

Ebenso ängstlich sind die Schellenten, die bei hundert Meter Abstand das Weite suchen.

Die kleinen Graugänse fliehen ins hohe Gras, sobald mein rotes Boot gesichtet wird.

So paddle ich den lieben langen Tag, und viel Gezwitscher unterbricht die Stille angenehm und begleitet mich. Am lautesten sind die Bruchwasserläufer mit ihren hohen Pfeiftönen. Auffallend der weiße Bürzel und die länger herausschauenden Beine. Die Flußuferläufer stehen am steinigen gepflasterten Uferstreifen und wippen mit ihrem Hintern. Sie sind nicht ganz so scheu wie die Bruchwasserläufer, aber auch schwierig zu fotografieren.

Die Gänsesäger treibe ich unbeabsichtigt mit meinem Boot nach Norden. Sicherlich werden alle Vögel durch mein Paddeln im Oderbruch ankommen. Dies ein Grund genug, dort nach der Wende ein Naturschutzgebiet einzurichten … 😉

31 vom Wasser aus beobachtete Vogelarten – das ist nicht allzu viel, aber schön.

Meine Gedanken fließen noch zu Gottfried Benn, als ich Frankfurt/Oder erreiche und durch zwei moderne Brücken paddle. Hier ein Auszug aus dem Gedicht „Teils-teils“:
… graue Herzen, graue Haare
der Garten in polnischem Besitz
die Gräber teils-teils
aber alle slawisch,
Oder-Neiße-Linie
für Sarginhalte ohne Belang
die Kinder denken an sie
die Gatten auch noch eine Weile
teils-teils
bis sie weitermüssen
Sela, Psalmenende.