Heute vor 235 Jahren wurde Hermann Ludwig Heinrich Graf von Pückler-Muskau auf Schloss Muskau in der Oberlausitz geboren. 1822 war er von Preußens König Friedrich Wilhelm III. in den Fürstenstand erhoben worden, was Pücklers weitgesteckten Ambitionen als unabhängiger – gelegentlich irrlichtender – Geist, fast manischen Reisenden, begnadeten Landschaftsarchitekten, zu seiner Zeit erfolgreichen Schriftsteller und bis ins hohe Alter promiskuitiver Liebhaber Auftrieb gegeben hatte.
Heute ist Fürst Pückler hauptsächlich als Gestalter der beispielhaften und sehenswerten Landschaftsparks im englischen Stil in Bad Muskau, Branitz und Babelsberg in Erinnerung – sowie als Namensgeber für das Pückler-Eis, dessen „Erfinder“ aber gar nicht der Fürst selbst war. War es, wie manche schreiben, ein cleverer Konditormeister in Cottbus oder Berlin, der den Fürsten als Namenspatron benutzte? Oder vielleicht der königliche Hof-Koch Jungius, in dessen Kochbuch die älteste gedruckte Variante des Rezepts auftaucht?
Was hatte Fürst Pückler aber nun mit dem Nordpol zu tun?
Durch den extensiven Ausbau seines Schlossparks in Muskau war der Fürst in erhebliche finanzielle Schwierigkeiten gekommen, so dass seine Gemahlin, Lucie von Hardenberg, einer Scheidung zustimmte, damit er sich neu – dieses Mal noch viel reicher als zuvor – verheiraten könnte. Die Suche nach einer Superreichen führte ihn auch nach England und Irland. Die Brautschau war allerdings nicht erfolgreich, doch sein Buch über diese Reise „Briefe eines Verstorbenen“ war zu seiner Zeit ein Bestseller und ist noch immer lesenswert. Auf dieser Reise begegnete Fürst Pückler vielen interessanten Leuten, unter ihnen auch Englands damals erfolgreichsten Arktisforscher William Edward Parry, der sich gerade zur Abfahrt nach Spitzbergen bereitmachte, um von dort per Schlitten den Nordpol zu erreichen.
Fürst Pückler berichtete darüber im 14. Brief [Kapitel] seines Buches: „Den 26ten [26. März 1827]. Diesen Vormittag bestimmte ich zu einer Exkursion nach Deptford, um Captain Parrys Schiff Hekla zu besehen, das in wenigen Tagen nach dem Nordpol absegeln soll. Ob es ihn aber erreichen wird, ist eine andere Frage. Wenn es Parry nur nicht wie dem armen Grafen Zambeccari [ein verunglückter italienischer Ballonfahrer] geht, der von seiner letzten Luftfahrt noch bis zu dieser Stunde nicht zurückgekehrt ist.
Captain Parry machte die Honneurs seines eigentümlichen Fahrzeugs mit sehr viel Artigkeit, und sein Benehmen entspricht ganz dem eines freimütigen, besonnenen und kühnen Seemanns, als welcher er bekannt ist. Ein paar seltsam geformte Boote lagen auf dem Verdeck des Schiffes, die zugleich als Eisschlitten dienen sollen. …
Das Schiff selbst hat doppelte Wände, die mit Kork ausgefüllt sind, um die Wärme besser zusammenzuhalten, und außerdem wird es mit conduits de chaleur [Heizröhren] geheizt. Alle Provisionen bestehen aus den stärksten Extrakten, so dass ein ganzer Ochse in seiner Quintessenz in die Rocktasche gesteckt werden kann, gleich den Stereotypes der chefs d’oeuvres [Meisterwerke] der ganzen englischen Literatur in einem Bande. Alle Offiziere schienen Männer von großer Auswahl, besonders fand ich an dem Lieutenant Ross, der Parry auf allen seinen Fahrten begleitet hat, einen sehr feinen und liebenswürdigen Mann. Das Schiff wimmelte von Besuchern, die fortwährend die Strickleitern hinanklommen, und man konnte nicht ohne das lebhafteste Interesse diese Schiffmannschaft betrachten, die so heiter den größten Gefahren und Mühseligkeiten entgegenging, nur der Wissenschaft zuliebe und um eine erhabene Neugierde zu befriedigen.“
Bei dem erwähnten Leutnant Ross handelte es sich um James Clark Ross, der später – gemeinsam mit dem sich ebenfalls an Bord der Hecla befindenden Francis Crozier – als erster überhaupt große Teile der Antarktis vermessen konnte. Während Parry und Ross von allen ihren Polarreisen nach England zurückkehrten, ohne jedoch den Nord- bzw. den Südpol erreicht zu haben, konnte das Schicksal von Crozier bis heute nicht aufgeklärt werden. Er starb als zweiter Kommandeur der Franklin-Expedition zur Entdeckung der Nordwestpassage in der Arktis irgendwo bei King William Island, wie auch Sir John Franklin und der Rest seiner Schiffskameraden.
Bei einer der Suchexpeditionen nach Franklin, Crozier und Co. war übrigens der Oberlausitzer Sorbe und Herrnhuter Missionar Johann August Miertsching mit dabei. Ob Fürst Pückler-Muskau jemals von Miertsching gehört hatte – oder umgekehrt – ist nicht bekannt. Doch es gibt Zusammenhänge zwischen dem Schuhmacher und dem Fürsten: Dessen Standesherrschaft Bad Muskau liegt nicht weit weg von Gröditz bzw. Kleinwelka, wo Miertsching längere Zeit lebte; die Orte liegen jeweils nur wenige Kilometer voneinander entfernt in der Nähe von Bautzen. Dazu kommt, dass der junge Graf einst sogar die Schulanstalt der Herrnhuter Brüdergemeine in Uhyst besucht hatte, wenn auch mit wenig Begeisterung; sie blieb ihm in schlechter Erinnerung. Zudem gehörte Fürst Pückler zu den Sponsoren der Deutschen Nordpolar-Expedition. Für diese war Miertsching als Übersetzer angefragt worden; er stand jedoch nicht zu Verfügung, da er sich in der betreffenden Zeit in Genadendal (Südafrika) aufhielt.