Neue Ausstellung von Ulli Wannhoff im Chemnitzer Naturkundemuseum
Für die Besucher der Ausstellung ist der Ferne Osten, Sibirien und die Halbinsel Kamtschatka meist „terra incognita“. Mit dem heutigen eurozentrischen Blick wissen wir oft weniger als das neugierige Bildungsbürgertum des 19. Jahrhunderts; trotz Internet, Wikipedia und vieler Suchmaschinen, die auf richtiges – und falsches – Wissen hinweisen.
Für mich ist die Ausstellung eine Reflexion der letzten zwanzig Jahre, die mein Leben nach der Wende bestimmten.
Die Ausstellung kann nur einen kleinen Einblick geben und eine Anregung, einen Anstoß – auf mehr, sofern es heute noch Neugierde gibt, wo ja alles im Internet mit einem Tastendruck erreichbar ist.
Eine Ausstellung wächst durch Dialoge, Fragen und Verwerfungen. Der Prozess ist vielleicht das Anregendste für alle Beteiligte und widerspiegelt auch die Komplexität, die nicht nur die junge geologische Erdgeschichte in Kamtschaka und die Naturprozesse aufzeigen, sondern auch unser heutiges Leben in seiner Vielfältigkeit und Veränderlichkeit.
Wir haben die Ausstellung in drei Teile gegliedert. Der erste ist das „Vulkanmodell“ mit den verschiedenen Vegetationszonen und den Tieren, die ihre Nischen darin finden. Innerhalb einer kurzen Wegstrecke nach oben gestaltet sich ein vielseitiges Bild.
Je höher wir kommen, um so kühler die Luft – und dementsprechend kleiner werden Pflanzen und Tiere.
Von den Säugern leben unten im Tal Braunbär und Elch, und weit oben treffen wir noch die kleine Polarrötelmaus an. Sie wiederum hat Fressfeinde, den Raufußbussard und die Schneeeule, die sich in die Höhe wagen.
Der zweite Teil beschäftigt sich mit den indigenen Völkern, die über viele tausende von Jahren die Halbinsel besiedelten, bevor der erste weiße Mann gewaltsam auftrat: Die Kosaken kamen Ende des 17. Jahrhunderts.
Auch in der Sowjetzeit gab es viel „Ungereimtes“. So wollten die Kommunisten ein neuen Typus Mensch in ihrem weiten Land kreieren, den „Homo Sowjetikus“, was mit dem Verlust der Tradition und der Identität der indigenen Völker verbunden gewesen wäre. Aber es gab auch Positives in dieser Gesellschaft, wie eine Grundversorgung, ärztliche Betreuung, der kollektive Zusammenhalt – dies alles ist heute mehr oder weniger in Auflösung begriffen.
Nach der Wende zog eine hohe Arbeitslosigkeit ein, und überteuerte Produkte zwangen und zwingen die kleinen Völker des Nordens zu einer Rückbesinnung auf die alte Jagdkultur und ein weitgehend autarkes Leben in der Wildnis, um nicht im Dorf dem Alkoholismus zu verfallen. Oft sind es die Frauen, die die Stärkeren sind und ein neues Leben anfangen. In der Ausstellung wird hauptsächlich die Materialkultur gezeigt.
Der dritte Teil ist die Isbuschka, das Hüttchen, das zu vielseitigen Zwecken benutzt wird und für uns Mitteleuropäer gewöhnungsbedürftig ist.
Man wird erinnert an „Die Mythen des alten Tages“ von Michail Epstein. Er schreibt über das nationale Totem, über den Braunbären:
„ Es ließen sich viele symbolische Analogien finden von denen eine jede für sich genommen nichts zu erklären scheint, zusammen aber … Die althergebrachte Bodenhörigkeit des russischen Menschen – und die Angewohnheit des Bären, den ganzen Winter zu verschlafen. Der russische Ofen, auf dem man liegt und sich im Schlafe wärmt, das Leben vergeudet. – und die dunkle Behaglichkeit der Bärenhöhle, warm und eng wie im Mutterleib, mit zottigen Fellfetzen gepolstert. Der auf den Ofen bezogene Ritus der russischen Faulheit – und die Vorliebe für den Leckerbissen, den es umsonst gibt, die Diebesmanier, die Früchte fremdes Fleißes zu stehlen. Der Bär schleckt Honig, nährt sich von der Emsigkeit der Bienen. Schläfrigkeit und Urkraft. Ein Faulpelz und Leckermaul ist der Herr des Waldes. Ein Erdbrocken, der sich mit wildem Brüllen vom Boden losgerissen hat und alles unter sich zermalmt, doch dann und wann wieder in seine angestammte Lagerstatt zurücksinkt. Bodenständigkeit als Erbinstinkt des erdgeborenen Wesens.“
In der Einladung steht geschrieben: „Naturforscher und Künstler“. Ich verstehe mich eher als teilhabender Beobachter in der Natur, verbunden mit meiner geschichtlichen und ornithologischen Recherche, und das eigene Erleben zu spüren und später nachzuempfinden. Dabei sind die morphologischen Beschaffenheiten der Tiere für mich wichtig.
Tausende von mir gesammelte Federn liegen in wissenschaftlichen Sammlungen. Für mich besitzen sie einen sinnlichen Charakter, aber sie beinhalten auch Gene für die Wissenschaft, auf deren Ergebnisse ich immer sehr gespannt bin. Wie fügen sie sich in der Evolution ein? in einem komplizierten Baukastensystem, als sei es von einem Gott geschaffen, der mich aber in der Natur nicht interessiert, sondern nur im kulturhistorischen Kontext.