reblogged vom April 2016
Ullrich Wannhoffs Buch über eine ungewöhnliche Flussfahrt
Sein Freund Viktor hatte ihn in Petropawlowsk 3-fach gewarnt: vor dem Hochwasser, das die Ufer unzugänglich macht, vor den Mücken, die ihn zur Umkehr zwingen würden, und vor den Braunbären, die für Alleinreisende gefährlicher sind als für Gruppen. Der Maler, Naturfreund und -forscher Ullrich Wannhoff trat dennoch seine 400 km lange Paddeltour an: auf dem Fluss Kamtschatka bis zum Stillen Ozean. Er war ja kein Neuling mehr und hatte die Halbinsel im Fernen Osten Russlands schon viele Male bereist. Allerdings noch nie mit einem Kajak auf dem Fluss! Diese Fahrt hat er nun in einem neuen Buch voller Reminiszenzen über Natur, Geschichte und seine Paddelei beschrieben.
Mit Zelt und Rucksack, einem aufblasbaren Kajak und – angesichts der Warnungen – bemerkenswert viel gutem Mut trat er seine einsame Reise an. Die Bären mussten ihn wohl ausreichend in Ruhe gelassen haben, denn er kam heil zurück, und wer unseren Blog verfolgt, hat vielleicht hier oder hier schon über einige seiner Erlebnisse und Impressionen auf dem Kamtschatka-Fluss gelesen.
Welche Probleme ihm die Mücken bereiteten, kann man vielleicht ahnen – oder man liest es besser nach: Kürzlich erschien Ullrich Wannhoffs Buch „Der stille Fluss Kamtschatka“. Hier geht es jedoch um wesentlich mehr als um Mücken …
Ullrich Wannhoff nimmt uns mit auf einen breiten und ruhig dahinfliessenden Fluss. Seine Art des Reisens in der einzigartigen Flusslandschaft zwischen den Vulkangebirgen Kamtschatkas ermöglicht ihm reichlich Gelegenheit zur Naturbeobachtungen, und er hat Zeit zum Nachdenken und Verarbeiten.
Wir erfahren nicht nur, was Ullrich Wannhoff sieht und erlebt, sondern auch so einiges von dem, was ihm durch den Kopf geht. Der belesene, historisch und naturwissenschaftlich interessierte Künstler kennt auch die Berichte der Reisenden und Forscher, die bereits vor Jahrhunderten an diesen fernen Orten unterwegs waren. Historischer Hintergrund, Beobachtungen über die gegenwärtigen Verhältnisse im Kontrast zum Leben während der Sowjetzeit und im zaristischen Russland fließen in den Text ein, ebenso wie sein Dialog mit der Natur, Landschaftsimpressionen und Gedanken über Kunst.
Lassen wir Ullrich Wannhof selbst zu Wort kommen, wenn er sich über sein Buch äußert:
Georg Forster schreibt an seinen Verleger Spener: ‚dass der Mensch keine angeborne Ideen habe, sein Gedächtnis materiel sey, dass das ganze der Vernunft auf den erhaltenen sinnlichen Eindrücke beruhe…‘. Dies entspricht ganz meiner Weise, meine Beobachtungen aus dem Materiellen in sinnliche Konstruktionen zu verwandeln, also in Malerei oder in Worte.
Ich bin sehr gerne allein und fröne meiner „Menschenallergie“, aber treffe ich auf Menschen, bleiben meine Beobachtungen nicht unberührt. Das Spagat zwischen Natur und Gesellschaft – wie weit kann und darf Natur (Evolution) in die Gesellschaft hineinfließen oder umgekehrt – bleibt immer wie eine Schere, die sich nicht schließt. Das reißt Gedanken auf, die wir von Georg Forster her gut kennen.
Der Versuch, ein einheitliches „Gebäude“ zu formulieren, bleibt Fragment. Auch dieses Buch ist eine Collage von vielem, wo Naturwissenschaft und Kunst im Streit liegen – und wohl noch nie so weit auseinander lagen, wie in der heutigen, spezialisierten Zeit. Das Vorhaben, dies zu kitten, bleibt ein hilfloser, romantischer Versuch, mehr nicht…
Es wird klar, dass Ullrich Wannhoffs Buch kein herkömmliches Abenteuerbuch ist – trotz der so abenteuerlich anmutenden Unternehmung – sondern ein Versuch, ganz Verschiedenartiges zusammenzubringen: das unmittelbare Erleben, die Kunst, Reflexionen über Naturwissenschaft und Geschichte: es ist zu großen Teilen ein Gedanken-Buch.
Doch auch der Alltag des Paddlers im fremden Land kommt nicht zu kurz, mit seinen schönen Seiten wie auch seinen Problemen. Wir können seine Freude miterleben, wenn er Vögel beobachtet; er lässt uns an seinen Begegnungen mit den Bewohnern Kamtschatkas teilnehmen; plastisch schildert er die vergebliche Suche nach einem Platz zum Kampieren am überfluteten Ufer oder seine mühseligen Bestrebungen, die Batterien für seine Kamera aufzuladen. Es ist höchst interessant, was er unternimmt, um von den Bären ungeschoren zu bleiben. Und was mit seinen beiden Kameras im Verlauf der Reise geschieht, das verraten wir hier nicht. Nachlesen!!!
P. S. Ullrich Wannhoff paddelte auch in Deutschland, z.B. auf Spree und Peene, nochmals auf der Spree und dem Dämeritzsee, sowie in Kanada – als Eremit auf dem Second Christopher Lake und in verschiedenen Meeresbuchten; und er hatte dort am Saisonende im Herbst einen ganzen Provinzpark für sich allein.