… auch Paskoyak, Basquiaw, The Paw oder Opaskwayak genannt
Reblogged vom August 2018
English version here.
Wir hatten einen festen Reiseplan, wenig Zeit und noch einen weiten Weg vor uns, und deshalb wollten wir das Sam Waller Museum in The Pas eigentlich gar nicht besuchen. Aber als wir partout die Christ Church, ein wichtiges historisches Gebäude im Ort, nicht finden konnten, fragten wir im Museum nach, was zur Folge hatte, dass wir noch zwei Stunden länger in dem kleinen Städtchen im Westen Manitobas blieben – und jede Menge dazulernten.
Seit Jahrhunderten lebten hier Angehörige der Cree First Nation, vorwiegend von Jagd und Fischfang. Die in Europa bekannte Geschichte des Ortes begann mit dem damals 19jährigen Henry Kelsey, einem Angestellten der Hudson’s Bay Company, der – vermutlich als erster Nicht-Indigener – die Gegend bereiste, um Möglichkeiten für den Pelzhandel mit den Ureinwohnern zu erkunden, und 1690 hier überwinterte. Kelsey arbeitete danach noch lange Zeit für die Company und lernte mehrere Sprachen der sogenannten „Indianer“ (das verloren geglaubte Tagebuch seiner Expedition fand sich 1926 in Irland).
Ein halbes Jahrhundert später erkundete der Montrealer Forschungsreisende Pierre Gaultier de La Verendrye mit seinen Söhne die Regionen des heutigen Manitobas. Hier am Saskatchewan River gründeten sie 1743 den Handelsposten Fort Paskoyak, der aber schon Mitte der 1750er Jahre seinen Betrieb wieder einstellte.
1774 sandte die Hudson’s Bay Company Samuel Hearne aus, um „an einem Basquiaw genannten Platz am Ufer des Saskatchewan River“ ihren ersten Inlands-Handelsposten zu errichten. Da Hearne hier wenig Bauholz fand und die lokalen Cree ihn überzeugten, dass flussaufwärts an einem See ein günstiger Platz läge, gründete Hearne dort die Niederlassung Cumberland House. Sie liegt – in Luftlinie – nur 60 km entfernt von The Pas. Auf dem Saskatchewan River mögen es gut 100 km Ruderarbeit flussaufwärts bedeutet haben. Heute hat Cumberland House zwar eine Straßenanbindung, doch das sind von The Pas 320 km, großenteils grobe Schotterpiste. Es hätte (hin und zurück) mindestens 10 Stunden Autofahrt bedeutet … vielleicht können wir diesen geschichtsträchtigen Ort beim nächsten Mal besuchen?
Cumberland House war eine wichtige Station der Rae-Richardson-Expedition zur Aufklärung des unbekannten Schicksals der Franklin-Expedition. Die beiden unternahmen eine Überland-Expedition zum Great Slave Lake, um anschließend zur Mündung des Mackenzie River vorzudringen und die Küste bis zum Coppermine River und das gegenüberliegende Land (Victoria-Island) abzusuchen. Damit für diese langwierige Reise ausreichend Ausrüstung und Proviant zur Verfügung stand, wurde schon 1847 eine Voraus-Expedition mit zwanzig fähigen Leuten und vier großen Booten vorausgeschickt, um Depots anzulegen. Über Hudson Strait und Hudson Bay kamen die Männer bis zur Hudson’s Bay Station Cumberland House, wo sie überwinterten.
Fischen und Feuerholzbeschaffung hatten die Männer wohl nicht ganz ausgelastet – und hier kommt Sa-ka-chu-wes’cam („Der auf den Hügel geht“) ins Spiel, ein Cree, der zum Christentum bekehrt und auf den Namen Henry Budd getauft wurde. Zunächst als Farmer tätig, widmete er sich bald der weltlichen wie der geistlichen Bildung der indigenen Gemeinschaft; er war der erste ordinierte indigene Priester der Anglikanischen Kirche in Nordamerika.
1840 zog er mit seiner Familie nach Paskoyac, mit dem Auftrag, eine Missionsstation für die Cree aufzubauen. Zahlreiche Cree-Kinder besuchten seinen Schulunterricht, und er versuchte, die Versorgung mit Lebensmittel für die Gemeinschaft mit Gartenbau zu verbessern. Ab 1844 bekam er geistliche Unterstützung durch den weißen Reverend James Hunter, der allerdings ein doppelt so hohes Salär erhielt.
Für die Einrichtung der Kirche gab es tatkräftige Unterstützung von der Hilfsexpedition für Rae und Richardson aus dem „benachbarten“ Cumberland House. Diese fähigen Handwerker, darunter ausgebildete Tischler, bauten Kirchenbänke, Taufstein, Altargitter, Kanzel und Gebetspult.
Wir staunten nicht schlecht, als wir die Christ Church in The Pas schließlich fanden und uns erklärt wurde, dass dieses kunstvolle Mobiliar auch heute noch die Kirche ziert, wenn auch inzwischen restauriert und in einem erneuerten Gebäude. Erstmals sahen wir hier die 10 Gebote gedruckt in der Silbenschrift der Cree – eine Übersetzung von Sakachewescam alias Henry Budd. Er hat auch Teile der Bibel sowie Kirchenlieder in Cree übertragen.
Noch größer war die Überraschung, als wir erfuhren, dass Rae und Richardson selbst hier waren. Im März 1848 in Liverpool losgesegelt, erreichten sie im April New York und kurz darauf Montreal. Eine Mannschaft von Irokesen und Chippewa brachte sie schließlich nach Cumberland House – über The Pas!
Im Tagebuch des berühmten kanadischen Malers Paul Kane findet sich unter dem Datum 12. Juni 1848 der Eintrag: „Wir erreichten The Paw (sic!), wo mein alter Freund Mr. Hunter … mir ein herzliches Willkommen bot. … Wir trafen Sir John Richardson and Dr. Rae, mit zwei Kanus auf dem Weg zum Mackenzie auf der Suche nach Sir John Franklin.“ Das war damals zweifellos ein interessantes Zusammentreffen!
Es wird noch besser: Auch Sir John Franklin selbst hatte eine persönliche Beziehung zum heutigen The Pas. Auf der Überland-Expedition von 1819 reiste er auf dem Saskatchewan River und überwinterte in Cumberland House.
Auch bei der Expedition 1825-1827 kam er auf Hin- und Rückweg hier entlang. Schon 1819 hatte er die Cree-Siedlung Opaskwayak gesehen und empfahl der Church Missionary Society (CMS), hier eine Mission zu errichten – was letztlich zur Gründung der „Devon Mission“ durch Sakachewescam alias Henry Budd führte.
Beeindruckt von dieser „Insel der Zivilisation in der Wildnis“, veranlasste er, dass Lady Jane Franklin später der Devon Mission – heute „Christ Church“ – ein wertvolles Geschenk übersandte: eine Sonnenuhr aus Messing. Diese Sonnenuhr hatte lange ihren Platz im kleinen Devon Park vor der Kirche, bis Vandalismus ihr so zusetzte, dass sie nun einen sicheren Platz im Sam-Waller-Museum von The Pas gefunden hat.