reblogged vom März 2018
Nachdem die Pelztierjäger die Seekuh ausgerottet hatten – weil das Fleisch wie Rindfleisch schmeckte, wie dies der deutsche Naturforscher Steller in seinen Tagebuchaufzeichnungen 1740/41 beschrieben hat – war das Nächstliegende, auf den Kommandeur-Inseln Lachse zu fangen.
Die Fische dienten als Grundnahrung bei der Überwinterung auf der einsamen Insel und als Proviant für die Weiterfahrten im kommenden Frühjahr. Die Expansion verlief Richtung Osten, zu den unbekannten Aleuten-Inseln und zum Festland Amerika, von den russischen Seeleuten und Abenteurern unter der Führung reicher Kaufleute über die Jahrzehnte nach und nach erobert.
Geblieben über die Zeit ist der Fischfang, heute der einzige Erwerb auf der Bering-Insel. Die Fisch-Behörde in Kamtschatka teilt den Familien und Fischerbrigaden auf der Insel die Fluss-Reviere zu. Das kann von Jahr zu Jahr recht unterschiedlich sein.
Eine der Brigaden nimmt mich freundlicher Weise mit zum Fluss Podutjosnaya an der Westküste der Beringinsel. Am zeitigen Morgen ziehen dunkle Wolken auf, als würden sie schlechte Nachrichten ankündigen. Ich steige auf die offene Ladefläche des URAL’s. Das ist ein sowjetischer LKW, der die Wende vom Sozialismus zum Raubkapitalismus überlebte und sich in allen technischen Museen Westeuropas gut machen würde. Der über die Jahre deutlich sichtbare Verschleiß verrät nichts Gutes.
Auf der Ladefläche werde ich übermütig begrüßt, auch von zwei Fischern, die ich aus früheren Jahren kenne. Die Wodkafahne ummantelt mich herzlich. Wir fahren den steilen Dorfberg hoch, um auf der anderen Seite talwärts in Richtung Meeresufer zu gelangen.
Danach geht es auf einer aufgewühlten, schlammigen Straße parallel zum Ufer entlang. Umsäumt wird die Piste von Hochstauden wie Bärenklau, Greiskraut, Disteln und blau blühenden Eisenhut. Während der Hund über die Holzplanke bellt, flattern die auf den weißen Dolden sitzenden Petschora-Pieper davon.
Nicht lange, und der URAL steht. Die lange Motorhaube wird geöffnet und die Suche nach dem Fehler beginnt. Nach ein paar Handgriffen wird die Haube zugeknallt.
Doch einige hundert Meter weiter steht das Fahrzeug wieder. Ratlos öffnen Fahrer und Beifahrer die Motorhaube. Kein Benzin will in den Motor. Warum nicht, geht die Pumpe nicht? Ein Blick in den bauchigen Tank unter der Ladefläche verrät das Übel. Das Sieb ist voller Schlamm, der kein Benzin durchlässt.
Nach der Reinigung läuft es wie geschmiert, und wir fahren durch die Flüsse. Das schnell fließende Wasser kommt von den Bergen und füllt das Meer. Sobald die rotierenden Räder des Fahrzeuges das Kiesbett der Flüsse erreichen, spritzen hunderte von Buckellachsen auseinander. Wer will schon überfahren werden und das noch unter Wasser. Während der Fahrt wird eine Wodkaflasche herumgereicht. Jeder hat wohlbehütet ein Gläschen unter seiner Jacke. „Ulli, ein bisschen Kultur muss sein“, und ich nicke lächelnd.
Wir beziehen die Hütte in der Podutjonaya Bucht, die Iwan, eine Aleut, vorher schon beheizt hatte. Es wird in Ruhe ausgiebig gefrühstückt. Keine Eile, warum auch? Man begutachtet den Fluss mit runzelnder Stirn. Zu wenig Fische und zu viele abgelaichte Lachse, wird mir mitgeteilt.
Die Fischer spannen ein Netz über den Fluss. Mit diesem Netz laufen die Männer dem Meer entgegen und ziehen es kurz zuvor kreisartig zusammen. Hunderte Lachse zappeln im Netz. Die Abgelaichten werden sofort ins Wasser geworfen, die anderen kommen in Kisten.
Drei große Bottiche stehen auf der Ladefläche. Nur einer wird mit den Kisten gefüllt. Der zweite Versuch bringt noch weniger. Sie ziehen das Ölzeug aus und rauchen. Anschließend fahren sie lustlos zurück. Nicht ganz. Eine Wodkaflasche wird herum gereicht.
Im Dorf kommen die Lachse in verpackten Kisten in Kühlcontainer, und dort warten sie, bis das marode Schiff „Sawoika“ kommt. Es grenzt an Wunder, das dieses von Kamtschatka aus die Insel erreicht. Über dreißig Tonnen Lachs und Kaviar (in diesem Jahr viel zu wenig) verschwinden in den Ladeluken. Wohin danach? Keine Ahnung, vielleicht nach Moskau…