Dieser April, so fühlten wir, war viel zu kalt für uns hier in Deutschland. Fischer in Neufundland ärgern sich gerade über dichtes Packeis vor der Küste, wohingegen sich Touristikunternehmer über ein reiches Aufkommen an Eisbergen freuen.
Eis und Kaltluft im Frühling sollten jedoch keine Zweifel an der Tatsache der von Menschen verursachten globalen Erwärmung hervorrufen. Man braucht bloß mal einen Blick in die Arktis werfen. Nicht viele haben die Möglichkeit, dahin zu reisen, aber es reicht, sich aktuelle Fotos ansehen und die einschlägigen Zahlen und Daten über die Eisbedeckung und über das Tauen der Permafrostbodens zur Kenntnis nehmen.
Nicht nur die Fläche, auch die Dicke der Meereisbedeckung ist dramatisch zurückgegangen (siehe Fußnote). Die Erwärmung in der Arktis beeinflusst in sehr komplexer Weise Wettererscheinungen, Wind- und Meeresströmungen in anderen Regionen der Erde. Derzeit bewegen sich Eismassen von der Davis Strait (zwischen Grönland und Baffinland) nach Süden und belagern die Küste Neufundlands.
Die aktuelle Eiskarte zeigt eine hundertprozentige Eisbedeckung (weiss) nur noch im kanadischen Archipel; vor Neufundland aber gibt es nahe der Küste eine im Durchschnitt noch starke Eisbedeckung (hellgrau). Doch auch Eisbedingungen, die Fischerboote am Ausfahren hindern, sind nicht unbedingt immer gute Jagdgründe für Eisbären –mehr dazu auf den Seiten 185-194 in unserem Buch. Bürgermeister, Polizisten und Einwohner der Küstendörfer machen sich Sorgen über eine neue Gefahr: Eisbären streunen um die Dörfer. Ein paar Unbedarfte hingegen zücken ihr Smartphone, hoffen auf ein Selfie mit Eisbär im Hintergrund und überlegen, ob sie das Tier dafür nicht mit etwas Fleisch anlocken können.
Wo Eisbären und Menschen dicht aufeinandertreffen, ist ersterer in der Mehrzahl der Fälle schon so gut wie tot. Aus Sicherheitsgründen, wegen potentieller Gefahr für Leib und Leben oder in tatsächlicher Notwehr wird er erschossen. Nur in wenigen Fällen stehen die aufwendigen Möglichkeiten und Mittel zur Verfügung, den Eisbären mittels Betäubungsspritze ruhig zu stellen und mit einem Helikopter in unbewohnte Regionen auszufliegen.
In einigen Fällen lässt sich ein Eisbär, der sich außerhalb seines natürlichen Habitats in die Nähe menschlicher Siedlungen begeben hat, mit Schreckschussmunition verjagen. In vielen Fällen aber kommt er bald wieder – aus Hunger oder aus Neugier: es riecht doch so interessant, wo Menschen wohnen, und man könnte vielleicht etwas zwischen die Zähne oder in den Magen bekommen.
Die eisfreie Periode vor der Küste Labradors ist mittlerweile 18 Tage länger als noch vor 10 Jahren – daher sieht man die Eisbären, die nicht mehr auf dem Packeis nach Robben jagen können, vermehrt auf dem Land, wo sie nach Essbarem suchen. Sie fressen kleinere Tiere, Vogeleier und sogar Pflanzen (Vgl. Buch S. 193) – vielleicht genug zum Überleben, aber nicht ausreichend, um satt zu werden und hunderte Kilometer lange Schwimmstrecken (Vgl. Buch S. 172) zurück zum Eis zu überleben. Auch wenn nun gelegentlich in Neufundland, Labrador und anderswo mehr Eisbären in der Nähe von Siedlungen gesichtet werden als früher, sind dies nur selten starke, gesunde Tiere, die viel Nachwuchs (Vgl. Buch S. 199-205) hervorbringen werden.
(Fußnote) Die Fläche des arktischen Eises – im Sommerminimum – hat seit in den letzten 30 Jahren dramatisch abgenommen (1982: 7,5 Mio. km²; 2012: 3,4 Mio. km²; 2016: 4,1 Mio. km²); zudem hat die durchschnittliche Eisdicke stark abgenommen, so dass es auch im Wintermaximum viel weniger dickes, mehrjähriges Eis gibt als früher. Diese Verluste traten viel rascher ein als bisher prognostiziert; bleibt der gegenwärtige Trend erhalten, könnte es sein, dass wir bereits 2040 einen eisfreien Sommer in der Arktis erleben. Was das für das Weltklima und für uns alle bedeuten kann, will ich hier gar nicht diskutieren, sondern vorerst nur daran erinnern, dass die Zukunft der Eisbären mit der des arktisches Meereises verbunden ist.
Alle Seitenangaben im Text beziehen sich auf unser Buch „Eisbären – Wanderer auf dünnem Eis„.