reblogged vom 3. Juni 2014
Seit Shakespeares „Ein Wintermärchen“ wissen wir, dass Böhmen am Meer liegt: „Bohemia. A desert country by the sea.“ Grund genug hier auf dem Trimaris-Blog an Franz Kafka, den Schriftsteller aus Böhmen, zu erinnern, der heute vor 90 Jahren [reblog-edit: inzwischen sind es mehr als 95 Jahre] in Wien gestorben ist und wie Shakespeare zu den bedeutenden Autoren der Weltliteratur gehört.
Genau vor 100 Jahren [reblog-edit: inzwischen sind es über 105 Jahre] verlobte Kafka sich mit der im Berliner Prenzlauer Berg (Immanuelkirchstrasse 29) wohnenden Felice Bauer; es begann eine komplizierte Beziehung zwischen Annäherung und Abgrenzung, Verlobung und Entlobung. Sie wechselten hunderte Briefe, sahen sich aber nicht sehr oft. In den zweieinhalb Jahren bis zur endgültigen Trennung von Felice Bauer schrieb Kafka wichtige Erzählungen: „In der Strafkolonie“, „Die Verwandlung“, „Ein Bericht für die Akademie“ und arbeitet am Roman „Der Process“. Das meiste davon entstand in einem kleinen Häuschen, das Kafkas Schwester für ihn in der Prager Alchimistengasse angemietet hatte.
In „Ein Bericht an die Akademie“ beschreibt Kafka den ungewöhnlichen Vorgang der „Menschwerdung“ eines in Afrika gefangenen Menschenaffen, der vor die Wahl gestellt, ob er lieber im Zoo oder im Varieté auftreten möchte, sich umgehend für die zweite Variante entscheidet.
Das ganze Szenarium erinnert uns sofort an Freak Shows oder auch an die Hagenbeckschen Völkerschauen und ähnliche Vorführungen, für die sogenannte „Wilde“ aus Samoa, aus Grönland und Labrador, aus Afrika und vielen anderen Teilen der Welt zur Bildung und Belustigung eines neugierigen Publikums mehr oder weniger freiwillig engagiert wurden. Auch Prag war ein Ort für solche Darbietungen.
Wissenschaftler wie Virchow oder Boas nutzten auch Völkerschauen für ihre anthropologischen Studien, wobei damals die Messungen von Schädeln und Gliedmaßen zum Teil auch Hypothesen einer angenommenen Überlegenheit der Europäer gegenüber den wohl bald aussterbenden „primitiven“ Völker stützen sollten.
Material für weitere derartige Studien wurde auch von Forschungsreisenden besorgt, die in der ganzen Welt begierig Gräber plünderten, Leichen skelettierten und vermutlich sogar vor Auftragsmorden nicht zurückschreckten, um an ganz besonders spektakuläres „Material“ zu kommen.
Kafka wäre nicht Kafka, wenn sich solche wie die gerade beschriebenen Vorgänge nur eindimensional in „Ein Bericht an die Akademie“ wiederfinden würden. Die Erzählung ist natürlich viel komplexer und bietet viele Möglichkeiten zur Interpretation – damals wie heute. „Kafkaesk“ ist sie auf jeden Fall.
Bestimmte aktuelle Entwicklungen und Ereignisse – das Ausgeliefertsein gegenüber Überwachungsmechanismen und mangelnde Möglichkeiten der Einflussnahme auf weitreichende politische Entscheidungen etc. – fordern regelrecht dazu auf, sich wieder einmal intensiver mit Kafkas Werken auseinanderzusetzen – nicht nur weil sich gerade heute [reblog-edit: am 3. Juni] sein Todestag jährt.
reblogged vom 3.Juni 2014 by Wolfgang Opel