reblogged – vom 31.10.2013
Es gibt viele Bücher über Polarreisende wie John Franklin, Robert E. Peary, Robert Falcon Scott, Ernest Shackleton oder auch Roald Amundsen. Manche von ihnen waren gescheiterte Helden wie Franklin und Scott, die bei ihren Reisen den Tod fanden, oder Peary, dessen unbestreitbaren Erfolge durch seinen selbstsüchtigen Charakter und das vermutliche Märchen von der „Eroberung“ des Nordpols nahezu aufgehoben wurden.
Andere waren erfolgreicher: Amundsen befuhr als erster die Nordwestpassage und siegte am Südpol, starb aber einsam in der Arktis, als er Leben retten wollte. Shackleton scheiterte am Südpol und bei der Durchquerung der Antarktis, rettete aber alle seine Mitreisenden vor dem sicheren Tod in der Kälte.
Dieser berühmten Reisenden, Helden oder Nicht-Helden, und ihren Eroberungen wird in unzähligen Büchern, Artikeln, Filmen und Ausstellungen gedacht, doch waren sie allein unterwegs? Wer hat ihre Schlitten gezogen, ihre Boote gesteuert, wer hat diese repariert, wenn sie durch Sturm, Eis und Kälte beschädigt wurden? Wer hat das Essen zubereitet, wer hat gejagt, wer hat sich um die Kranken und Toten gekümmert? Auch hier gelten Brechts Fragen nach den Bauleuten des siebentorigen Thebens und den Eroberern Indiens und „Wer bezahlte die Spesen? So viele Berichte. So viele Fragen.“
Einer dieser unbekannten „Mitreisenden“ war der aus Gingst auf Rügen stammende Wilhelm Friedrich Carl Nindemann, der vor 100 Jahren 63jährig in New York gestorben ist. Nindemann, der schon früh Halbwaise geworden war, sollte nach der Schule Schmied werden. Doch nach wenigen Tagen brach er die Lehre ab und heuerte bei seinem Onkel auf Wittow an, um auf dessen Schoner Ost- und Nordsee zu befahren.
Bald danach, mit 19 Jahren, brach er nach Amerika auf, um 1871 von New York über Upernavik, Grönland, auf seine erste Arktisreise an Bord der Polaris unter Charles Francis Hall zu gehen.
Diese Nordpol-Expedition war eine besonders dramatisch verlaufende Arktisreise, die zwar mit 82°11′ nördlicher Breite dem Nordpol am nächsten gekommen war, bei der aber Hall selbst unter bis heute ungeklärten Umständen ums Leben kam. Mit Halls Tod eskalierten die Konflikte zwischen Kapitän, Wissenschaftlern und Mannschaft, für die auch Spannungen zwischen den amerikanischen und deutschstämmigen Seeleuten verantwortlich gemacht wurden. Ein Teil der Mannschaft, der sich auf einer Eisscholle in Sicherheit gebracht hatte, war während eines Sturms von dem angeschlagenen Schiff getrennt worden. Nindemann hat darüber in seinem Buch über seine Arktisreisen berichtet. Nur die Anwesenheit zweier erfahrener Inuit mit ihren Familien rettete den Versprengten das Leben, wie Nindemann schrieb. Es waren die noch heute hochgeachteten Ipiirviq (Ebierbing) von Baffin Island und Suersaq (Hans Hendrik) aus Grönland.
Nach einer Drift von sechs Monaten und 2900 km auf immer kleiner werdenden Eisschollen wurden die fast Verhungerten schließlich vor der Küste Südlabradors gerettet. Nindemann zögerte nicht lange und schloss sich einer weiteren Reise nach Nordgrönland an – auf der Suche nach der Polaris und der restlichen Mannschaft. Das Schiff war bereits im Jahr zuvor untergegangen, doch die bis zum Schluss an Bord verbliebene Besatzung hatte mit Hilfe der Inuit von Etah in Nordgrönland überlebt.
Aus dem Jungen von Rügen war ein erfahrener Polarreisender geworden, der sich 1879 einer von George W. DeLong geleiteten amerikanischen Expedition mit der Jeannette in Richtung Nordpol, diesmal entlang der Nordküste Sibiriens, anschloss. Aber auch diese Expedition scheiterte. Die Jeannette sank im Eis, und die Besatzung rettete sich in drei Boote, mit denen sie versuchte, die Lena-Mündung zu erreichen. Ein Boot samt seiner Besatzung wurde nie wieder gesehen, die beiden anderen gelangten an Land, allerdings weit von einander entfernt. DeLong schickte Nindemann und Louis P. Noros aus, um nach Hilfe zu suchen. Die beiden trafen zwar auf die Besatzung des anderen Bootes, als sie jedoch endlich Hilfe bringen konnten, waren DeLong und seine Gefährten bereits gestorben.
DeLongs Arm soll über den Schnee hinaus auf die Leichname seiner Gefährten gezeigt haben. Neben ihm lag sein Tagebuch, aus dem die letzten Tage der Verstorbenen rekonstruiert werden konnten. In der Nähe des Lagerplatzes auf Amerika-Khaya (Америка-Хая) wurde ein Kreuz zum Gedenken an die Verstorbenen errichtet. Noch heute wird hier an DeLong und die gescheiterte Jeannette-Expedition erinnert.
Nach der Rückkehr in die USA setzte Nindemann in den folgenden Jahren seine seemännische Karriere fort. Er beschäftigte sich mit der Entwicklung nautischer Geräte und meldete u. a. auch ein Patent zur Anzeige von Schräglagen eines Bootes an. Während des russisch-japanischen Krieges 1904/1905 überführte er U-Boote nach Japan.
Als Nindemann 1913 starb, hinterließ er einen Sohn. Ob es noch heute Nachfahren in den USA oder Verwandte auf Rügen gibt, konnte bisher nicht ermittelt werden. Es wäre jedenfalls Zeit, dass zumindest in Gingst an den „unbekannten, großen Sohn“, den Arktisreisenden, Erfinder und Buchautor Wilhelm Friedrich Carl Nindemann erinnert wird, der 1890 in den USA mit einer Tapferkeitsmedaille geehrt worden war. Der Schokoladen-Hersteller FÉLIX POTIN ist der Gemeinde Gingst beim Gedenken an Nindemann allerdings schon zuvor gekommen!
von Wolfgang Opel; ursprünglich gepostet am 31.10.2013, hier reblogged wegen Stillegung dea alten Blogs und Umzug auf neue Domain
Beste Grüße an Lori und Herrn Opal. Loris Großvater Wilhelm Nindemann ist ein großer Held der Polarfahrt. In dem großartigen Buch von Hamton Sides, in the kingdom of ice, das auch in deutscher Sprache erschienen ist, wird seine Rolle hinreichend gewürdigt.
Es wäre wünschenswert, wenn sich ein Historiker/Schriftsteller vertieft mit Wilhelm Nindemann beschäftigen und ein eigenständiges Buch herausgegeben würde. So wurden bereits die „unbesungenen Helden“ wie Tom Crean von Michael Smith und Frank Wild von keinem geringeren als Reinhold Messner einer breiten Öffentlichkeit bekannt gemacht.
Es wäre mir jedenfalls eine große Freude mehr über Wilhelm Nindemann zu erfahren.
Best regards to Lori and Mr Opal. Lori’s grandfather Wilhelm Nindemann is a great hero of the polar voyage. In the great book by Hamton Sides, in the kingdom of ice, which has also been published in German, his role is sufficiently acknowledged.
It would be desirable if a historian/writer would deal with Wilhelm Nindemann in depth and publish an independent book. Thus, the „unsung heroes“ such as Tom Crean by Michael Smith and Frank Wild by none other than Reinhold Messner have already been made known to a broad public.
In any case, it would be a great pleasure for me to learn more about Wilhelm Nindemann.
Do you know that there is a book by Wilhelm Nindemann about his Arctic expeditions published in Zürich in 1885?
Thank you for publishing this article honoring the extraordinary life of my Great Great Grandfather William F.C. Nindemann. A few years ago I inherited several old trunks that belonged to my Mother who passed away 20+ years ago containing what remains of Nindemann’s belongings. They had been stored away in the attic of my family home for 40+ years, essentially forgotten until my Father decided to clean out the attic and delivered the trunks that had been passed down from my Mom’s side of the family to me. It’s been quite the journey learning about his life and heroic endeavors through what’s left of his personal items, photos, books, and articles such as this that I’ve been able to find online. Please feel free to contact me if you have any questions or would like to see photos of his aforementioned belongings that I have since inherited. I would love to learn more about him and his family if at all possible.
Hi Lori,
thank you so much for your comment. I was always interested in to hear more about Nindemann because he is nearly forgotten in polar history! I’ll send you an email.
Best regards Wolfgang