In der Gegend um Churchill an der Mündung des gleichnamigen Flusses im Norden Manitobas versammeln sich derzeit die Eisbären. Sie warten darauf, dass sich auf der Hudson Bay eine Eisdecke bildet, die ihnen ermöglicht, nach langer Jagdpause und Fastenzeit endlich wieder an ihre Hauptnahrung zu kommen: Robben.
In der selbsternannten „Eisbären-Hauptstadt der Welt“ läuft nun der Tourismus auf Hochtouren. Inzwischen ermöglicht sogar Google Street View Einblicke in die kleine Arktisgemeinde an der westlichen Hudson Bay. Nirgendwo anders auf der Welt ist die Beobachtung von Eisbären in ihrer arktischen Umgebung so einfach, so gut organisiert und zudem auch noch vergleichsweise bequem und komfortabel, wenngleich auch ziemlich kostspielig. Der sogenannte “Tundrabuggy” oder „Polar Rover“ ermöglicht die Begegnung mit den Königen der Arktis auch auf sehr kurzer Distanz.
Hoffentlich ist ab Mitte oder wenigstens Ende November neues Eis da, das fest genug für die Tatzen und das Gewicht der Eisbären ist. Die hungrigen Tiere sind begierig, aufs Eis zu kommen, ihre „Jagdplattform“, um endlich wieder den Ringelrobben und Bartrobben nachstellen zu können. Seitdem im Juli das Eis verschwunden war, hatten sie monatelang nichts Gutes mehr zwischen die Zähne bekommen.
Der Winter und das Frühjahr sind noramlerweise eine gute Zeit, nahrungsreiche Zeit für die Eisbären. Obwohl sie ausdauernde Schwimmer sind, haben sie im Wasser kaum jemals eine Chance, eine Robbe zu erwischen. Die Jagd vom Eis aus dagegen haben sie perfektioniert, und fette Robben liefern ihnen ausreichend Nahrung, um sich selbst die Fettvorräte aufzubauen, mit denen sie die „Fastenzeit“ im Spätsommer und im Herbst überstehen können.
Die globale Erwärmung, die in der Arktis viel stärker und auch weit deutlicher wahrnehmbar ist als in unseren gemäßigten Breiten, hat viele Eisbärenpopulationen in Schwierigkeiten gebracht. Die Hudson Bay taut im Durchschnitt früher auf, und die winterliche Eisdecke bildet sich später als noch vor 10-20 Jahren. Die Jagdsaison der hiesigen Bären auf dem Eis verkürzt sich dadurch um 4 Wochen oder mehr, und sie verbringen viel mehr Zeit auf dem Land, wo sie nicht ausreichend oder gar nicht fressen.
Die Inuit in den Gemeinden an der Bay beklagen daher, dass sie von hungrigen Eisbären geradezu belagert werden – viel mehr als früher. Auf der Suche nach etwas Essbarem besuchen die Tiere die Mülldeponien und durchwandern sogar die Siedlungen, besonders nachts.
Den Schlussfolgerungen mancher Inuit – es gäbe jetzt viel mehr Eisbären als früher, also müssten die Jagdquoten erhöht werden – folgen die führenden Eisbär-Forscher allerdings nicht, denn sie stützen sich auf wissenschaftliche Daten anstelle von anekdotischen Beobachtungen.
Die Auswertung dieser Daten zeigt, dass die Zahl der Eisbären in der westlichen Hudson-Bay-Region rückläufig ist; dass die Bären zudem im Durchschnitt etwas kleiner und dünner als in den Jahrzehnten zuvor sind, und dass sie nicht mehr so viele Junge aufziehen.
Man weiß natürlich nicht, woran der hier abgebildete Eisbär gestorben ist. Vielleicht war er ja altersschwach. Jedoch wird es in vielen arktischen Regionen immer schwieriger für die Tiere. Vor zwei Jahren wurde eine Studie veröffentlicht, die 2001 begann und zeigt, dass die Anzahl der Eisbären in der südlichen Beaufortsee innerhalb von 10 Jahren um 40 Prozent gesunken ist. Unter anderem beobachtete man dabei zwischen 2004 und 2007 80 Eisbärenbabys, von denen ganze zwei Tiere überlebten! Die Ursache des drastischen Rückgangs vermuten die Wissenschaftler darin, dass sich, anders als früher, das Packeis im Sommer jetzt viele hunderte Kilometer weit von der Küste zurückzieht; die Eisbären müssen entweder mit nach Norden ziehen, wo es aber viel weniger Robben gibt, oder sie schwimmen ans Land. Die Populationsgröße – 2004 waren es noch 1600 Eisbären – schien sich seit 2007 bei etwa 900 zu stabilisieren. Doch die Inuit an der Küste Alaskas machten in diesem Herbst verstörende Beobachtungen: es ist viel zu warm, es bildete sich immer noch kein Eis, und sie sahen viele magere, hungrige Bären.
Werden um die Mitte des Jahrhunderts noch Eisbären in der Arktis zu sehen sein, wenn es uns nicht gelingt, die Treibhausgasemissionen drastisch zu reduzieren? Dieses Szenario halten Wissenschaftler für durchaus realistisch. Ob eines Tages die Eisbären in den Zoos sogar die letzten Vertreter ihrer Spezies sein könnten?
Die Fragen um die Zukunft des Eisbären und die ganz unterschiedlichen Vorstellungen zu ihrer Beantwortung spielen auch in unserem Buch „Eisbären – Wanderer auf dünnem Eis“ eine wichtige Rolle.
Hier gibt es noch mehr Betrachtungen anlässlich der „Polar Bear Week“