Schicksalswende für Miertsching und die Investigator-Crew

Genau vor 170 Jahren, am 14. Oktober 1852, kehrte ein Schlittentrupp unter Leutnant Mecham zum Winterlager der Schiffe Resolute und Intrepid bei Dealy Island zurück. Mittels eines Lastschlittens, beflaggt mit dem Motto „Per mare, per terram, per glaciem“, hatten sie auf Melville Island ein Depot mit Versorgungsgütern und Lebensmitteln angelegt. Damit sollten im kommenden Frühjahr längere Erkundungsexpeditionen per Schlitten ermöglicht werden.
Auf dem Rückweg hatte Mecham am 12. Oktober an einem markanten Sandsteinfelsen oberhalb von Winter Harbour haltgemacht: Parry’s Rock.

Parrys Rock 1990 Grant-Jannasch
Parry’s Rock 1990, im Vordergrund der berühmte Arktispilot Duncan Grant und Miertschings Urenkel Holger Jannasch. – Foto © Jannasch Collection

„Der große Sandsteinfelsen in Form einer langgestreckten Stumpfpyramide überragt das umliegende flache Land und ist schon aus größerer Entfernung erkennbar. Seinen Namen erhielt er wegen der tief eingeschnittenen Inschrift, die an Parrys Überwinterung erinnert: »His Britannic Majesty’s ships Hecla and Griper, Commander Parry and Lyddon, wintered in the adjacent harbour during the winter of 1819-20, A. Fisher« …“ (Zitat aus unserem Buch: Weil ich ein Inuk bin. Johann August Miertsching – ein Lebensbild).

Kuperzylinder
Relikte der Franklin-Expedition. In solchen Zylindern wurden an markanten Punkten der Arktis Nachrichten hinterlegt. – Foto: © Wolfgang Opel

Mecham wollte gerade die über 30 Jahre alte Inschrift vom Aufenthalt Parrys mit den Namen und Daten der eigenen Expedition ergänzen, da rollte ihm ein Kupferzylinder vor die Füße. Der enthielt eine Nachricht von Kapitän McClure vom April, die über die Entdeckung der Nordwestpassage und den Verbleib seines Schiffes Investigator informierte, das 270 km südwestlich von hier im Eis der Mercy Bay auf Banks Island gefangen lag.
Mechams Fund sollte eine Schicksalswende für die Männer auf der Investigator bedeuten, die schon zwei Winter im Eis der Arktis verbracht hatten – die ahnten davon jedoch nichts.

Resolute und Intrepid im Winterquartier - McDougall
Resolute und Intrepid im Winterquartier. Zeichnung von George F. McDougall

Mecham eilte umgehend zurück zur Resolute, um Kapitän Kellet diese wichtige Nachricht zu überbringen. „Der einbrechende Winter machte es jedoch unmöglich, der Investigator noch im gleichen Jahr zur Hilfe zu kommen. Im März 1853 meldete sich Leutnant Pim freiwillig, um nach dem Schiff zu suchen. Mit einem von sieben Männern gezogenen Lastschlitten und einem Hundeschlittengespann machten er und der Schiffsarzt Dr. Domville sich am 10. des Monats auf den Weg. Extremes Wetter mit orkanartigen Schneestürmen verzögerte das Vorankommen des Trupps um viele Tage. Der Lastschlitten war dem mühseligen Weg über die „Hummocks“, die Presseishügel, nicht gewachsen und zerbrach. Bei eisiger Kälte beschloss Pim, den Rest des Weges nunmehr allein mit dem Hundegespann und nur zwei Männern zurückzulegen. Nach 28 Tagen waren sie gerade noch rechtzeitig eingetroffen …“ (Zitat aus unserem Buch).

Pim findet die Investigator
Leutnant Pim findet die Investigator. Buchillustration von 1877

Pims Ankunft bedeutete die Rettung für die meisten der inzwischen von Hunger und Krankheit gezeichneten, schwachen Männer auf der Investigator. Ihnen stand jedoch noch ein Gewaltmarsch über das zerklüftete Packeis nach Dealy Island zu den Schiffen Resolute und Intrepid bevor.

Cresswell, Hummocks
Die Schlittentrupps hatten mit den schwierigsten Bedingungen zu kämpfen, um über das Packeis zu kommen. Zeichnung von S.G. Cresswell

Johann August Miertsching schrieb im Tagebuch über den Teil der Mannschaft, der dort Tage nach ihm selbst eintraf: „Diesen traurigen Anblick, der sich hier uns darbot, werde ich in meinen Leben nicht vergessen. Auf jeden der 4 Schlitten lagen 2 Krancke festgebunden; andre ganz Entkräftete wurden von ihren etwas stärckeren Kameraden geführt; wieder andre hielten sich und lehnten an die Schlitten, und diese wurden von einer Mannschaft gezogen, wo mehrere ihrer Füße nicht mächtig alle 5 Minuten wieder hinfielen und von ihren Gefährten, dem Kapitain oder denen Officieren aufgerichtet werden mußten. Dieses Bild des Elendes erinnerte mich an die unglückliche Francklinsche Expedition …“ (Zitat aus unserem Buch). – Nicht auszudenken, was aus der Mannschaft der Investigator geworden wäre, wenn Mecham den Zylinder mit McClures Nachricht übersehen hätte!

Warum die Mannschaft der Investigator dann aber noch einen vierten Winter im Eis verbringen musste, kann man in unserem Buch im Kapitel „Ums Überleben“ nachlesen.

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