„Wir müssen gegen unsern Willen in dieser traurigen Einöde verbleiben“

Bei uns geht gerade ein heißer Sommer zu Ende. Doch als Johann August Miertsching vor 170 Jahren den obigen Satz notierte, hatte in der Mercy Bay (Banks Island, im Hohen Norden Kanadas) bereits der Winter das Regime übernommen. 1852 war der Sommer dort extrem kühl, und entgegen aller Hoffnungen war Ende August das Eis nicht aufgebrochen; lediglich ein schmaler Wasserstreifen in Ufernähe hatte den Männern den Weg vom Schiff zum Land erschwert. Nun war auch der wieder fest zugefroren, der Boden bereits von Neuschnee bedeckt, und sämtliche Wasservögel waren längst auf dem Weg nach dem Süden.

Cresswell - HMS Investigator nahe Mercy Bay.
Als HMS Investigator in der Mercy Bay Zuflucht suchte, ahnte niemand, dass das Schiff die Bucht nie mehr verlassen wurde.
Nach einer Zeichnung von S.G. Cresswell

Von der Spitze der Hügel aus konnte man jenseit des Eises Melville Island ausmachen, doch es blieb unerreichbar. Das Schiff, HMS Investigator auf der Suche nach der verschollenen Franklin-Expedition, war im Eis gefangen. Miertschings Beschreibung, wie die Männer „mit hängenden Köpfen und hungrigen Magen herumschleichen“ und „der mit Sorgen belastete Kapitän … auf einsamen Wanderungen auf den Bergen“ Trost sucht, zeichnet ein Bild der Hoffnungslosigkeit. Dennoch versuchte er, anderen Mut zu machen, indem er zu kleinen, privaten Versammlungen einlud, bei denen er auch aus der Bibel las; gemeinsam beteten die Männer um die „Hilfe des Herrn“, und es muss ihm zumindest zeitweise gelungen sein, die Verzweiflung zurückzudrängen und der Hoffnung wieder Raum zu geben.

Cresswell, View of Melville Island
Unüberwindbares Eis liegt zwischen der Mercy Bay und Melville Island.
Zeichnung von S.G. Cresswell

Den Kapitän von HMS Investigator, Robert McClure, beneidete Miertsching wahrlich nicht um seine Verantwortung für die 65 Männer: „Er zeigte immer besonders in Gegenwart der Officiere und Mannschaft den besten Muth und stärckste Hoffnung, aber in seinem Innern war es ganz anders; als ein erfahrener Seeman im Eismeer, wo er schon zum drittenmal war, kannte und wusste er vielmehr als irgend jemand auf dem Schiff; die vielen Gebete und Seufzer in seiner Kajüte und bei unsern einsamen Wanderungen auf dem Lande und Eise besagten viel mehr als er mit Worten äußerte„.

Eis
Nichts als Eis …
In der kanadischen Arktis

Den Männern blieb nichts weiter übrig, als sich dem Unausweichlichen zu stellen, „denn jede Hoffnung ist verschwunden, dieses Jahr aus dem eisigen Gefängnis erlöst zu werden.“ Miertsching ergänzt diese Feststellung mit einem Auszug aus George Bokers „A Ballad of Sir John Franklin“: „The winter went, the summer went, The winter came around; But the hard green ice was strong as death, And the voice of hope sank to breath“ [sinngemäß: Der Winter ging, der Sommer ging, der Winter kam zurück; aber das harte grüne Eis war stark wie der Tod, und die Stimme der Hoffnung sank zu einem Flüstern]. Sie mussten sich nun für ihren dritten Winter im Eis einrichten und das Schiff zum Winterquartier umrüsten …

Sartain's Magazine, Mai 1850
Seite aus Sartain’s Magazine, Mai 1850, mit dem Abdruck von Bokers Ballade

Das Schiff kam nie mehr frei. Noch heute liegt das Wrack auf dem Grund der Mercy Bay. Mehr über das Schicksal der Mannschaft von HMS Investigator bei der Suche nach der verschollenen Franklin-Expedition, ihren dritten Winter im Eis, ihre Rettung und den Lebensweg von Johann August Miertsching erfährt man in unserem Buch „Weil ich ein Inuk bin„.

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