reblogged vom 2. August 2012
Sehnsuchtsvoll segelte die Crew um Vitus Bering im August 1741 in Richtung Westen, denn dieser Kurs war in den Gehirnen der Seeleute mit den Gefühlen von Heimat und Geborgenheit verbunden. Die Heimreise war beschlossen und in einer „verfassten Schrift von dem ganzen Commando bis auf den Bootsmannsmaar (aber wie stets gewöhnlich, nicht von mir) unterschrieben;“ so formulierte der ungeduldige Steller in seinem Reisejournal von Kamtschatka nach Amerika; denn er selbst möchte noch viel, viel mehr unbekanntes Land erkunden. Nachdem die Crew Kayak Island verlassen hatten, sichteten sie Anfang August häufig Inseln in nur wenigen Meilen Entfernung. Widrige kalte Westwinde behinderten ein schnelleres Vorwärtskommen. Oft versteckten sich die schroffen, felsigen grünen Inseln im Seenebel und tauchen plötzlich auf, um gleich wieder zu verschwinden.
Am 10. August beobachtet Steller eine ungewöhnliches Seegeschöpf. Er schrieb: „Es war ohngefähr zwey russiche Ellen lang; der Kopf glich einen Hundekopf, mit spitzigen aufgerichteten Ohren. Von der Ober und Unterlippe hingen auf beyden seiten Bärte herab. Die Augen waren groß; der Leib war lang, ziemlich dick und rund, gegen den Schwanz allmählich abnehmend. Die Haut schien dicht mit Haaren bewachsen, welche auf den dem Rücken eine graue, am Bauch aber eine weißrötliche Farbe hatten; im Wasser aber sah das ganze Thier roth, wie eine Kuh aus.“ Bis dahin könnte man mit wenig Phantasie einen Seebären herauslesen. Ich sah auf den Liegeplätzen der Seebären einige Tiere, deren Unterseite leicht rötlichbraun bis weißgrau gescheckt war. In ausgestreckten Zustand lagen die Pelzrobben in der Sonne und mit dem Bewegen der Flossen verschafften sie sich Kühlung. Mit großer Sicherheit färbten eisenhaltige Mineralien, die am Strand liegen, das Fell. Die rote Oxidasche war möglicherweise infolge aktiven Vulkanismus an den Strand geworfen worden und hatte das Fell rot braun eingefärbt. Weiter schreibt Steller: „Der Schwanz war in zwey Finnen gespalten, wovon die obere, wie bey Hahnen, doppelt so lang als die untere war. Nichts schien mir wunderbarer, als dass weder Vorderfüße noch Finnen an deren Statt zu sehen waren.“Ein realer Vergleich lässt sich kaum heranziehen. Die Hinterflosse der Seebären besitzen eine hahnenähnliche Form und die Außenkante ist im Verhältnis zur Innenseite der Flosse länger. Während des Schwimmens zeigen sich die beiden Hinterflossen nie gleichzeitig an der Wasseroberfläche, so dass optisch eine Unterschiedlichkeit wahrnehmbar ist. Die Seebären können auch, wie es Steller beschrieb, mit einem Drittel des Körpers senkrecht herausschauen. Steller bekam erst auf der Beringinsel den ganzen Körper der Seetiere zu sehen und kannte vorher nur Abbildungen aus Büchern, die oft nur aus dem Erzählen unkorrekt nachgezeichnet wurden. Dem akribischen Beobachten und Beschreibungen von Steller stelle ich meine Vermutung entgegen – ein Versuch aus meiner Sicht, gestützt auf meine Erfahrungen und Beobachtungen – darin ein Seebären zu sehen.
„Wir kamen aber in der Nacht so weit, dass wir den 29. August morgens fünf Eyländer deutlich wahrnehmen konnten, hinter welchen auf 10 bis 12 Meilen das feste Land sich zeigte.“ Steller schreibt über die ersten Inseln der Schumagin-Inselgruppe auf der westlichen Seite (Near-, Turner-, Bende-, Big Koniuji- und Bird Insel), und das feste Land ist die Halbinsel Alaska mit den zwei großen Schneebedeckten Vulkanen Pavlovs, deren Höhe über 2.000 Meter liegt und ich am 13. Juli 2012 sah. Fünfzehn Hauptinseln und viele kleine vorgelagerte Felsen gehören zu dieser Inselgruppe an, die am Anfang der westlichen Aleuten stehen: die Aleutians East Borough. Danach erstreckt sich 1750 Kilometer lange Inselkette nach Westen bis hin zu den Kommandeurinseln, die zu Russland gehören. Das ist ein weiter beschwerlicher Weg, den die Crew um Bering noch zu segeln hat. Am 30. August fallen die Anker vor der langen zerklüfteten Insel Nagai, und es wird eine Wasserstelle zum Auffüllen des Frischwassers gesucht, die für die Heimreise äußerst wichtig ist. Anders als bei der kritischen und spannungs-reichen Situation, die Steller mit Bering auf Kayak Island durchlebt hatte, darf der Franke diesmal sofort mit den Wasserholern an Land und bemühte sich sogleich, einen günstigen Wasserplatz oder verschiedene Quellen zu finden, „…die sehr gutes und gesundes Wasser hatten. Indessen war von den Seeleuten die erste und und nächste stehende Pfütze gewählt, auch schon ein Anfang zum Transport gemacht worden. Weil ich nun an dem Wasser auszusetzen fand, dass es ein stehendes kalkisches Wasser sey, welches sogleich im Kochen mit Thee, und nachgehendes bey der Probe mit Seife verrieth; ich auch am Strande bemerken konnte, dass es mit der See ab- und zu nahm, folglich brack seyn musste, welches sich auch beym dem Geschmack sogleich verrieht, so schlug ich die von mir gesunden Quellen zum Wassermachen vor, wovon ich eine Probe bey einem mündlichen Bericht, nach dem Fahrzeuge schickte, und besonders erinnerte, daß von dem Gebrauch dieses Wassers sich der Scharbock [Skorbut] schleunig vermehren, und die Leute wegen der Kalkhaftigkeit austrocknen, und von Kräften kommen würden; ja dass dieses Wasser nach kurzer Zeit im Fahrzeuge von Tag zu Tage an Salzigkeit zunehmen, und durch Stehen endlich zu Salzwasser werden würde, welches alles man hingegen von dem Quellwasser nicht zu fürchten hätte.“
Leider wurden dieser und andere äußerst lebenswichtigen Ratschläge von Steller in den Wind geschlagen, so dass bei der Weiterfahrt viele Seeleute den Tod fanden. Aus Stellers Sicht war die Nagai-Insel die größte. Zwar ist die dahinter liegende Unga Insel größer, kompakter und massiver, aber für ihn war das nicht einsehbar. Am lichten Tag konnte Steller acht Inseln zählen. Die Inseln in Norden waren schwer einsehbar, und er wusste auch nicht, ob diese eventuell mit dem Festlande zusammenhängen und ein Vorgebirge bilden, wie er schrieb. Mit einem heutigem Fernglas und von der Höhe des Decks auf dem Kreuzfahrtschiff aus lässt sich das viel einfacher wahrnehmen, und dazu gibt es heute perfekte Seekarten.
Steller beschreibt: „Es besteht diese Insel, so wie die andern alle, aus lauter erhabn, grün überwachsenen festen Felsen. Das Gestein ist meistens ein roher, grauer und gelblicher Graufels, an einigen Orten grauer Sandstein; so fand sich auch schwarzer, dicker Schieferstein.“ Die Steinstrukturen entstanden aus verschiedenen gepressten Ascheschichten, durch die Vulkantätigkeit der jüngeren Erdzeit Schicht für Schicht aufgesetzt. Wind, Regen, Schnee und Frost bilden in dem weichen Gestein bizarre Formen und Rillen, die an der Küste steil abbrechen; das härtere Gestein bildet sich wie Zinnen spitz nach oben heraus. Ich sah viele beeindruckende Basaltsäulen, die sich mehr oder weniger kristallartig in die Höhe erhoben. Die unteren Felspartien wurden über Millionen Jahre beharrlich von den Meereswellen ausgespült. Die zu der jetzigen Jahreszeit saftig grünen und sanften Täler waren von Gletschern aus einer der letzten Eiszeiten weich ausgeformt worden.
Steller beobachtete schwarze und rote Füchse. Bei meinem kurzen Aufenthalt auf den Schumagin-Inseln blieb mir leider solch eine Begegnung versagt. Die Füchse sind hier sehr zahm, weil sie kaum Menschen kennen. Weiter westlich, auf der Insel Unalaska, sah ich beide Formen von Füchsen. Die zoogeografische Verbreitung der Tiere ging über Unalaska nicht hinaus. Steller fand auch größere Trittsiegel, die an Wölfe erinnern; die Tiere können durchaus im Winter über das Eis kommen und dann hier hängen bleiben. Bei Klebnikow lese ich sogar vereinzelt von Rentieren und Braunbären. Auch kleine Nager wie die Ziesel wurden hier in Überfluss angetroffen. Steller benutzt das kosakische Wort Jewraschken. Die Nager tragen heute noch in Volksmund auf Kamtschatka diesen Namen. Das russische Wort für Ziesel lautet Suslik.
„Allerley Wasservögel sah man hier im Überfluß; als Schwäne [Zwergschwan (Cygnus columbianus)], zwey Arten von Urilen (Pelicani) [Rotgesichtmeerscharbe (Phalacrocorax urile) und Beringmeerscharbe (Ph. pelagicus)], Alken (Torda) [Dickschnabellumme (Uria lomvia) und Trottellumme (Uria aalge)], Enten, Schnepfen, Strandläufer, verschiedene Mewen [unter andern Beringmöwe (Larus glaucescens) und Dreizehenmöwe (Rissa tridactyla)], Taucher, darunter eine ganz besonderbare und unbekannte Gattung war, Grönländische Tauben [Taubenteise (Cepphus columba)], Seepapageien (Alca artica) [Hornlund (Fratercula corniculata)], Mitschagatten (Alca cirrata) [Gelbschopflund (Fratercula cirrhata)]; aber Landvögel waren nur Raben, Fliegenstecher (Grisola), Schneevögel (Emberiza nivalis) [Schneeammer (Plectrophenes nivalis)], Morasthüner (Tetrao Lagopus) [Alpenschneehühner (Lagopus mutus) oder Moorschneehuhn (Lagopus lagopus)] und sonst nicht das geringste zu sehen.“ In eckigen Klammern stehen die heutigen Namen.
Die von mir beobachteten Vögel fallen dagegen recht bescheiden aus: Elster, Singammer, Klippenausternfischer, Beringmöwen, Dreizehenmöwen, Weißkopfseeadler, Lummen, Rotschnabelalke, Schopfalke, Hornlunde, Gelbschopflunde und Taubenteiste, die ich auf der gegenüberliegenden großen Insel Unga beobachten konnte.
In der Bucht befand sich einst eine Siedlung. Frühere Pelztierjäger hatten sich 1767(?) mit den Ureinwohnern, den Unangan (Qagaan Tayagungin), Gefechte geliefert, wobei auch Russen tödlich verletzt wurden. Die Russen wurden ständig aufgerieben und fanden auf der Insel keine Ruhe. Zu dieser Zeit gab es zwölf kleine Ansiedlungen, die sich auf sechs Inseln verteilten. Ende des 18. Jahrhundert löschte eine Riesenwelle einige Ansiedlungen aus. In den dreißiger Jahren des 19. Jahrhundert gab es nur noch eine Siedlung an der Südöstlichen Bucht von Unga, die bis 1959 bestand und danach aufgegeben wurde. Noch heute sind stille Zeugen da, die eingefallen ausgeblichenen grauen Holzhäuser, die in der Landschaft einen besonderen Reiz ausüben.
Die Siedler brachten vom Festland die dunkelgrüne Sitka-Fichte mit, die mit Wehmut an alte Zeiten erinnern sollte. Sie braucht Jahrzehnte für ihr Wachstum; der Kälte und Stürmen ausgesetzt, hält sich dieser Baum bis heute wacker, so recht und schlecht. Ich denke, das meiste Bauholz wird von der Sitkafichte stammen, genauso wie die Dachschindeln. Unter einer Fichte im Schatten der heute ungewöhnlich warmen Strahlen der Sonne entdecke ich einen reichen Grabstein aus Marmor. Die Inschrift lautet: Rest in peace our darling NORNA P. WILSON SEPT. 29 1911. Die heutige moderne Siedlung mit 900 Einwohnern und Flughafen befindet sich auf der kleinen Popof Insel am Sand Point im nordwestlichen Teil. Dazu leben auch Bisons, die man vor Jahren hier aussetzte. Auch auf der Insel Unga wurden Stirnrinder ausgesetzt. Ob die Herde überlebt, weiß ich nicht, da sie es schwer haben über den schneereichen Winter an die Nahrung zu kommen; ich fand drei tote Rinder in der Landschaft.
Ivan Fomich Popof war ein Kaufmann aus Lalsk (in der Nähe Moskau) und Mitwisser einer Verschwörung 1809 gegen Baranow. Es gab konkurrierende Kaufmann- oder Pelztiergesellschaften, die das staatliche Unternehmen Russisch-Amerika-Companie unterlaufen wollten. Die Schumagin-Inseln waren ein willkommener Zwischenstopp vieler wagemutiger Pelztierjäger, die von Unalaska zum Festland Alaska weiter segelten oder den Hafen der „Drei Heiligen“ ansteuerten. Dieser Ort wurde 1883 von Schelichow an der Nordwestseite von Kodiak gegründet. Es war die erste russische Siedlung auf amerikanischen Boden. Später verlegte Baranow 1799 den Hafen auf die südöstliche Seite, die für Weiterfahrten in Richtung Süden strategisch günstiger lag.
Sarytschew von der Billings-Expedition segelten am 21. Juni an den Schumagin-Inseln vorbei. Er schreibt: „Nach dem Mittag erblickten wir Aleuten, die auf kleinen Baidaras von den Schumagin Inseln auf uns zukamen. Obwohl unser Fahrzeug zu dieser Zeit noch vier Meilen in der Stunde machte, holten uns die Insulaner doch ein. Mit ihnen traf in einer dreisitzigen Baidara ein russischer Jäger ein, der erzählte, dass er von einem in der Issanozkistraße liegenden Kauffahrteischiff mit 80 Aleuten zur Otterjagd auf die Schumagun Inseln entsand worden wäre.“ Schon um diese Zeit war die Kolonialisierung recht weit vorangetrieben, und die Aleuten dienten als billige Arbeitskräfte, indem sie die Seeotter und andere Seetiere jagten.
Am 25. Juni fahren sie weiter und treffen auf „zwei und dreisitzige Baidaras Amerikaner und und mit ihnen ein russischer Jäger zu unserem Schiff. Letztere erzählte, er wäre von der Insel Kadiak aus der Niederlassung des Kaufmannes Schelichow mit 300 Inselbewohnern zur Jagd auf Seelöwen und Vögel zu diesen Inseln abgeschickt worden.“
Die Baidaras oder Baidarka sind Bootsskelette, die mit den Fellen der Seelöwen (sie haben kurzes Fell, eine festere stabile Haut und eine größere Fellfläche als andere Meeressäugetiere, wie Seehunde und Seebären) bezogen wurden. Bis weit in den Anfang des 20. Jahrhundert wurde dieser Bootstyp in der traditionellen Bauweise hergestellt. Man kann sich die Zahl der dafür getöteten Seelöwen gut vorstellen: bei 300 Inselbewohnern sind das etwa 150 Baidarkas, die mit Seelöwenfellen bespannt sind. Dazu kommt, dass die Baidarkas nach wenigen Jahren neu bezogen werden müssen, weil sich die bespannten ungegerbten Felle bald abnutzen. Die Felle werden mit Natursehnen zusammengenäht und eingefettet und halten so den kalten Wasser stand. Heute sind die Kayaks mit modernen Materialien aus Plast und gummierter Leinwand bezogen und werden vor allem von Individualisten benutzt, die in Nähe der Meeresküsten und Inseln paddeln und ihre Freizeit verbringen.
posted by Ullrich Wannhoff am 2. August 2012