2015: Eistaucher auf Schatzsuche – Wracks im Polarmeer
Ein Schiffswrack kann eine wahre Schatzkammer sein. Zahlreiche wahre Berichte und noch viel mehr Gerüchte und Legenden existieren – etwa über Funde von unermesslich wertvollen Schätzen, Gold, Juwelen und dergleichen, im Bauch von gesunkenen Schiffen. Neben professionellen Archäologen ist daher weltweit auch die Gilde die Schatztaucher am Werk, immer in der Hoffnung auf wundersamen Reichtum.
Hier wollen wir jedoch über Schiffswracks reden, die zwar vermutlich weder Gold noch Juwelen verbergen, hingegen unschätzbar wertvolle Einblicke in die Geschichte geben und offene Fragen über ungeklärte Rätsel der Vergangenheit beantworten können – sogar wenn die betreffenden Gegenstände die Archäologen zunächst einmal vor neue Herausforderungen und Fragen stellen.
direkt unter dem arktischen Eis gibt er eine erste Präsentation des Wracks der Erebus
– Courtesy of Parks Canada
Das im Herbst 2014 geortete Wrack des Flaggschiffs der verschollenen Franklin-Expedition von 1845, HMS Erebus (siehe Teil 1 und Teil 2 dieser Retrospektive) hat zweifellos das Potential einer Schatzkammer – zuallererst für die kanadischen Archäologen, die an seiner Erforschung beteiligt sind. Aber auch die Herzen von vielen Enthusiasten mit Interesse an der Geschichte der Polarforschung, auch aus anderen Ländern und Kontinenten, schlagen höher, sobald sie etwas über Fundstücke von Bord des Schiffes erfahren.

– Courtesy of Parks Canada
Im April 2015 startete Parks Canada eine noch nie zuvor dagewesene Aktion. Die Unterwasser-Archäologen, die dem Wrack von HMS Erebus im Herbst 2014 wegen Stürmen, hohem Wellengang und zunehmender Eisbildung nur wenige Tauchstunden widmen konnten, gingen wieder ins eisige Nass. Diesmal allerdings unter einer meterdicken Eisdecke! Das Hindernis Eis wurde diesmal als Vorteil genutzt: es bot ein stabile Plattform für die Tauchgänge und machte es möglich, auch schwere Technik einzusetzen. Auf dem Eis direkt über dem Schiff konnte ein Arbeitszelt errichtet werden. Durch ein breites Loch, das ins Eis gesägt wurde, war es den Archäologen für eine knappe Woche möglich, weitere Untersuchungen am Wrack anzustellen.

– Courtesy of Parks Canada
Eismeer-Wasser ist im April auch kaum kälter als im September, Tauchen bei ca. -1°C Wassertemperatur ist jedoch immer eine Herausforderung. Marc André Bernier, Chef der Unterwasserarchäologen, sagt, dass man es nicht länger als eine Stunde unten aushalten kann. Das reichte – neben weiteren nötigen Vermessungen und Bestandsaufnahmen – zumindest dafür, dass die April-2015-Expedition sogar einige bemerkenswerte Artefakte bergen konnte.

Dazu gehörten nicht nur das Rohr eine Kanone und Bestandteile des Schiffes wie das Prismenglas eines Oberlichts und ein Seilzughaken aus Messing, sondern auch Gegenstände, die von den Menschen an Bord erzählen, wie Uniformknöpfe, ein Medizinfläschchen und sogar Porzellanteller.

Die interessierte Öffentlichkeit konnte bereits einen vorläufigen Blick in die Geschichte der Franklin-Expedition werfen, als die Artefakte im Mai 2015 kurzzeitig in der Ausstellung „Breaking the Ice“ im Canadian Museum of History in Gatineau (vormals bekannt als „Museum of Civilization) gezeigt wurden. Da sie aber weiterer konservatorischer Behandlung bedurften, um wegen der nun veränderten Umgebungsbedingungen keinen Schaden zu nehmen, wanderten sie danach zunächst wieder zurück ins Labor. 2018 und 2019 waren sie, zusammen mit weiteren in den Folgejahren geborgenen Artefakten, in der Ausstellung „Death in The Ice“ in London, Ottawa und Mystic Seaport zu sehen, derzeit (noch bis Ende September 2019) sind sie in Anchorage (Alaska) ausgestellt.

HMS Erebus ist nicht das einzige Wrack von geschichtlicher Bedeutung.
Als die Archäologen von Parks Canada im Jahre 2010 in der Mercy Bay das Wrack von HMS Investigator – eines der zur Suche nach Franklin ausgesandten Schiffe – entdeckten und im Sommer 2011 eine Folgeuntersuchung unternahmen (siehe Lost Beneath the Ice – Bildband über HMS Investigator), sah es äußerlich ganz ähnlich aus wie bei HMS Erebus: umherliegende Planken und Holzteile auf dem Deck und neben dem Schiff, Sedimentablagerungen, Bewuchs durch Algen und Kelp. Vielleicht ist der pflanzliche Bewuchs bei der Erebus stärker, denn dort waren deutlich mehr lange Kelp-Bänder zu sehen – sie liegt ja auch in etwas südlicheren Gewässern.
Auch bei der Untersuchung der Investigator 2011 konnten einige aufschlussreiche Gegenstände geborgen werden, und das dereinst noch zu erschließende archäologische Potential des Wracks wird als gewaltig eingeschätzt.

Die weiteren Untersuchungen dieser Schiffswracks sind nicht einfach. Früher wie heute sind die äußeren Bedingungen in der hohen Arktis eine große Herausforderung – hier nur einige Stichworte dazu: extremste und unberechenbare Eis- und Witterungsverhältnisse, ungewöhnlich aufwändige Logistik wegen der Abgelegenheit der Fundorte und dem Fehlen jeglicher Infrastruktur, hochspezialisierte Technik, hoher Aufwand an Kosten, Einsatzbereitschaft, Mut zum Risiko und Ausdauer der beteiligten Personen.

Die Unternehmungen an einem weiteren arktischen Schiffswrack haben gezeigt, wie unberechenbar die arktischen Bedingungen sind. Die „Maud“, die jahrzehntelang unweit von Cambridge Bay auf Grund lag, sollte bereits 2014/2015 gehoben, geborgen und nach Norwegen transportiert werden. Zeit- und Kostenplanung erwiesen sich als hinfällig, als die arktischen Eisverhältnisse einfach nicht mitspielten. Es dauerte noch Jahre, bis das Schiff schließlich im August 2018 in Norwegen ankam.

Fortsetzung folgt: Der Fund von HMS Terror
Ausführlicheres zu den Taucharbeiten an HMS Erebus kann man in meinem Artikel „In die Geschichte tauchen. Der Fund von HMS EREBUS“ im Magazin Marineforum, Heft 07-08 2015, S. 59-61 nachlesen.
Erebus und Terror: eine Retrospektive – Teil 1 Die Suche nach den Wracks
Erebus und Terror: eine Retrospektive – Teil 2 – Die Ereignisse im September 2014: Viel Glück – und das Wissen der Inuit; Identifizierung des Wracks