reblogged vom 5. Oktober 2012 – English version here
Hier soll es nicht um den „Intelligenzquotienten“ gehen, sondern um Inuit Qaujimatuqaangit. Dieser Begriff aus dem Inuktitut bedeutet im Deutschen etwa: „das, was die Inuit seit langer Zeit wissen“. Man spricht auch vom „traditionellen Wissen“ der Inuit, jedoch geht es bei IQ nicht nur um Wissen im Sinne eines Vorrates an Kenntnissen; es schließt auch Prinzipien und Werte ein und wirkt als Verhaltenscodex, als Navigationshilfe durch den Lauf des Lebens.
Von Aaju Peter erfuhr ich, dass den Inuit der Begriff des Eigentums an Land eigentlich fremd ist – das Land „gehörte“ ihnen stets nur insofern, dass sie jeweils von einem Ort kamen, den sie schätzen, der ihnen das bot, was sie brauchten. Sie hätten nicht über tausende Jahre in der unwirtlichen Arktis überleben können, wenn sie nicht das Land, das Meer, die Tiere, die Pflanzen, die Felsen die Flüsse, die Berge, ja selbst die Eisberge, als Wesen mit einem eigenen spirit respektiert hätten. Eine solche Wahrnehmung ihrer Umwelt und die entsprechenden Handlungsweisen haben ihnen ermöglicht, Fähigkeiten und Fertigkeiten zu entwickeln, die genau das nutzten, was das Land bot, also im Einklang mit den vorhandenen Ressourcen eine Lebenskultur der perfekten Anpassung zu entwickeln. Und das in einer Umgebung, in der viele „weiße“ Entdecker bis hinein ins 20. Jahrhundert kläglich scheiterten und wo auch heute noch kaum ein Mitteleuropäer auf sich selbst gestellt überleben könnte.
IQ steht für die den Inuit eigenen Einsichten in die Zusammenhänge der Natur, die darauf beruhen, das Menschen ständig lernende Wesen sind, die über ein reiches Potential zur Problemlösung innerhalb der Gesetze der Natur und Technik verfügen; zu IQ gehören auch Prinzipien wie Beitragen zur Gemeinschaft, Konsens bei Entscheidungsfindungen, gegenseitiger Respekt und Zusammenarbeit, Verantwortung und Fürsorge für die Umwelt. Sollte unsere „westliche“ Gesellschaft nicht etwas davon lernen?
Für Cambridge Bay ist eine neue kanadische Forschungseinrichtung in Planung. In einer Planungssitzung vor Ort mit Wissenschaftlern, Architekten und Regierungsbeamten, die Ende September stattfand, forderten Einwohner des Ortes, dass die 2017 zu eröffnende Canadian High Arctic Research Station (CHARS) westliche Wissenschaft und Inuit-Wissen zusammenbringt. Dieser Austausch soll nicht mehr, wie bisher üblich, nur in einer Richtung stattfinden: CHARS soll eine Brücke sein, die auch eine Gegenspur hat.
Und ein verantwortlicher Regierungsvertreter beeilte sich tatsächlich, zu versichern, dass das Institut nach den Prinzipien von Inuit Qaujimatuqaangit geleitet werden wird.
Kürzlich bewiesen „westliche“ Besucher von Cambridge Bay, dass sie über einen gehörigen AQ* verfügen. Als die australische Luxus-Segeljacht „Fortrus“ beim Durchqueren der Nordwestpassage in Cambridge Bay anlegte – eine Gemeinde, die aufgrund eines Mehrheitsentscheids über keinen Alkoholverkauf – bzw. Ausschank verfügt – lud die Mannschaft junge Frauen, darunter Minderjährige, zur Party mit Alkohol und ebenfalls verbotenem Feuerwerk an Bord. Zuvor hatte man mit Hilfe von geliehenen 4-Wheelern eine Treibjagd auf Moschusochsen zum Zwecke eines Foto-Shooting veranstaltet. Und die dafür fälligen Strafgebühren wurden auch noch mit ungedeckten Schecks bezahlt…
*AQ steht hier für „Arroganz-Quotient“
posted by Mechtild Opel am 5. Oktober 2012
Update vom 23. Nov. 2012: Wie man zwischenzeitlich in Nunatsiaq News online lesen konnte, ist der Eigentümer der Yacht Fortus, der Australier Paul McDonald, seiner offenen Forderung wegen Verletzung des Nunavut Liquor Act nachgekommen – wie die RCMP am 20. November bestätigte, hat er am 29. Oktober $10,000 Strafe gezahlt.