In Memoriam – aus Anlass des Todes des Fotografen am 9. September 2019
re-blogged vom 7.9.2014
Vom Zürichsee über New York zum Sankt-Lorenz-Golf

Es gibt sie also doch, diese unerwarteten Begegnungen der besonderen Art. Erst durch die E-Mail eines Freundes erfuhren wir von der Ausstellung (Anna Leonowens Gallery, 6.-12.9.2014) von Arbeiten des Fotografen und Filmemachers Robert Frank in Halifax, Nova Scotia. Der 1924 in Zürich geborene Deutsch-Schweizer ist einer der stilbildenden Fotografen der letzten 60 Jahren. Mit Anfang 20, damals schon im Beruf erfahren, wanderte er nach New York aus.

Als Immigrant aus dem zu dieser Zeit wohl etwas betulichen Zürich war er von der Rauheit, den Gegensätzen und der Hektik New Yorks beeindruckt. Um sich mit seiner neuen Heimat bekannt zu machen, durchquerte er später, unterstützt durch eine Zuwendung der Guggenheim-Stiftung, für zwei Jahre mit dem Auto das riesige Land in allen Richtungen.

Auf den langen Reisen entstanden 28.000 Fotos, von denen er 87 für sein Buch The Americans auswählte, das 1958 in Paris erschien. Der Erscheinungsort des Bildbandes – der heute als eines der einflussreichsten Fotobüchern überhaupt gilt – deutet bereits darauf hin, dass man in seiner neuen Heimat wenig begeistert von dem Bild war, das sich der Zugezogene gemacht hatte. Jack Kerouac allerdings schrieb in seinem Vorwort zu The Americans über seinen Freund: „ … he sucked a sad poem right out of America onto film, taking rank among the tragic poets of the world“.

Die ungewöhnliche Bildästhetik der schwarzweißen Fotos, die sich nur selten schnell und einfach erschließen, hat auf viele Betrachter eine langanhaltende Wirkung. Oft vorschnell als flüchtige Reportage- oder Gelegenheitsfotos diskreditiert oder als „Schnappschüsse eines Laien“ missverstanden, entstehen die Bilder in einer zwar manchmal spontanen, doch wohlbegründeten erzählenden und gestaltenden Absicht.

Dem Wunsch nach Erklärung seiner Bilder kommt Robert Frank selten nach: „The pictures have to talk not me“. Die Nähe zum Fotoalbum, wie es unseren Eltern und Großeltern vertraut war, ist durchaus gewollt. Anders als viele Fotografen, die nach immer größeren oder auch bunteren Bildern streben, sucht er das kleinere Format und sogar einfaches Papier für die Wiedergabe. In der Ausstellung in Halifax ist eine fiktive oder „vorweggenommene“ Süddeutsche Zeitung vom 29.11.2014 (sic) zu sehen, die ganz Robert Frank gewidmet ist – das Experiment eines Ausstellungskatalogs auf Zeitungspapier.

Der Fotograf, der mit seiner Frau, der Künstlerin June Leaf, in New York und Mabou auf Cape Breton Island (Nova Scotia, Kanada) lebt, hält auch an den ungewöhnlichsten Orten an seiner Bildsprache fest.

Bei einer Reise 1992 nach Pangnirtung auf Baffin Island, gelegen in einer der schönsten Landschaften der Erde, fotografiert er, natürlich in schwarz-weiß, Ansichten von einfachen Häusern, vom Friedhof und Flugplatz, von Steinen und einer nebelverhangenen Landschaft. Und trotzdem geben die wenigen Fotos einen ganz speziellen Einblick in das Leben in einer Inuit-Siedlung am Polarkreis.

Robert Frank beim Signieren, Bildmitte: der Verleger Gerhard Steidl
Es ist der Verdienst des Verlegers Gerhard Steidl aus Göttingen, dass das Gesamtwerk von Robert Frank – Foto für Foto, Film für Film – dem Publikum erschlossen wird.

Ob das jemals auch für dessen bis heute unveröffentlichten Film Cocksucker Blues über die Amerika-Tournee der Rolling Stones von 1972 gilt, steht wohl in den Sternen, denn die Stones, die bis heute den Film der Öffentlichkeit weitestgehend vorenthalten, misstrauen – mit Rücksicht auf das puritanische Amerika – dem Realismus Robert Franks. Wäre da nicht das Internet …

posted by Wolfgang Opel am 7. September 2014; alle Fotos: © Wolfgang Opel