Copper Inuit

reblogged vom 24. September 2012

Wo der Coppermine River nach vielen Windungen durch das Relief des kanadischen Schildes in die Beaufort Sea mündet, an der Nordküste des kanadischen Festlandes, liegt der „Ort des strömenden Wassers“, in der Sprache der Inuit Kugluktuk, auf älteren Landkarten noch als Coppermine bezeichnet.

Blick auf Kugluktuk mit dem Coppermine River - Foto: Wolfgang Opel
Blick auf Kugluktuk mit dem Coppermine River – Foto: Wolfgang Opel

Gut 500 km weiter in Richtung Nordost durch den Coronation Gulf und die Dease Strait liegt an der Südostküste von Victoria Island Cambridge Bay oder Iqaluktuuttiaq – das bedeutet: „ein guter Ort zum Fischen“ – direkt an der Küste. Hinter einem flachen, sandigen Strand reihen sich Häuser und unbefestigte Straßen auf kiesigen, mit Schotter durchsetzten Untergrund. Das harsche Klima mit Dauerfrostboden ermöglicht nur eine spärliche Vegetation von dicht am Boden wachsenden Pflanzen.

Cambridge Bay - Foto: Wolfgang Opel
Cambridge Bay – Foto: Wolfgang Opel

Einst existierte hier nichts als ein Handelsposten der Hudson’s Bay Company, der 1921 eröffnet und dann von einem Dutzend Inuit-Familien regelmäßig besucht wurde; einige davon blieben dauerhaft. Seit den 1960er Jahren wurden dann Fertighäuser in größerer Anzahl errichtet, und inzwischen haben Cambridge Bay wie auch Kugluktuk jeweils etwa 1500 Einwohner. Hier leben die sogenannten Copper Inuit.
Was es mit diesem Namen auf sich hat, beschreibt Johann August Miertsching in seinem „Reisetagebuch“, als er am 2. Juni 1851 über eine Begegnung mit „Eskimos“ auf Victoria Island berichtet: „Ihre Harpunen, Messer, Beile, Pfeilspitzen, Nähnadeln u.s.w. sind alle von Kupfer verfertigt…“.

Copper Inuit (Diorama) - Foto: Wolfgang Opel
Copper Inuit (Diorama) – Foto: Wolfgang Opel

Im Sommer lebten die Copper Inuit in Zelten und durchstreiften in kleinen Gruppen das Inland, um zu fischen und Karibus zu jagen. Im Winter hingegen wohnten sie in Iglus direkt am Meer oder sogar auf dem Eis und lebten vor allem von der Robbenjagd. Sie nutzten natürliche Vorkommen an gediegenem Kupfer aus der Region zur Herstellung ihrer Werkzeuge und boten solche auch benachbarten Stämmen zum Tauschhandel an.
Im Zusammenhang mit der Suche nach der Nordwestpassage gab es im 19. Jahrhundert einige wenige Kontakte mit europäischen Entdeckungsreisenden, wie beispielsweise der, über den Miertsching in seinem Tagebuch über die Reise mit der HMS Investigator berichtete. Dieser hatte noch ein wichtiges Nachspiel, denn das 1853 aufgegebene Schiff und das von der Mannschaft auf Banks Island angelegte Versorgungsdepot bot den Copper-Inuit Gelegenheit, eine Menge für sie sehr seltener Werkstoffe – vor allem Holz und Eisen – zu bergen und sich nutzbar zu machen.

Metall vom Depot auf Banks Island - Foto: Parks Canada
Metall vom Depot auf Banks Island – Foto: Parks Canada

Mit der Seßhaftigkeit seit etwa 60 Jahren erlebten die Copper-Inuit einen kulturellen Umbruch, der ihnen eine gewaltige Anpassungsleistung abverlangte. Über Jahrtausende hatte das nomadisierende Jägervolk ganz selbstverständlich unter extremsten klimatischen Bedingungen gelebt. Die Inuit waren sehr geschickt darin, sich nur von dem, was Land und Meer der Arktis boten, zu ernähren, zu kleiden und sich Steine, Tierhäute, Knochen und Schnee als Baumaterial für ihre Wohnungen zunutze zu machen,
Seit den 1960er Jahren war ihnen dann eine fremde und fremdsprachige Kultur massiv übergestülpt worden, bereits zuvor eingeleitet durch die Tätigkeit christlicher Missionare und dann forciert durch einen Schulunterricht ausschließlich in englischer Sprache. Heute sind die Copper Inuit von Cambridge Bay an die Nutzung von Schneemobilen, Satellitenschüsseln, Telefon und Internet gewöhnt, die Jugendlichen sprechen Englisch und verbringen die Freizeit mit Videospielen. Im Ort findet man natürlich Post und Bank, Polizei und Krankenhaus, Kindergarten und Schule, Department Store und Co-op, und sogar Pizza Hut und KFC, die internationalen Fastfoodketten, sind vertreten. Und natürlich auch mindestens drei Kirchen.

Ruine der alten Steinkirche, Cambridge Bay - Foto: Wolfgang Opel
Ruine der alten Steinkirche, Cambridge Bay – Foto: Wolfgang Opel

Die gewaltigen sozialen Veränderungen im Leben der Copper-Inuit sind – wie auch anderswo im hohen Norden Kanadas – mit nicht wenigen Problemen verbunden. Sie führten zu vielen Brüchen, die sich unter anderen in Alkohol- und Drogenmissbrauch, Gewaltkriminalität und einer hohen Suizidrate zeigen. Eine über Jahrzehnte verfehlte Bildungspolitik hatte zur Folge, dass die Sprache, Inuinnaqtun, heute nur noch von der ältesten Generation fließend gesprochen wird. Enkelkinder und Großeltern können sich oft gar nicht mehr miteinander unterhalten; und erst die jüngste Generation bekommt nun wieder Gelegenheit, die eigene Sprache in der Schule zu lernen.
Die Gefährdung der Sprache steht für die Gefährdung der traditionellen Kultur, zu der nicht nur Pelzkleidung, Trommeltanz und Kehlkopfgesang (Throat-singing) gehören, sondern die gesamte Lebensweise, einschließlich der Ernährung, sowie ein bewährtes traditionelles System der Werte, das Ehrlichkeit, gegenseitigen Respekt, Verantwortung für die Gemeinschaft und Fürsorge für die Umwelt einschließt.
Engagierte Elders setzen sich heute für eine Wiederbelebung dieser kulturellen Werte ein, und man spürt bei der Rückbesinnung auf die Tradition ein wachsendes Selbstbewusstsein. Heute erlernen viele junge Inuit-Mädchen und -Frauen mit Begeisterung den Kehlkopfgesang, der vor 20 Jahren schon fast vergessen war.

Tanya Tagaq - Foto: Michael Höfner
Tanya Tagaq – Foto: Michael Höfner

Als vor ein paar Jahren die Künstlerin Tanya Tagaq aus Cambridge Bay die traditionellen Formen des Throat-singings versuchsweise mit anderen sprachlichen und musikalischen Ausdrucksformen kombinierte, wurde das zufällig von Zuhörern aus Island aufgezeichnet. Kurze Zeit darauf bekam sie eine Einladung von Björk und war an deren CD-Produktion Medúlla beteiligt!

Inzwischen hat Tanya Tagaq ihren Platz in der Avantgarde der Weltmusik gefunden. Der Gründer des Kronos-Quartets, David Harrington, bezeichnete sie gar als „Jimi Hendrix des Inuit Throat-singings“.

posted by Mechtild Opel am 24. September 2012

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