Bernhard Hantzsch in Island
reblogged vom 17.7.2017
Bernhard Hantzsch, ein in Dresden geborener Lehrer und Ornithologe, wurde besonders für seine Expeditionen in die Arktis – Labrador 1906 und Baffin Island 1909-1911 – bekannt. Er hatte als erster Weißer Baffin-Island durchquert, als er dort – wahrscheinlich infolge des Verzehrs von infiziertem Eisbären-Fleisch – erkrankte und verstarb. Die aussagekräftigen und teils poetischen Tagebücher und Aufzeichnungen dieser Reise sind in Deutschland nie veröffentlicht worden; bisher liegt nur eine kanadische Ausgabe vor.
Anlässlich des 100. Todestages von Bernhard Hantzsch fand in der Schule in Hartha bei Dresden, die heute seinen Namen trägt, eine Gedenkveranstaltung statt, bei der auch Mitglieder der Familie anwesend waren. Eine Dauerausstellung in dieser Schule zeigt wichtige Dokumente und Exponate aus dem Leben von Bernhard Hantzsch. Unter ihnen befindet sich das Tagebuch einer Reise nach Island im Jahr 1903.
Dieses erweckte in uns den Wunsch, seiner damaligen Expedition – zumindest in Teilen – zu folgen. Ihr Verlauf lässt sich anhand des Tagebuchs und der von Hantzsch 1905 veröffentlichten Abhandlung über die Vogelwelt Islands sowie von Briefen, die sich im Besitz der Familie befinden, zu großen Teilen rekonstruieren.
Ende Juni 2017 war es für uns soweit. Anders als Hantzsch, der am 10.4.1903 mit dem Dampfschiff in Kopenhagen startete und erst nach 11 Tagen Reykjavík erreichte, benötigten wir mit dem Flieger von Berlin nach Keflavík nur etwa drei Stunden.
Nach einer Eingewöhnungszeit fuhr Hantzsch mit einem Küstenboot nach Hjalteyri im Norden Islands. Zunächst wurden die Snaefellsnes-Halbinsel und die Nordwest-Fjorde umfahren.
Stationen der Reise von Hantzsch waren unter anderen: Búðir, Ólafsvík, Stykkishólmur, Flatey, Dýrafjörður, Ísafjörður, Holmavík, Hvammstangi und Skagaströnd.
Diese Orte, von denen einige auch auf unserer Liste standen, kann man heute vergleichsweise einfach mit dem Auto (bzw. der Fähre) erreichen. Allerdings mussten wir für manche von ihnen recht viele Straßenkilometer zurückzulegen, da sich das Land hier fingerförmig zwischen tiefen Buchten und Fjorden erstreckt und die Straßen oft der Küstenlinie folgen.
Búðir, Ólafsvik und Stykkishólmur befinden sich auf der Halbinsel Snaefellsnes. Hier konnten wir Bekanntschaft mit Eissturmvögeln, Gryllteisten, Dreizehenmöwen und den angriffslustigen – weil ihre Brut verteidigenden – Küstenseeschwalben schließen.
Ísafjörður und Holmavik liegen in den Westfjorden, wo sich an der Steilküste von Látrabjarg, Europas größter Vogelkolonie, Millionen von Seevögeln tummeln, vor allem Papageientaucher, Tordalke, Lummen und Basstölpel.
Bernhard Hantzsch war auf der Islandreise 1903 vor allem als Ornithologe unterwegs. Land und Leute standen – anders als bei seinen folgenden Expeditionen – weniger in seinem Fokus. Von Hjalteyri aus fuhr er Ende Juni mit dem Schiff nach Grímsey, der Insel, die als einziger Ort Islands den Polarkreis berührt.
Grimsey erwies sich als Paradies für den Vogelkundler Hantzsch, und er verbrachte hier mehr als zwei Wochen.
Nach seiner Rückkehr von Grímsey ritt Hantzsch auf gemieteten Pferden zum Mývatn, dem inzwischen unter Ornithologen wohlbekannten „Mückensee.“ Hier konnte er viele Entenarten beobachten, sowie auch Singschwäne und Eistaucher.
Wieder in Hjalteyri angekommen, beschloss Hantzsch, den Rückweg nach Reykjavik ganz allein mit seinem Pferd Hejra durch das wenig erschlossene Innere Islands, von Bauernhof zu Bauernhof, zu machen.
Die heute weltbekannten Reiseziele wie Þingvellir, die Geysire und Islands große Wasserfälle standen schon damals auf der Reiseliste der wenigen Besucher – so auch bei Hantzsch. Dass 110 Jahre später mehr als eine Million Touristen pro Jahr die abgelegene Insel besuchen würden, lag 1903 jedoch noch außerhalb jeder Vorstellungskraft.
1905 veröffentlichte Hantzsch sein bis heute geschätztes Werk „Beitrag über die Kenntnis der Vogelwelt Islands“. Zwei auf Island vorkommende Unterarten, Acanthis linaria islandica (Birkenzeisig) und Corvus corax islandicus (Rabenart), wurden erstmalig von Hantzsch beschrieben und klassifiziert.
Bei unserem zweiwöchigen Kurzbesuch auf Islands war es natürlich – trotz (oder wegen) der Nutzung eines PKWs auf teilweise asphaltierten Straßen – unmöglich, sich nur annähernd eine Vorstellung von den Herausforderungen zu machen, die Bernhard Hantzsch während seiner fast halbjährigen Expedition bewältigen musste. Die reichhaltige Vogelwelt Islands aber konnten auch wir vielerorts erleben. Hoffen wir, dass Island eine gute Balance zwischen nachhaltigem Tourismus, behutsamer industrieller Ressourcennutzung und Schutz der natürlichen Umwelt finden kann.
Siehe dazu auch die Beiträge: „Bernhard Hantzsch – Ein Dresdner in Labrador“ und „Geburtstag in Eis und Schnee – Bernhard Hantzsch“ auf unserem Blog.