Beim Schreiben unseres Buches den Spuren Johann August Miertschings in der westlichen Arktis Nordamerikas zu folgen, ist eine spannende Sache. Immer wieder stößt man auf Überraschendes; entweder noch nie Gelesenes – oder aber zwischenzeitlich wieder Vergessenes. Seit einigen Tausend Jahren leben an diesen Küsten verschiedene indigene Völker. Dann ist da die Liste derjenigen Europäer, die bereits vor 1840 dort unterwegs waren: James Cook und Otto von Kotzebue, später John Franklin, John Richardson, Peter Dease und Thomas Simpson mit ihren Boot-Expeditionen.
Seit 1848 folgte auch dort die Suche nach der vermissten Franklin-Expedition, u.a. durch Henry Kellett und William Hooper; und dann 1850 durch HMS Investigator unter Robert McClure, die als erstes Segelschiff überhaupt von der Beringstraße Richtung Nordosten fuhr, mit Johann August Miertsching als Übersetzer an Bord.
Auf allen diesen Expeditionen waren Naturwissenschaftler und Expeditionszeichner dabei. Einige davon wurden später berühmt: John Webber, Adelbert von Chamisso, Louis Choris oder Samuel Cresswell. Es gibt nicht viele bildnerische Dokumente von diesen Reisen aus der Zeit vor der Verbreitung der Fotografie. Sie zeigen vor allem die indigenen Bewohner der Arktis, die Tier- und Pflanzenwelt, das Polareis und Phänomene, die man sich damals noch nicht erklären konnte, wie Permafrost und Eiskeile.
Heute sind diese arktischen Regionen Nordamerikas – wie die Russlands – noch immer schwer erreichbar, aber wegen der Ausbeutung der natürlichen Ressourcen und besonders aufgrund der dramatischen Auswirkungen des Klimawandels immer wieder in den Medien. Davon ist in den Berichten der frühen Reisenden, wie Chamisso, Franklin, Berthold Seemann, Alexander Armstrong und Johann August Miertsching, natürlich kaum etwas zu lesen.
Für Historiker und Naturwissenschaftler sind diese frühen Aufzeichnungen und Darstellungen dennoch von Bedeutung – gerade in Bezug auf den Zustand der Arktis vor über 170 Jahren und auf die dramatischen Änderungen seither.
Nachdem die Pelztierjäger die Seekuh ausgerottet hatten – weil das Fleisch wie Rindfleisch schmeckte, wie dies der deutsche Naturforscher Steller in seinen Tagebuchaufzeichnungen 1740/41 beschrieben hat – war das Nächstliegende, auf den Kommandeur-Inseln Lachse zu fangen. Die Fische dienten als Grundnahrung bei der Überwinterung auf der einsamen Insel und als Proviant für die Weiterfahrten im kommenden Frühjahr. Die Expansion verlief Richtung Osten, zu den unbekannten Aleuten-Inseln und zum Festland Amerika, von den russischen Seeleuten und Abenteurern unter der Führung reicher Kaufleute über die Jahrzehnte nach und nach erobert.
Geblieben über die Zeit ist der Fischfang, heute der einzige Erwerb auf der Bering-Insel. Die Fisch-Behörde in Kamtschatka teilt den Familien und Fischerbrigaden auf der Insel die Fluss-Reviere zu. Das kann von Jahr zu Jahr recht unterschiedlich sein.
Eine der Brigaden nimmt mich freundlicher Weise mit zum Fluss Podutjosnaya an der Westküste der Beringinsel. Am zeitigen Morgen ziehen dunkle Wolken auf, als würden sie schlechte Nachrichten ankündigen. Ich steige auf die offene Ladefläche des URAL’s. Das ist ein sowjetischer LKW, der die Wende vom Sozialismus zum Raubkapitalismus überlebte und sich in allen technischen Museen Westeuropas gut machen würde. Der über die Jahre deutlich sichtbare Verschleiß verrät nichts Gutes.
Auf der Ladefläche werde ich übermütig begrüßt, auch von zwei Fischern, die ich aus früheren Jahren kenne. Die Wodkafahne ummantelt mich herzlich. Wir fahren den steilen Dorfberg hoch, um auf der anderen Seite talwärts in Richtung Meeresufer zu gelangen.
Danach geht es auf einer aufgewühlten, schlammigen Straße parallel zum Ufer entlang. Umsäumt wird die Piste von Hochstauden wie Bärenklau, Greiskraut, Disteln und blau blühenden Eisenhut. Während der Hund über die Holzplanke bellt, flattern die auf den weißen Dolden sitzenden Petschora-Pieper davon.
Nicht lange, und der URAL steht. Die lange Motorhaube wird geöffnet und die Suche nach dem Fehler beginnt. Nach ein paar Handgriffen wird die Haube zugeknallt. Doch einige hundert Meter weiter steht das Fahrzeug wieder. Ratlos öffnen Fahrer und Beifahrer die Motorhaube. Kein Benzin will in den Motor. Warum nicht, geht die Pumpe nicht? Ein Blick in den bauchigen Tank unter der Ladefläche verrät das Übel. Das Sieb ist voller Schlamm, der kein Benzin durchlässt.
Nach der Reinigung läuft es wie geschmiert, und wir fahren durch die Flüsse. Das schnell fließende Wasser kommt von den Bergen und füllt das Meer. Sobald die rotierenden Räder des Fahrzeuges das Kiesbett der Flüsse erreichen, spritzen hunderte von Buckellachsen auseinander. Wer will schon überfahren werden und das noch unter Wasser. Während der Fahrt wird eine Wodkaflasche herumgereicht. Jeder hat wohlbehütet ein Gläschen unter seiner Jacke. „Ulli, ein bisschen Kultur muss sein“, und ich nicke lächelnd.
Wir beziehen die Hütte in der Podutjonaya Bucht, die Iwan, eine Aleut, vorher schon beheizt hatte. Es wird in Ruhe ausgiebig gefrühstückt. Keine Eile, warum auch? Man begutachtet den Fluss mit runzelnder Stirn. Zu wenig Fische und zu viele abgelaichte Lachse, wird mir mitgeteilt. Die Fischer spannen ein Netz über den Fluss. Mit diesem Netz laufen die Männer dem Meer entgegen und ziehen es kurz zuvor kreisartig zusammen. Hunderte Lachse zappeln im Netz. Die Abgelaichten werden sofort ins Wasser geworfen, die anderen kommen in Kisten.
Drei große Bottiche stehen auf der Ladefläche. Nur einer wird mit den Kisten gefüllt. Der zweite Versuch bringt noch weniger. Sie ziehen das Ölzeug aus und rauchen. Anschließend fahren sie lustlos zurück. Nicht ganz. Eine Wodkaflasche wird herum gereicht.
Im Dorf kommen die Lachse in verpackten Kisten in Kühlcontainer, und dort warten sie, bis das marode Schiff „Sawoika“ kommt. Es grenzt an Wunder, das dieses von Kamtschatka aus die Insel erreicht. Über dreißig Tonnen Lachs und Kaviar (in diesem Jahr viel zu wenig) verschwinden in den Ladeluken. Wohin danach? Keine Ahnung, vielleicht nach Moskau…
Heute vor 210 Jahren starb Johann Gottfried Seume in Teplice in Böhmen, heute in Tschechien. Er wurde nur 47 Jahre alt.
Seume ist vielen durch seine Dichtungen bekannt. Er schrieb aber auch zahlreiche – oftmals politische – Essays, mit denen er häufig den Zorn der Herrschenden entfachte und unter Zensur zu leiden hatte; und er war ein bedeutender Reiseschriftsteller.
Goethe unternahm seine berühmte „Italienische Reise“ mit der Kutsche. Seume hingegen ging auf eine lange Fußwanderung. Er kam bis Syrakus auf Sizilien.
Als junger Mann kam Seume als hessischer Söldner bis Halifax in Nova Scotia, Kanada. Dort traf er auch auf die einheimischen Mi’kmaq.
Seumes Weltsicht wurde durch seine Erfahrungen mit den Mi’kmaq nachhaltig beeinflusst. In einigen seiner Schriften bezog er sich sogar direkt auf dieses indigene Volk, allerdings ohne es beim Namen zu nennen; „Mi’kmaq“ kannte damals in Deutschland niemand. Stattdessen verwendete Seume das seinerzeit in Europa bereits geläufige Wort „Hurone“ – genaugenommen zwar sachlich falsch; im übertragenen Sinne erfüllte es jedoch seinen Zweck.
Übrigens: Eine wahre Fundgrube für alle Seume-Interessenten und absolut empfehlenswert ist das Göschenhaus in Grimma.
Die Lachse warten, bis das salzige Wasser am Ufer ansteigt und sie in die Flüsse wandern können. Die Flut bricht die vorgeschobene Sandbank zum Fluss auf und zieht die Fische hinein. In der aufgerissenen sandigen Flussmündung treffen die Wellenschläge auf süßes Wasser und vermengen sich damit. Möwen jauchzen und schreien. Langgezogene Stimmen. Für sie beginnt das große Fressen.
Mit jedem neuen
Wellenschlag ziehen die Lachse weiter in den Fluss und wandern nun
kräftig gegen die Strömung. Ihr dunkler Rücken schaut aus dem
flachen Wasser heraus. Es sind Buckellachse. Die Männchen haben
einen Buckel und weißes Fleisch.
Manch starke Welle treibt den Lachs an das sandige Ufer. Gierig und mit Leichtigkeit ziehen die Beringmöwen die Lachse von dort weg. Das erste, was sie picken, sind die Augen. Manch ein Lachs schafft es dann doch noch zurück ins Wasser – aber eben blind.
Im Streit mit anderen Möwen zerren sie an dem aufgerissenen Körper. Für die gestrandeten Lachse ist die Wanderung zu Ende. Zwei bis drei Jahre haben sie im offenen Meer verbracht, bis hierher gelang es ihnen, den Fressfeinden – Seehunden, Schwertwalen und den Menschen – auszuweichen.
Dunkle Wolken vermischen sich mit dem schwarzen Meereshorizont und untermalen den täglichen Kampf in der Natur. Nur im Osten hinter dem schwarzen Basalt bricht sich das Licht eines gebündelten Sonnenstrahls auf der Meeresoberfläche und versilbert den Strich. Die meisten Lachse schaffen es bis in das tiefere Flusswasser. Hier ruhen sie bis, bis sie wieder zu Kräften gekommen sind und wandern dann weiter zu ihren Laichplätzen, weit oben am Fluss, da wo er immer schmaler wird.
Die Männchen färben sich an den Flanken leicht rosa mit dunklen Flecken auf der silbrig grünen Haut. Ihr Hormonhaushalt verändert sich im Süßwasser. Der Laichhaken schiebt sich nach vorne. Durch die Deformierung kann der Lachs keine Nahrung mehr aufnehmen. Die Hochzeit kann beginnen, genau da, wo zwei, drei Jahre zuvor ihre Geburtsstätte war. Der Laich wird an den Kiesbänken frei gesetzt. Nur einmal Sex im Leben. Die männliche Milch befruchtet die Eier.
Danach beginnt das große Sterben. Der Tod beginnt an der Schwanzflosse sichtbar zu werden und endet zuletzt am Kopf. Der Leib verfärbt sich von hinten nach vorne in Ockerfarben mit fleckigen hellen Mustern.
Entkräftet
lassen sich die Lachse mit der Strömung des Flusses in Richtung Meer
treiben. Der hilflose Versuch, immer
wieder gegen die Strömung anzukämpfen, scheitert. Der Tod ist
stärker.
Zu Tausenden liegen sie am kiesigen Ufer. Kräftiger herbstlicher Regen lässt die Flüsse ansteigen. Ein letztes Mal gegen die Strömung ankämpfen. Der helle Bauch nach oben, so schwimmen die toten Seelen – wie eine Boje. Das Wasser tritt über die Ufer und räumt die Uferzonen von toten Lachsen frei. Einige geraten mit der starken Strömung zurück ins Meer. Ein anderer Teil der Lachse verwest im Fluss. Ihre Körper bilden im Naturkreislauf letztlich Nahrung für kommende Generationen.
Mein malerischer Zyklus „Leben und Sterben“ anhand der Lachse versinnbildlicht unser vergängliches Leben. Vor etwa sieben Millionen Jahren hat sich der Mensch blutig aus der Natur geschält. Von Steinwerkzeugen zum Computer. Mit dem Beginn der Sesshaftigkeit vor etwa 10.000 Jahren begann er sich eine Parallelwelt zur Natur aufzubauen – der Beginn des Anthropozäns. Heute hängen wir an Rohstoffen, am Konsum. Unser Leben wird mit Werbemüll zugedeckt. Maschinen übernehmen das Denken, weil die effizienter sind. Der Mensch schafft sich selbst ab. Aus Sicht der Evolution, ein normaler Prozess; für unser kurzes Leben, ein schmerzlicher Widerspruch, den der Mensch täglich verdrängt. Im meinen Bildern vermischt sich die eingeklebte Werbung, das alltägliche Rauschen des angeheizten Konsums, mit der Farbe, die expressiv und verletzend schreit.
reblogged – ursprünglich veröffentlicht am 3. März 2014
Obwohl ich in Warnemünde aufgewachsen bin, hatte ich bis vor kurzem noch nie von einem Polarflieger aus meinem Heimatort gehört (Dank an Reiner Frank, „Rostocker Zorenappels“, 5/2011). Vielleicht bin ich aber, ohne es zu wissen, Arthur Neumann öfters über den Weg gelaufen, denn in meiner Kindheit war der Ort außerhalb der Saison ein überschaubares ruhiges Städtchen. Mit der Arktis hatte Warnemünde eigentlich nichts gemeinsam, abgesehen von seltenen extrem kalten Wintern, in denen sich das Eis der Ostsee durchaus in „arktisches Packeis“ verwandeln konnte.
Heute, am 4. März 2014, jährt sich zum 40. Mal der Todestag von Arthur Neumann, der 1923 als erster ein Flugzeug von Spitzbergen aus in Richtung Nordpol gelenkt hatte. Der am 17.1.1890 in Hamburg geborene Flieger hat mit einigen Unterbrechungen bis zu seinem Tod in Warnemünde gelebt.
Arthur Neumann wurde während des 1. Weltkriegs Pilot. Er kam 1919 nach Warnemünde zur Deutschen Luft-Reederei und arbeitete ab 1923 für Junkers Luftverkehr AG, das führende Flugverkehrs-Unternehmen dieser Zeit.
Junkers hatte Anfang des Jahres 1923 zwei Maschinen vom Typ F 13, dem ersten Verkehrsflugzeug der Welt, an Roald Amundsen – den Bezwinger des Südpols und der Nordwest- bzw. auch der Nordost-Passage – geliefert, der damit von Alaska nonstop über den Nordpol nach Spitzbergen fliegen wollte.
Allerdings waren die Flugzeuge demontiert in Kisten nach Wainwright, Alaska angeliefert und dort ohne Junkers Spezialisten zusammengebaut worden. Am 11.5.1923 startete Amundsens Flieger Oskar Omdal die „Elisabeth“ zu einem ersten kurzen Testflug, jedoch brach bei der Landung der linke Ski, und der verunsicherte Amundsen blies den geplanten ersten Flug zum Nordpol und weiter nach Spitzbergen ab.
Bei Junkers hatte man sich in der Zwischenzeit Sorgen um Amundsens ehrgeizige Pläne gemacht und zur Absicherung des Polarflugs eine weitere F13 (D 260) mit dem Flieger Arthur Neumann auf den Weg nach Spitzbergen geschickt, als unerwartet Amundsens Absage eintraf.
Junkers war Geschäftsmann genug, um dieser schwierigen Situation noch etwas Positives abzugewinnen. Er beschloss, Neumann und den ihn begleitenden bekannten Schweizer Flieger und Fotografen Walter Mittelholzer mit Erkundungsflügen über Spitzbergen und ersten Luftbildaufnahmen zu beauftragen.
Bei diesen Flügen mit dem „Eisvogel“ gelang es Neumann am 8.7.1923, trotz nicht störungsfrei arbeitendem Motor erstmalig mit einem Flugzeug den 80. Breitengrad* zu überwinden (*in der vorherigen, nunmehr korrigierten Fassung hieß es: „fast den 83. Breitengrad zu erreichen“). Nach einem mehr als sechsstündigem Flug landeten sie im Gronfjorden, wo sich heute die russische Siedlung Barentsburg befindet. Hier mussten sie feststellen, dass das benötigte Ersatzteil nicht zur Verfügung stand.
Neumann war sich später sicher, dass sie gute Chancen gehabt hatten, erstmalig den Nordpol zu erreichen, wenn es ihnen gelungen wäre, das Flugzeug zu reparieren. Die fotografische Ausbeute Mittelholzers von diesen Flügen war immens, selbst ein 16 Minuten langer Film ist bis heute erhalten geblieben.
Für Arthur Neumann war es wohl der einzige Arktisflug, obwohl er 1926 in Island als Pilot für die Lufthansa tätig war. 1929 bildete er dann sowjetische Piloten im Blindflug aus, offensichtlich im Zusammenhang mit Junkers Flugzeugbau-Aktivitäten in der 1930er Jahren in der UdSSR. Neben dem eigenen Polarflug und einer Gesamtflugstrecke, die der 27maligen Umrundung des Äquators entspricht, zählte Neumann ein Zusammentreffen mit dem russischen Polarflieger Wodopjanow, der 1937 als erster Flieger am Nordpol gelandet war, zu den bedeutsamen Ereignissen in seinem Leben.
Leider sind von Arthur Neumann keine persönlichen Aufzeichnungen über seine Arktisflüge und sein späteres Fliegerleben bekannt. Wären da nicht das Buch „Im Flugzeug dem Nordpol entgegen“ von Mittelholzer und dessen wunderbaren Fotos in den Archiven, hätte man wohl den Polarflieger Arthur Neumann aus Warnemünde, der beinahe als erster Flieger den Nordpol erreicht hatte, längst vergessen.
Amundsen gelang es doch noch, nach Erreichung des Nordpols am 12. Mai 1926 als ehrgeiziger Vermarkter seiner selbst den Ruhm als ein Eroberer des Nordpols zu beanspruchen. Eigentlich aber war er nur als „Tourist“ auf dem Luftschiff Norge unter Kommando von Umberto Nobile dabei gewesen …
Farley Mowat wurde genau heute vor 99 Jahren, am 12. Mai 1921, geboren. In seiner Heimat Kanada sprechen manche von ihm als einem Schriftsteller, der, obwohl er es hin und wieder mit manchen Fakten gar nicht sehr genau nahm, dennoch immer die Wahrheit schrieb. Sind seine „Erlebnisberichte“ in Wirklichkeit erfunden, sind es Romane? Der Geschichtenerzähler veröffentlichte seit den 1950er Jahren 44 Bücher; in vielen davon, die wie Erlebnisberichte wirken, sind die Abgrenzungen zwischen „non-fiction“ und „fiction“ fließend. Inzwischen wird solcherart Literatur, für die er als Pionier stand, als „faction“ oder „creative nonfiction“ akzeptiert und gefeiert.
„Der engagierte Umweltschützer Farley Mowat (geb. 1921) wurde mit Büchern über die grandiose Natur des Nordens („Ein Sommer mit Wölfen“) und die schwere Situation der Caribou-Inuit bekannt („Gefährten der Rentiere“, „Chronik der Verzweifelten“). … Mowats leidenschaftlicher Einsatz für den Schutz der nordischen Natur, der auch in seinen jüngeren, frühere Erlebnisse behandelnden Büchern „No Man’s River“ und „Eastern Passage“ (beide bisher nicht auf Deutsch) zum Ausdruck kommt, brachte ihm Freunde wie Feinde ein.“ – zitiert nach: Kanada. Alles, was sie über Kanada wissen müssen (Länderporträt), MANA-Verlag, S. 333f.
Eines von Mowats größten Verdiensten ist, dass er erstmalig vielen seiner Landsleute bewusst machte, dass Kanada jenseits der dichter besiedelten Region um den 49. Breitengrad auch noch einen Norden hat, einen riesigen Raum voller Schönheit, in dem seit Jahrtausenden Menschen in und mit der rauen Natur leben. Auch wenn sich nicht wenige „Northerners“ fanden, die seinen Umgang mit den Fakten kritisierten: Kein anderer Autor hat dem Publikum derartig wirksam, voller Enthusiasmus und Liebe, den kanadischen Norden – mitsamt seinen Problemen – nahe gebracht. Durch sein Buch People of the Deer (dt: Gefährten der Rentiere) trug er maßgeblich dazu bei, dass ein Inuit-Volk, die Ahalmiut, überleben konnte. Diese „Karibu-Inuit“ lebten in einer abgelegenen Region der Arktis und hatten nur wenig Kontakte mit Fremden. Wegen des erhöhten Abschusses von Karibus viel weiter südlich fand die massenweise Migration dieser Tiere nach dem Norden damals nicht mehr so statt wie zuvor. Dadurch war den Ahalmiut ihre Hauptnahrung weggefallen, und sie waren vom Verhungern bedroht.
Farley Mowat ist als einer von Kanadas ersten und engagiertesten Natur- und Umweltschützern bekannt geworden. Sein Einfluss ging aber über seine Heimat hinaus und erreichte sogar den Naturschutz in der Sowjetunion, nachdem sein Buch Never Cry Wolf (dt: „Ein Sommer mit Wölfen“; verfilmt von Disney als „Wenn die Wölfe heulen“) von 1963 auch ins Russische übersetzt wurde. Bis dahin hatte man in der Sowjetunion einen Vernichtungsfeldzug gegen Wölfe geführt. Wie auch anderswo in der Welt leitete das Buch dort eine tiefgreifende Veränderung der Einstellung zu diesen Tieren ein, die man zuvor lediglich als gefährliche, aggressive Schädlinge betrachtet hatte.
Unterhaltsame, heitere, humorvolle Bücher – in Deutschland wurde „Das Boot, das nicht schwimmen wollte“ und „Der Hund, der mehr sein wollte“ bekannt – gehören zu Mowats Werk ebenso wie Bücher mit geschichtlichen Themen. Faszinierend, wie er in The Farfarers die Möglichkeiten betrachtet, dass lange vor der Neuzeit und sogar vor den Wikingern bereits Entdecker von den Orkney-Inseln Kanada erreicht haben könnten: Grundlage sind archäologische Funde auf Pamiok Island. Die Nachbildung eines solchen möglichen Bauwerkes – das Steinfundament eines Langhauses, dessen Dach ein mit Walrosshaut bespanntes Boot bildet – wurde von Freunden in Mowats Garten in Port Hope aufgestellt.
Mowats Bücher wurden in viele Sprachen übersetzt und in über 50 Ländern insgesamt mehr als 17 Millionen Exemplare verkauft, was ihn zum wohl erfolgreichsten Autor Kanadas macht. Mehrere seiner Bücher wurden verfilmt, darunter The Snow Walker („Der Schneewanderer“). Zeitgenossen berichten über Begegnungen mit ihm als einen liebenswerten, manchmal auch verstörend Unangepassten, hinter dessen gelegentlich bärbeißigem Auftreten sich ein fröhlicher, bezaubernder und sehr einfühlsamer Mensch verbarg.
Farley Mowat liebte die Natur nicht nur – er studierte sie, schrieb über sie, brachte sie anderen Menschen nahe und tat sein Bestes für ihren Schutz. In großzügiger Weise hat er mit der Schenkung von über 80 Hektar Land auf Cape Breton Island, als künftigem Naturschutzgebiet, den Nova Scotia Nature Trust unterstützt. Vor 6 Jahren, am 7. Mai 2014, ging das erfüllte Leben eines leidenschaftlichen Menschen zu Ende.
Welch mutiger Schritt, in Eis und Schnee zu treten, mit jungen Menschen, die dort aufgewachsen sind, kreativ zu arbeiten. Alte und neue Geschichten berühren sich und – alles ist im Fluss. Stannes Schwarz zeigt nicht nur poetische Bildbeschreibungen der Landschaften und des Lichtes, sondern das heutige Leben in dieser Abgeschiedenheit, die gar nicht abgeschieden ist, hier geht es nur langsamer. Tradition und Moderne stoßen mehr oder weniger gewaltsam aufeinander. Kinder werden erinnert an die Geister der Urahnen ihrer Großeltern, mithilfe des Projektes von Stannes Schwarz „Kids+Art+Landscape“.
In Maniitsoq fand das Hochzeitfest der INNUSSUIT statt – aus aufgesammeltem Müll, Plastikbehältern, wurden zwei Figuren am Ufer installiert, das Hochzeitspaar. Auf einer felsigen Klippe standen sie und waren mit Steinpyramiden umrahmt, die die Kinder anfertigten.
In Nanortalik errichtete Stannes Schwarz „Kratzer“ – Qitsuvitoq. Es sind gefrorene Eiszapfen, die aufgerichtet auf Steinen stehen. In einer 22 Meter langen Reihe, mit Abständen, standen diese „Kratzer“ in der Polarnacht. Leider kamen an diesen Tag zu dieser Aktion keine Kinder, und man traf sich erst am anderen Tag.
In Qaqortoq stand der Abschied von den Schneegeistern bevor. Stannes Schwarz schob mit den Kindern die letzten Schneereste zusammen und bauten große Schneemasken, die innen mit Kerzen beleuchtet wurden. Der Abschied vom langen, kalten Winter wurde mit den Kindern gemeinsam gefeiert.
Stannes Schwarz bricht in seinen Erzählungen viele Facetten auf, die in ihrer Komplexität eng verschlungen sind mit der Kolonialgeschichte, mit dem amerikanischen Stützpunkt während des 2. Weltkrieges und danach, mit dem Tourismus, mit dem Klimawandel, mit der verlorenen Jagd der Einheimischen, mit der Suche nach Rohstoffen – und viel Meer.
Die Einsamkeit in den langen Polarnächten ist gefüllt mit Träumen, aber auch Depressionen machen sich breit. Ein schwankendes Gebäude, es droht zu kippen… Der Autor fängt es auf mit dem malerischen Zyklus, auf spröden Holzplatten: „Galerie der Polarfahrer“, wo Leid und Freud, Sieg und Niederlage dicht beieinander liegen. Untrennbare Pole!!! Diese karge Sprödigkeit ist verletzbar, wie unser Leben.
Ein Buch weit weg vom Tourismus hinein in den Alltag, das eine Brücke der sinnlichen Kommunikation schafft. Im Sinne von Beuys – eine soziale Plastik!
… eine Übung für Nova Scotia, oder Vogelbeobachtungen
Diesen Beitrag schrieb ich bereits 2015, und jetzt wird er auf unseren neuen Blog übetragen.
Wieder mal war Sonnenschein zu erwarten – falls der Wetterbericht nicht lügt. So entschloss ich mich kurzerhand am Vorabend, meine Sachen zu packen, die für eine Bootsfahrt wichtig sind. Der Bahnstreik wurde gerade 21°°Uhr beendet, so dass nichts im Wege stand.
Morgens kommt die Blaue Stunde, als ich sechs Uhr am Bahnsteig stehe und der rote Doppelstockzug von Magdeburg nach Eisenhüttenstadt einfährt. Die glühend rote Sonne leuchtet durch die Wirtschaftswälder (Kiefer), die auf märkischem Sand stehen. Nach anderthalb Stunden Zugfahrt laufe ich vom Bahnhof Eisenhüttenstadt nach Fürstenberg.
Unten am steinigen, menschenleeren Ufer blase ich mein rotes Gefährt auf. Eine junge Frau mit zwei Hündchen begrüßt mich, während ich mit Unterhose da stehe und mich umziehe. Nach zwanzig Minuten bin ich schon auf dem hier stillen Wasser. Schließlich ist das ein Kanal und noch nicht die Oder, die dreihundert Meter weiter entfernt fließt. Durch die milchige Wolkendecke leuchtet weiches Licht auf das Städtchen.
Kaum aus dem Kanal gepaddelt, nimmt mich der Strom mit nach Norden. Ein dunkles Schwemmholz kommt mir entgegen. Schwemmholz? Es ist ein Biber. Leider ist mein Fotoapparat noch nicht startklar. Nur wenige Minuten später steht ein neugieriger Rehbock vor mir. Der denkt sich wohl: „Soll ich hier bleiben oder wegrennen?“. Er ist noch unschlüssig, während das Fließgewässer mich immer näher zu ihm bringt und ich aus nächster Nähe fotografiere. Jetzt erst trabt er langsam durchs Schilf und verschwindet mit seinem weißen Spiegel am Hintern.
Die Bäume und Sträucher blühen und das junge zarte grüne Laub entfaltet sich, reckt und streckt sich nach Wärme. Vögel zwitschern, einige davon sind Zugvögel, die schon zurück aus dem Süden sind. So beobachte ich Fischadler, Schwarzmilan, Zilpzap, Wacholderdrossel, Kuckuck, Rauchschwalben, Küstenseeschwalbe – und andere werden noch kommen …
Endlich zieht der weiße Schleier auf, und es wird richtig warm. Zwei Silberreiher fliegen über mir. Öfters fliegen Graugänse vom Ufer auf, ziehen ihre Kreise, um hinter mir wieder ihre Ruheplätze einzunehmen. Sie sind sehr scheu.
Während das westliche Ufer fast menschenleer bleibt, sehe ich im Osten mehrere polnische Angler: als hätte sie Gott aus Lehm geschaffen, heben sie sich kaum von der Erde ab.
Im weiten Blau da oben am hellen Himmelszelt segeln ein Seeadler und ein Fischadler. Ich beobachte noch Mäusebussarde und einen schnell dahinfliegenden Turmfalken. Ein Schwarzmilan sitzt ruhig auf einer der vielen abgestorbenen Weiden. Sobald ich ihm mit dem Fließgewässer näher komme, fliegt er auf.
Ebenso ängstlich sind die Schellenten, die bei hundert Meter Abstand das Weite suchen.
Die kleinen Graugänse fliehen ins hohe Gras, sobald mein rotes Boot gesichtet wird.
So paddle ich den lieben langen Tag, und viel Gezwitscher unterbricht die Stille angenehm und begleitet mich. Am lautesten sind die Bruchwasserläufer mit ihren hohen Pfeiftönen. Auffallend der weiße Bürzel und die länger herausschauenden Beine. Die Flußuferläufer stehen am steinigen gepflasterten Uferstreifen und wippen mit ihrem Hintern. Sie sind nicht ganz so scheu wie die Bruchwasserläufer, aber auch schwierig zu fotografieren.
Die Gänsesäger treibe ich unbeabsichtigt mit meinem Boot nach Norden. Sicherlich werden alle Vögel durch mein Paddeln im Oderbruch ankommen. Dies ein Grund genug, dort nach der Wende ein Naturschutzgebiet einzurichten … 😉
31 vom Wasser aus beobachtete Vogelarten – das ist nicht allzu viel, aber schön.
Meine Gedanken fließen noch zu Gottfried Benn, als ich Frankfurt/Oder erreiche und durch zwei moderne Brücken paddle. Hier ein Auszug aus dem Gedicht „Teils-teils“:
… graue Herzen, graue Haare
der Garten in polnischem Besitz
die Gräber teils-teils
aber alle slawisch,
Oder-Neiße-Linie
für Sarginhalte ohne Belang
die Kinder denken an sie
die Gatten auch noch eine Weile
teils-teils
bis sie weitermüssen
Sela, Psalmenende.
Heute jährt sich J. A. Miertschings Todestag – 30.3.1875
„Dieser Tage können wir in ganz Deutschland viel Grün und farbige Blüten sehen – unzweifelhaft hat der Frühling bereits Einzug gehalten. Es fällt schwer, sich vorzustellen, dass heute vor 139 Jahren in der Oberlausitz das Thermometer unter -10°C anzeigte. Der Winter von 1874/75 suchte die Oberlausitz in ungewöhnlicher Strenge heim …“ So begann einst unser Beitrag „Johann August Miertsching zum Gedenken„, der auch einen Kurzüberblick über sein Leben gibt und hier nachzulesen ist. Auch an seine Umrundung Amerikas erinnerten wir bereits, und auf unserem Blog finden sich noch viele weitere Beiträge über ihn.
In den letzten Jahren sprachen wir oft über Johann August Miertsching, den Sorben und Herrnhuter, den Schuhmacher und Polarforscher, den Pflanzenkundigen und Jäger – und vor allem den Mitmenschen seiner Gefährten, ob bei den Inuit in der kanadischen Arktis oder bei den Seeleuten an Bord von HMS Investigator. Unsere Vorträge im Völkerkundemuseum Herrnhut – so 2018 über den „Sorben in der Arktis“ oder erst kürzlich: „Vom Eismeer zum Kap der Guten Hoffnung – Auf den Spuren von Johann August Miertsching – unterwegs in Kapstadt, Elim und Genadendal“ – stießen auf großes Interesse.
Auch unsere Vorträge bei der Maćica Serbska im Wjelbik in Bautzen (2018) oder in den Schwesternhäusern in Kleinwelka (2017) fanden sehr aufmerksame Zuhörer. Bei unserem Vortrag „A New Take on Johann August Miertsching“, gehalten auf der Internationalen Polartagung in Rostock 2018, stellten wir fest, dass – wie bereits vermutet – Johann August Miertsching bei vielen der anwesenden Polarforscher nahezu unbekannt war. Im englischen Sprachraum ist Miertschings Reisetagebuch jedoch seit Jahrzehnten eine vielzitierte Quelle, besonders bei Polarhistorikern und Kulturanthropologen.
Dieses große Interesse an Miertsching lässt uns hoffen, dass er, wenn auch verspätet, endlich auch in heimischen Gefilden angemessen beachtet und gewürdigt wird!
Die ITB Berlin wurde abgesagt, und damit fiel auch die für den 6. März angesetzte Verleihung des ITB BookAwards aus. Ohne Kommentar. Aber für immer? Oder verschoben? Es war nichts zu erfahren, und natürlich gibt es auch viel Wichtigeres.
Auch die Leipziger Buchmesse fiel der Pandemie zum Opfer. Was geschah mit dem Preis der Leipziger Buchmesse 2020? Natürlich fiel die Preisverleihung auch aus. Oder? Zufällig hörten wir im Radio, dass der Deutschlandfunk übernahm: es gab somit eine „öffentliche“ Preisverleihung – im Öffentlichen Rundfunk, ansteckungsfrei für die Zuhörer. Leider erst im Nachherein erfolgte auf der Website der Buchmesse eine entsprechende Pressemeldung.
Dass die ITB-Preisverleihung irgendwie virtuell stattfand, ist natürlich ok, aber besser wäre es schon, man hätte das als Beteiligter (z.B. Preisträger) auch erfahren können. Erst heute entdeckte ich das zufällig – auf „Jetzt ein Buch„.
Auf einem Segelschiff ohne Segel. Viele Wolken, Erinnerungen – und natürlich Kunst
reblogged vom Dezember 2017
Am 18. September 2013 trieb ein Zweimaster führerlos bei starken Sturm gegen die steinige Küste der Beringinsel und zerschellte direkt am Ufer der einzigen Ortschaft Nikolskoje, die 1826 gegründet wurde und rund 700 Einwohner hat.
Mit Hilfe eines Kranes hievten Sergej und seine Freunde die Segelyacht an Land, ganz in der Nähe seines Ateliers. Die Backbordseite war aufgerissen und der Schiffskörper voller Wasser.
Die Yacht ruht auf dem schönsten Uferplatz der Siedlung, direkt an der Flussmündung Gavanskaya Reka. Hier fliegen zwar nicht die gebratenen Tauben vom Himmel, aber die Lachse ziehen bei Flut vor der Haustür vorbei.
Die etwa 15 Meter hohen Masten wurden abgetakelt und liegen nun bei Sergej im Schuppen. Auf der verletzten Backbordseite baute Sergej ein japanisches Bullauge ein, und auch eine Tür, die nun den Eingang in den Schiffskörper bietet.
Die Treppe zum Deck wurde entfernt, so dass die Kajüte groß und geräumig wurde. Statt des Mastes schaut jetzt ein langes Ofenrohr heraus. Die Kajüte wurde mit historischen Fotos aus Alaska ausgeschmückt.
Ein selbstgemaltes Bild zu Melvilles „Moby Dick“, Bücher und viele interessante Utensilien bereichern den Raum und machen ihn urgemütlich.
Die ursprüngliche Inneneinrichtung ist zu 70% erhalten. Eine polnische Werft stellte Segelschiffe für die Sowjetunion her. Wir nehmen an, das die Yacht auf der Danziger Werft hergestellt wurde, so wie auch Sergejs kleines Segelschiff „Alexandra“, die neben sein Bootshaus aufgebockt steht und mit Google Earth unter „Beringinsel, Nikolskoje“ betrachtet werden kann. Mit der „Alexandra“ segelten wir 1998 an der Küste Alaska entlang, auf den historischen Spuren von Vitus Bering und der Zweiten Kamtschatka-Expedition.
Die Yacht mit den Namen „WILD“ kann bis 14 Personen aufnehmen. Auf Grund von Breite und Schnitt des Bootskörpers ist sie nicht die schnellste, und jetzt dient sie als feststehendes Quartier, ist mein Rückzugsgebiet vom Dorf.
Nur das Rauschen des Meeres und die Schreie der Beringmöwen erreichen die Yacht, sobald ich die Türe am Morgen öffne und vergeblich den Sonnenaufgang suche.
Regen, Nebelwolken und starke Winde wechseln sich ab. Kein Fotografie-Wetter, aber für mich als Maler ist der Wolkenhimmel beeindruckend.
Der Dresdner Maler und Arzt Carus schreibt: „Wie ziehende Wolken im steten Wandel begriffen, so die inneren Zustände des Menschen. Alles, was in seiner Brust widerklingt, ein Erhellen und Verfinstern, ein Entwickeln und Auflösen, ein Bilden und Zerstören, alles schwebt in den Gebilden der Wolkenregionen von unseren Sinnen.“
So gehe ich jeden Tag ans Riff, wo der Wind die dunklen Wolken über mich her treibt. Die weiß schäumenden Wellen brechen an der erkalteten, schwarzen Lava, und ich warte auf helles Licht.
Oft quält sich das Sonnenlicht nur spärlich durch die Wolkenbänke, und ein weißer Strich bleibt am dunklen Meereshorizont kleben. Kierkegaard schreibt: „Wolken sind Hirngespinste und Gedanken, was sind sie anderes? Sieh darum wird man alles anderen müde, doch der Wolken nicht.“
Fast jeden Abend sitzen Sergej rauchend und ich Tee trinkend am heißen knisternden Kanonenofen und erzählen uns alte Geschichten von Freunden und Bekannten, die wir über die Jahrzehnte zwischen Alaska und Russland gemeinsam kennen lernten. Balzac schrieb, das man zweimal lebt: „Das erste Mal im wirklichen Leben, das zweite Mal in der Erinnerung“. So schwelgen wir in die Nacht, bevor die Müdigkeit uns übermannt.
Dieser Beitrag, der erstmals zur Berlinale 2018 erschien, wird hier reblogged, da der Film „Three Thousand“ im Februar und März dieses Jahres – (im Programm Kurzfilme Home and Native Land im Rahmen der Canada Now – The MapleMovies Festival Tour 2019/20) – nochmals in verschiedenen Kinos in Deutschland gezeigt wird.
Es sind nur 12 Minuten Film, doch welche Fülle und Intensität! Zarte farbige, abstrakte Gebilde bewegen sich, fließen und setzen sich neu zusammen, während die ersten Sätze erklingen wie Musik, gesprochen in Inuktitut und gleich darauf in englischer Übersetzung, in denen Asinnajaq eigentlich Unfassbares umreißt: „…jetzt lebe ich, aber ich werde sterben, und es wird eine Welt geben, in der ich nicht existiere“. Wie Poesie klingen auch die nächsten Worte, doch sie sind auch konkret, einfache Realität: “Mein Vater wurde im Frühlings-Iglu geboren – halb aus Schnee, halb aus Tierhäuten. Ich wurde im Krankenhaus geboren, mit Gelbsucht und zwei Zähnen“. Zwei Sätze, die das Tempo der Zeit erfassen, einen Generationswechsel – einen kulturellen Umbruch.
Beim Klang von Inuit-Kehlgesang zerfließen die farbigen Gebilde, geben den Blick frei auf eine eisbedeckte Meeresbucht vor hohen Bergen, auf Pitsik, rohe rote Fische, die zum Trocknen aufgehängt sind, auf eine schneebedeckte Tundralandschaft, über die der Wind fegt. Ein Hundeschlittengespann, Iglus, Frauen bei der Arbeit, neugierige Kinder … – Szenen aus alten Dokumentarfilmen in Schwarzweiß: Impressionen aus dem Alltagsleben der Inuit vor Jahrzehnten.
Szenenwechsel: Das Schiff „Arctic“ kämpft sich durch raue See, Inuit bereiten den Landungssteg vor, Kapitän Bernier, ein bekannter Polarfahrer, defiliert in Uniform vor den am Rand versammelten Inuit, an die Süßigkeiten ausgeteilt werden: Bilder einer Zeit, in der koloniale Attitüden gegenüber indigenen Völkern offensichtlich waren – und in der einschneidende Umwälzungen eingeleitet wurden, wie in der Folge erkennbar wird.
Die junge Inuit-Filmemacherin Asinnajaq ist Absolventin des NSCAD in Halifax. Obgleich in Montreal geboren und aufgewachsen, ist sie der Welt ihrer Vorfahren fest verbunden. Sie verwendet Filmmaterial aus den Archiven des NFB (das National Film Board of Canada, das den Film auch produziert hat), darunter Dokumentationen, Propaganda- und Bildungsfilme wie auch Spielfilme von Inuit-Filmschaffenden; kombiniert mit Animationen schafft sie daraus eine faszinierende Collage. Farbige Naturaufnahmen zeigen arktische Tiere, wie Karibus, die erstaunlicherweise in der schneebedeckten Tundra existieren können – genau wie die Inuit; trotz aller Unwirtlichkeit, der unerbittlichen Kraft der Natur in diesen hohen Breitengraden. Wir, weiter südlich lebend, gewöhnt an milderes Klima, könnten dort kaum überleben; die Inuit tun es seit Jahrtausenden, es ist ihre Heimat – die sich aber gerade radikal verändert.
Die „Videoschnipsel“ aus dem NFB-Archiv zeigen, wie die Inuit in erstaunlicher Weise, unter Nutzung der lokalen Ressourcen und mit einfachsten Mitteln ihr Leben meisterten und meistern. Viele der gezeigten Handlungen erscheinen uns nahezu archaisch. Das Abhäuten von Tieren, das Trocknen und Reinigen von Pelzen, das Schneiden von Lederriemen aber gehört noch immer zum Alltagsleben (wie auch der auf der Berlinale 2017 vorgestellte Film Angry Inuk zeigte) – dies auch in der großen arktischen Siedlung mit Supermarkt, Strom- und Wasserversorgung, farbenfrohen Häusern und modernen Küchen. Neugierige Kinder im Klassenzimmer, ein großes Fabrikgebäude in arktischer Landschaft und Inuit in der Essenspause in der Werkkantine stehen für den radikalen Umbruch. Der Fourwheeler hat das Hundeschlittengespann abgelöst, doch es ist noch immer Arktis; wo im Winter die Atemluft gefriert; wo auch die Kleinkinder wissen, dass ein totes Tier neben ihnen bedeutet, dass es etwas zu Essen gibt.
Packend die Intensität der Szenen, die in schneller Folge wechseln – und doch immer wieder Ruhepole zeigen: eine behaarte Raupe im Tundragras; die Großmutter, die ein kunstvolles Behältnis aus trockenem Gras flicht. Das alles eingebettet in Schichten von traumartigen Animationen, die sich in Landschaftsbildern auflösen; Musik, anfangs weich und sanft, sphärische Klänge, konturiert durch den rauen, hektischen Kehlgesang (hier wirkt auch Tanya Tagaq mit) – bereichert durch Naturgeräusche. Es ist Poesie, und es ist Alltag. Und es wird zur Vision, wenn Asinnajaqs digitale Animationen in die Zukunft führen, in das Jahr Dreitausend: unter den Nordlichtern im Dunkel der Polarnacht – oder des Universums? – glüht eine futuristische Inuit-Siedlung auf; ein Elternpaar in traditioneller Kleidung, das Baby im Amauti, schaut von einem Berg auf die strahlende Lichtkuppel im Zentrum der Siedlung: Kontinuität und Hoffnung.
Three Thousand, eine Produktion des National Film Board of Canada, war im Februar 2019 auf der Berlinale zu sehen, aus diesem Anlass entstand dieser Beitrag. Hier nun noch ein paar visuelle Impressionen von der damaligen Vorstellung im Zoopalast, wo „Three Thousand“ gemeinsam mit „Fata Morgana“, einem Film über Tschuktschen, ihre Kolonialisierung und die heutigen Überlebenskämpfe, gezeigt wurde: (Copyright für alle Fotos: Wolfgang Opel)
Asinnajaq über ihren Film: „The purpose for me in work is not so much to shame anyone. It’s more to show how strong we can be as people ….. it’s about me and where I’m from and all of us and how strong we are. And that’s why it’s going into the future and saying that we can have a world that we wanna have…“
Kanada liegt nicht nur an drei Meeren, sondern hat noch eine riesige vierte Küstenlinie im Inneren – auch wenn Lake Ontario, Lake Erie, Lake Huron und Lake Superior trotz ihrer gigantischen Größe keine Meere, sondern „nur“ Seen sind.
An der Georgian Bay, einer Ausbuchtung des Lake Huron, liegt der kleine Ort Leith, in dem der wohl bedeutendste Maler Kanadas, Tom Thomson, aufgewachsen ist und nach seinem tragischen Tod – nach Angaben der Familie – auch bestattet wurde.
Als wir im August 2018 die Grabstätte aufsuchten, fanden wir sie mit vielen „Devotionalien“ geschmückt: Portraits von Tom Thomson, Pinsel, Farben, einer Flasche Rotwein, kleinen Steinen und auch einem Wanderstock. Wir legten eine Euro-Münze als Gruß aus dem fernen Europa dazu.
Wasser spielte für Tom Thomson eine besondere Rolle, denn er war nicht nur ein genialer Maler, sondern auch ein begeisterter Angler und Paddler, der sich oft wochenlang allein in der Wildnis aufhielt, wo er natürlich auch malte. Besonders viel Zeit verbrachte er am Canoe Lake im Alonquin Park.
Viele der Ölskizzen, die Tom Thomson später im Atelier als Grundlage für seine Gemälde nutzte, entstanden auf seinen Paddeltouren über abgelegene Seen in Ontario.
Es sind mit kräftigem Strich und leuchtenden Farben gemalte Landschaften mit Flüssen, Seen, die umgebenden Ufer, Berge und Wälder und einem oft dramatischen Himmel.
Die Arbeiten von Tom Thomson und die seiner Malerfreunde aus der späteren „Group of Seven“ begründeten die eigenständige kanadische Landschaftsmalerei.
Die zeitgenössische Fotografie kanadischer Landschaften, wie wir sie aus Bildbänden, von Kalendern oder aus dem Internet kennen, folgt oft – bewusst oder unbewusst – den Motiven und Impressionen der kanadischen Maler des frühen 20. Jahrhunderts wie Tom Thomson, den Mitgliedern der Group of Seven oder auch Emily Carr.
Glücklicherweise sind viele der Arbeiten dieser Maler in öffentlichen Museen zu sehen, wie in Toronto, Ottawa, Kleinburg, Vancouver.
In der Stadt Owen Sound – in der Nähe des kleinen Ortes Leith – besuchten wir die Tom Thomson Art Gallery, die sich hauptsächlich dem Leben und Werk des Künstlers widmet.
Tom Thomson wurde leider nur 39 Jahre alt, da er vor 101 Jahren beim Paddeln über den Canoe Lake im Algonquin Park ums Leben kam.
Thomsons Tod hat seither zahlreiche Wissenschaftler, Journalisten und Amateurdetektive beschäftigt. Manche Autoren vermuten, dass er ermordet wurde. Das konnte bisher aus vielerlei Gründen nicht aufgeklärt werden. Sowohl Nachfahren aus Thomsons Familie als auch die Behörden Ontarios weigern sich, DNA-Tests an einem Leichnam machen zu lassen. Dieser wurde vor 60 Jahren neben einem Friedhof am Canoe Lake gefunden, und es gibt schlüssige Indizien, dass dies Tom Thomsons Überreste sind.
Ein kürzlich publiziertes Buch von John Little über den Tod von Tom Thomson liefert neue Gründe, die zumindest zweifelhafte offizielle Todesursache des bedeutendsten Malers Kanadas neu zu untersuchen.
Völlig verblüfft waren wir vorgestern, als wir ganz unerwartet die Nachricht erhielten, dass wir „Gewinner“ bzw. „Preisträger“ sind!
Aus Anlass der ITB Berlin, der weltgrößten Touristik-Messe, werden jährlich Buchpreise vergeben. In der Rubrik “ Frankfurter Buchmesse Ehrengast 2020 – Kanada“ sind nun unsere Bücher gleich zweimal vertreten!
Wir freuen uns sehr, dass unsere jahrelange gründliche Beschäftigung mit Kanada, unsere Recherchen und Reisen auf diese Weise ihre Anerkennung finden !!! Wir fühlen, dass mit dem Preis für das „Kanada-Länderporträt“ auch unser Anliegen honoriert wurde, hier nicht nur ein tolles Reiseland mit großartiger Natur vorzustellen, sondern auch die Geschichte des Landes und seiner ersten Bewohner, die Folgen von Kolonialpolitik, die gelebte Multikulturalität und einige aktuelle Entwicklungen und Probleme zwischen notwendiger Dekolonisierung und heutiger Umweltkrise.
Nachtrag am 28.1.2020: Die Frankfurter Rundschau schreibt, der Direktor der Frankfurter Buchmesse Juergen Boos sei erfreut, dass sich mit Kanada ein Gastland in Deutschland präsentiere, das für die Akzeptanz des Diversen und der Multikulturalität stehe. Das ist ganz im unserem Sinne und es widerspiegelt sich auch in unserem Länderporträt über Kanada, das den ITB BuchAward bekommt!
Der Arzt und Naturforscher Georg Wilhelm Steller nahm von 1737 bis 1743 an der Zweiten Russischen Kamtschatka-Expedition unter Kapitän Vitus Jonassen Bering teil.
Steller schreibt: „Die Berg-Götter nennen sie [damit sind die Itelmenen, die Ureinwohner von Kamtschatka gemeint, die bereits vor weit über 20.000 Jahren, lange bevor die Russen und Europäer kamen, auf der Halbinsel lebten] Kãmŭlĭ [Gomuli] Diese wohnen auf den hohen und besonders brennenden und rauchenden Gebürgen… Sie ernähren sich von Wallfischfang, gehen des Nachts durch die Luft in die See…“
Für die Itelmenen waren die aktiven Vulkane heilige Orte. Daraus ergab sich der poetische Titel des Buches. Dem Herausgeber Joachim Ruf haben wir zu verdanken, dass 46 Autoren zusammengetragen wurden, die ein facettenreiches Bild in gedichteter Form über den Forschungsreisenden Georg Wilhelm Steller, über den dänischen Kapitän in russischen Diensten Vitus Bering, über die Halbinsel Kamtschatka und über das Stranden der Großen Nordischen Expedition auf der Beringinsel schildern. Dieses kleine Taschenbuch ist nicht nur ein Kleinod für alle, die Abenteuer lieben und sich für den fernen Osten in Sibirien interessieren, sondern es bietet auch auch Anregungen für Zukünftiges, darüber, wie wir mit der Natur und mit uns selbst umgehen.
Nachts flogen die Gomuli: Gedichte in deutscher, russischer und englischer Sprache, herausgegeben von Dr. Joachim Ruf. 3. Auflage; 8,99 €, Ebook 4,49€. ISBN: 373573717X, EAN: 9783735737175. BoD, bestellbar beim Buchhändler Ihres Vertrauens. Erhältlich auch bei Thalia, Hugendubel und im einschlägigen online-Buchhandel.