Alles Gute zum Neuen Jahr! – Happy New Year!

Zum Neujahr grüßen wir mit einem Schatz der Filmgeschichte: „Conquest of the Pole“ ist ein 30-minütiger Science-Fantasy-Film von Georges Méliès nach einem Buch von Jules Verne. Die Parodie über den Wettlauf rivalisierender Parteien zum Nordpol hat interessante cineastische Features, insbesondere wenn man die Ikonographie von vor über 100 Jahren und die einfachen technischen Mittel der Zeit bedenkt! Köstlich ist, wie zu dieser Zeit die arktische Landschaft und der Nordpol gesehen werden: hier gibt es Eisspitzen, Monolithen mit Kristall-Struktur und sogar einen Schneeriesen … – Genießt es! (below you find the text in English)

WFrohes Neues Jahr 2010 – We wish you a Happy New Year 2020!

As a New Year’s greeting we herewith point to a 30 minute video which shows a treasure of film history: „Conquest of the Pole“ is a science fantasy film by Georges Méliès based on a book of Jules Verne. It is a parody dealing with a race to the north pole by rival parties. Some charming cinematographic highlights, given the iconography and simple technical features – note this is 100 years old! Delicious how the landscape and the North Pole is seen at this time, with ice spires, crystalline monoliths, a Snow Giant – just enjoy.

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Deutsche Weihnachtslieder unter dem Polarlicht

reblogged vom Dezember 2013

Kuviana inovia – so heißt der Gruß „Frohe Weihnachten“ bei den Inuit in Nunatsiavut (Labrador) an Kanadas Nordostküste. In diesen Tagen sind die Kirchen und auch die Wohnungen in Makkovik, Hopedale und Nain mit Adventskränzen und Herrnhuter Sternen geschmückt, und manche Inuit singen deutsche Weihnachtslieder wie „Napâttuasuk” (O Tannenbaum) und „Unnuak Upinnak“ (Stille Nacht) – in ihrer Sprache Inuktitut, wie es schon seit über 200 Jahren Brauch ist.

Herrnhuter Stern
Herrnhuter Stern

Schon seit Jahrhunderten gab es in der Zeit, in der wir Weihnachten feiern, auch bei den Inuit in Labrador ein Fest des Wiedersehens, wenn man nach langer Trennung wieder mit Freunden und Verwandten zusammentraf. Die Jägernomaden waren im Frühjahr aufgebrochen, um zu jagen und zu fischen. Robben, Karibus, Füchse, Forellen, Lachse, Kabeljau und Seesaibling wurden für Essen, Kleidung und für Jagd- und Fischfanggerät benötigt – später auch für den Handel, z.B. gegen Mehl, Zucker, Tee und Stoffe. Erst wenn überall Schnee lag, die Gewässer gefroren waren und dickes Eis vor der Küste lag, wurde eine Pause eingelegt, und die Familien trafen im Dezember wieder an den Winter-Siedlungsplätzen zusammen.

Kirche von Makkovik - um 1900
Kirche von Makkovik – um 1900

1771 hatten Missionare der Brüdergemeine aus Herrnhut (Oberlausitz, jetzt Sachsen) in Nain die erste Missionsstation an Labradors Küste errichtet. Noch heute heißt die Schule dort Jens Haven Memorial School, nach dem Begründer. Es folgten Missionsstationen in Okak (1776) und Hopedale (1782), 1830 wurde Hebron gebaut, 1865 Zoar, 1871 Ramah, und 1896 gründete der Missionar Hermann Theodor Jannasch die Mission Makkovik.
Im 19. Jahrhundert waren sehr viele Labrador-Inuit bereits getauft und nahmen an den christlichen Weihnachtsfeiern teil. Nach Möglichkeit gab es in jeder Hütte einen geschmückten Weihnachtsbaum. Selbst in den Gemeinden nördlich der Baumgrenze wurden Touren mit dem Hundeschlitten nach Süden unternommen, um aus dem Wald nicht nur Brennholz, sondern auch Tannenbäume für das Fest herbei zu schaffen.

Weihnachten in Labrador - in alten Zeiten
Weihnachten in Labrador – in alten Zeiten

Am 24. Dezember begab man sich nachmittags um 4 Uhr in Festkleidung zur Christnachtsfeier in den nur schwach beleuchteten Kirchensaal. Hier wurde die Weihnachtsgeschichte verlesen, und anschließend sangen die Schulkinder ein Lied, während für jeden ein Stück Gebäck ausgeteilt wurde. Nun folgte der Gesang aller Erwachsener: „Sillaksub pingortitinga, Mariable Sardliapa“ – „Das ewig‘ Licht geht da hinein, gibt der Welt ein’n neuen Schein“ – als die Türe aufsprang und Kirchendiener mit Tabletts voller brennender Kerzen in die dunkle Kirche einzogen.

Christingle - Design by Tabea Murphy, Nain
Christingle – Weihnachtskarte, Design by Tabea Murphy, Nain

Jedes Kind bekam eine Kerze in einer ausgehöhlten Wasserrübe, die als Kerzenständer diente. Bevor ausreichend Wachskerzen aus Europa eingeführt wurden, waren diese Kerzen aus dem Talg der Karibus gezogen worden – was bedeutete, dass die Kinder sie hinterher essen konnten; zusammen mit der Wasserrübe und dem Gebäckstück bildeten die Kerzenstümpfchen eine recht ausgefallene Festtagsmahlzeit.

Adventskranz in der Kirche in Makkovik
Adventskranz in der Kirche in Makkovik

Unter dem Gesang von “Unnuak Upinnak“ (Stille Nacht, heilige Nacht), begleitet vom Posaunenchor, verließen die Gemeindemitglieder nun die Kirche. Am 1. Feiertag gab es dann eine Festpredigt mit Chorgesang und Geigen. Die Weihnachtszeit klang nach dem Herrnhuter Brauch mit dem Erscheinungsfest am 6. Januar aus, auch „Heidenfest“, hier „Nalajuk Night“ genannt.

Die Kirche von Nain - 2009
Die Kirche von Nain – 2009

Heute gibt es die Siedlungen in Ramah, Okak, Zoar und Hebron nicht mehr; aber in Nain, Hopedale und Makkovik sind wie damals die Kirchen mit Adventskränzen und Herrnhuter Sternen geschmückt. Nach altem Brauch geht man um 16:00 in die Kirche und singt gemeinsam die traditionellen Lieder beim „Candlelight Service“, die Kinder erhalten Kekse, und die Kerze gibt es nun in einem ausgehöhlten Apfel, das nennt man „Christingle“. Und auch am 6. Januar, „Old Christmas“, ziehen noch drei als „Nalajuk“ (Weise Männer), verkleidete Personen durch das Dorf.

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„In dieser eisigen Wüste“ – Weihnachtsfest auf andere Art

reblogged vom 22.12.2014

Damals fielen wir vor Schreck fast aus dem Bett, als es um Mitternacht plötzlich laut donnerte und krachte. Es war der 24. Dezember. Zur Feier des Tages hatten wir in einem kleinen Restaurant im abgelegenen argentinischen Städtchen El Calafate – nahe der patagonischen Anden am Lago Argentino – zu Abend gegessen und, anstatt zu campen, uns ein Hotelzimmer gegönnt, und dazu eine Schachtel handgemachter Pralinen aus der örtlichen Chocolaterie und ein Fläschchen Likör aus Calafate-Beeren geleert. Das war unsere bescheidene „Bescherung“ – denn das eigentliche Weihnachtsgeschenk für unsere vierköpfige Familie war die Patagonienreise selbst gewesen.

Weihnachten auf der Südhalbkugel: hier ist Sommer!
Weihnachten auf der Südhalbkugel: hier ist Sommer!

Schon um 11 lagen wir im Bett und schliefen.
Allerdings nicht lange. Auf Böller in der „heiligen“ Nacht vom 24. zum 25. waren wir – in Unkenntnis der hiesigen Bräuche – nicht gefasst, und erst recht nicht auf das dann noch fast zwei Stunden andauernden Gehupe, denn ein Autokorso lärmte unentwegt durch die Stadt.
Andere Länder, andere Sitten. Weihnachten schien für unsereins ohnehin nicht ganz zum Sommer der Südhalbkugel zu passen, auch wenn sich große Gletscher in der Nähe von Calafate befanden.
Dann schon eher zum Hohen Norden, zur Arktis?

Der Gletscher Perito Moreno am Lago Argentino
Der Gletscher Perito Moreno am Lago Argentino

Als der Oberlausitzer Johann August Miertsching, der eine britische Suchexpedition zur Auffindung der verschollenen Franklin-Expedition als „Eskimo“-Dolmetscher begleitet, im Jahr 1850 sein erstes Weihnachtsfest in der Polarnacht an Bord der im Eis eingefrorenen „HMS Investigator“ erlebt, fällt auch er fast aus allen Wolken. Er ist so befremdet, dass er im Tagebuch sein Missfallen nur knapp ausdrückt:
… aber leider ertönt in dieser eisigen Wüste kein Hosianna. Wie und auf welche Weise dieser Tag, u. überhaupt das Weihnachtsfest hier gefeiert wurde, halte ich nicht für werth in mein Tagebuch einzutragen, wird mir aber mein Leben lang im Andenken bleiben. … konnte aber die ganze Nacht wenig schlafen, wegen dem Lärm u. Specktackel, was von einigen, die zuviel und starck getruncken, die ganze Nacht hindurch verursacht wurde.

Seemänner beim Feiern - Zeichnung von Georg Cruikshank
Seemänner beim Feiern – Zeichnung von Georg Cruikshank

Auch ein Jahr später hat das arktische Eis die „Investigator“ noch im Griff. Seit September 1851 ist das Schiff in der Mercy Bay, im Norden von Banks Island, eingefroren. Miertsching ist inzwischen arg vom Heimweh geplagt und hängt Erinnerungen an die Feiern in der Brüdergemeine der Herrnhuter nach, und so ist das Fest an Bord wiederum eine Enttäuschung für ihn:
… Wir haben wieder ein fröhliches Weihnachtsfest gefeiert; aber welche Fröhlichkeit herrschte hier? Keine solche, wo sich ein wahrer Christ mitfreuen könnte; wenn das in England überall so gefeiert wird wie hier und auf andern Schiffen von Engländern, so sollte man doch dieses ein Freß- u. Sauffest nennen.“

Illustration in "Aboard Ship" von Charles Dickens
Hier wird der Grog im Eimer angerichtet –
zeitgenössische Illustration in „Aboard Ship“ von Charles Dickens

Die Hoffnung, die „Investigator“ im Sommer 1852 frei zu bekommen und zurück nach Europa zu segeln, sollte sich nicht erfüllen. Ein dritter Winter in der Arktis steht bevor, und diesmal ist nicht nur die Kälte, sonder auch der Hunger ein Feind. Die missliche Lage der im arktischen Eis gefangenen Männer hat sich durch den Mangel an Lebensmitteln, Heizmaterial und Kerzen deutlich verschärft. Kann das Weihnachtsfest etwas Licht in die Dunkelheit der Polarnacht bringen und den Hoffnungslosen wieder ein wenig Freude bereiten?
Miertsching, obwohl ihm die Sitten und Bräuche der englischen Matrosen noch immer nicht zusagen, springt nahezu über seinem Schatten; er schildert das Fest, das zu Weihnachten 1852 an Bord des Schiffes veranstaltet wird, diesmal fast ohne kritische Worte – und sogar mit etwas Anerkennung für die Bemühungen der Crew:

Plum Pudding, der traditionelle britische Weihnachtskuchen
Plum Pudding, der traditionelle britische Weihnachtskuchen

Heute ist das fröhliche Weihnachtsfest; – ist es auch für mich fröhlich? – ach es liegt nur an mir selbst daß es nicht so ist wie es sein sollte u. könnte. … Das Unterdeck, die Wohnung der Matrosen, war auf’s geschmackvollste ausgeziert mit Flaggen u. Bildern, – von den Matrosen selbst gemalte u. gezeichnete Scenen unsrer verschiedenen Positionen auf der Reise u. im Eis; u. Fahnen sowie geschriebene Dencksprüche in Reim zierten die Wände; – auf jedem der Tische stand ein großer plum pudding, einen Berg vorstellend, auf welchen die kleinen seidenen von den Matrosen selbst verfertigten engl. Flaggen und Kriegswimpel wehten. Der Proviantmeister hatte gewußt ein viertel Moschusochsen aufzubewahren, dasselbe wurde nun als echt englisches roast Beaf produciert, welches eine unverhoffte Freude und vielen Spaß verursachte. … Es war ein angenehmer vergnügter Tag für jeden auf dem Schiff.“

Schlitten verlassen die Investigator - Zeichnung von S.G. Cresswell
Schlitten verlassen die Investigator – Zeichnung von S.G. Cresswell

Und noch ein weiteres Weihnachtsfest müssen Miertsching und seine Gefährten in der Arktis verbringen. Die im Eis gefangene „Investigator“ hatten sie im Frühjahr 1853 aufgeben müssen, aber vor dem fast schon sicheren Tod auf einem Hungermarsch durch arktische Weiten wurden sie bewahrt: Eine andere britische Schiffsexpedition, die sich auf der Suche nach Franklin befand, konnte die Mannschaft retten und aufnehmen.

Wrack von HMS Investigator - Foto: Parks Canada
Das Wrack von HMS Investigator (1853 im Eis der Arktis verlassen und später gesunken) wurde 2010 wieder gefunden — Foto: Parks Canada

Doch auch die rettenden Schiffe, HMS Resolute und HMS Intrepid, werden vom Wintereis umklammert gehalten. Miertsching ist wie seine Kameraden froh, überlebt zu haben; er hat sich inzwischen an die fremden Weihnachtsbräuche gewöhnt und findet nun sogar durchweg freundliche, wenn auch knappe Worte:

Weihnachtsfeier auf britischem Kriegsschiff
Weihnachtsfeier auf britischem Kriegsschiff, Ende des 19. Jh.

Heute wurde das Heil. Christfest nach englischer Schiffsmanier mit Essen, Trincken u. Fröhligsein verbracht. Roast beef und plum pudding darf an diesen Tage nicht fehlen. Die Matrosen-Wohnungen in beiden Schiffen, waren sehr geschmackvoll mit Flaggen, Bildern und verschiedenen schön geschriebenen Motto’s ausgeziert.
Erst 1854 kann Miertsching das Weihnachtsfest endlich wieder in vertrauten Kreisen in seiner Familie und der Herrnhuter Brüdergemeine verbringen, nachdem er im Oktober 1854 zunächst nach England und von dort Ende November in die Oberlausitz zurückgekehrt war.

Herrnhuter Adventsstern
Herrnhuter Adventsstern

Nachtrag vom März 2022: Wir freuen uns sehr, dass unser Buch „Weil ich ein Inuk bin. Johann August Miertsching – ein Lebensbild“ im Sommer 2022 im Berliner Lukas Verlag erscheinen wird.

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What we found in The Pas …

… or Paskoyak, Basquiaw, The Paw, Opaskwayak

Reblogged from August 2018

Deutsche Version hier.

We had a tight schedule, a long way to go and not much time left, therefore we did not plan to visit the Sam Waller Museum in The Pas. But then, when we could not find Christ Church, which is an important historic building of the town, we still went into the museum to ask. Which meant that we stayed another 2 hours in that small town in Western Manitoba – and learned a lot more.

Christ Church on a rainy day
Christ Church in The Pas on a rainy day

For centuries, members of the Cree First Nation lived here, mainly hunting and fishing. What is known in Europe about this place began with the then 19 year-old Henry Kelsey, probably the first non-indigenous who travelled the area when scouting the country for fur trading opportunities with indigenous people for his employer, the Hudson’s Bay Company (HBC). He wintered here in 1690. Kelsey, who worked many years for the HBC, had learned several indigenous languages. The long time lost journal of his expedition was discovered in Ireland in 1926.

Memento for Henry Kelsey in The Pas
Memento for Henry Kelsey in The Pas

Half a century later, Montreal explorer Pierre Gaultier de La Verendrye and his sons explored much of the area which is now Manitoba. Here at the Saskatchewan River, they built the trading post Fort Paskoyak in 1743, but it operated only until the mid-1750s.

Detail of a map by Samuel Hearne
Detail of a map by Samuel Hearne

In 1774, the Hudson’s Bay Company sent Samuel Hearne, to establish their first inland trading post „at a site known as Basquia“ on the banks of the Saskatchewan River. Since Hearne found little suitable timber here, and because the local Cree people convinced him that there would be a more favourable place upstream, he finally built the post Cumberland House on Cumberland Lake. It lies – as the crow flies – only 60 km away from The Pas. On the Saskatchewan River, it might have meant about 100 km of rowing upriver. Today, although Cumberland House has road access now, from The Pas this is a 320 km drive one-way, mostly on a very rough gravel road. For us, this would have meant at least about 10 additional hours round trip by car … but, hopefully, we can visit this historically significant place next time?“

Sir John Richardson, painting by Stephen Pearce – © National Portrait Gallery, London
Sir John Richardson, painting by Stephen Pearce –
© National Portrait Gallery, London

Cumberland House was an important station for the Rae Richardson Expedition on their long way to learn about the fate of the lost Franklin Expedition – travelling overland to the Great Slave Lake, then on the Mackenzie River, finally tracing the coast between the Mackenzie and Coppermine rivers, as well as the shores of Victoria Island and the Wollaston Peninsula. To make sure that sufficient equipment and provisions were available for this long journey, an advance expedition, consisting of 20 skilled men and four big boats with additional supplies, left England already in 1847. Via Hudson Strait und Hudson Bay, these men reached Hudson’s Bay station Cumberland House, where they spent the winter.

John Rae, painting by Stephen Pearce – © National Portrait Gallery, London
John Rae, painting by Stephen Pearce –
© National Portrait Gallery, London

During that winter, when mainly fishing and cutting firewood, these men were probably not fully stretched – and here Sa-ka-cha-wes’cam („Going Up the Hill“) comes into the game, a young Cree, baptized and christened Henry Budd. He started as a farmer, but soon dedicated his life to the temporal and spiritual development of the indigenous community; he was ordained as the first indigenous priest of the Anglican Church in North America.

Budd-Memorial in the Church
Memorial for Sakachewescam aka Henry Budd in the Church

In 1840, Henry Budd, with his family, moved to Paskoyac, because he was sent to establish a mission station with the Cree people there. Soon numerous Cree children attended his school lessons. He also started a garden to improve food supplies for the community. In 1844, he was joined by the white Reverend James Hunter, who, however, received twice as much salary as Budd.

The Pas in a contemporary drawing
The Pas in a contemporary drawing

For the interior of the mission’s church, there was active help by the relief expedition of Rae and Richardson from the „neighboring“ Cumberland House. These skilled craftsmen, among them Robert McKie and James McLaren, built pews, railing, pulpit, baptismal font, prayer desk and tablets.

Interior of the Christ Church
Interior of the Christ Church

When we finally found the Christ Church in The Pas we were surprised to learn that this artful furniture from 1847 still adorns the church today, although now restored and in a renovated building. Here, for the first time we could see the 10 commandments printed in the syllabics of the Cree, in the translation of Sakachewescam alias Henry Budd. He has also translated hymns and parts of the Bible into Cree.

The 10 Commandments in Cree Syllabics
The 10 Commandments in Cree Syllabics

We were even more surprised when we learned that Rae and Richardson had been here themselves. Launched in March 1848 in Liverpool, they reached New York in April and shortly thereafter Montreal. A crew of Iroquois and Chippewa eventually brought them to Cumberland House. In the diary of the famous Canadian painter Paul Kane under the date June 12, 1848, the entry reads: „We arrived at the Paw (sic!) where my old friend, Mr. Hunter, … gave me a most hearty welcome … We met here Sir John Richardson and Dr. Rae, en route to Mackenzie River with two canoes in search of Sir John Franklin.“ No doubt, this must have been an interesting encounter!

"Brigade of Boats", Paul Kane - Courtesy of the Royal Ontario Museum, © ROM
„Brigade of Boats“, oil on canvas, 1849-1856; by Paul Kane (1810 Mallow, Ireland–1871 Toronto, Canada) – Courtesy of the Royal Ontario Museum, © ROM

It gets even better: Sir John Franklin himself, too, had a personal relationship with today’s The Pas. On the overland Expedition of 1819, he traveled on the Saskatchewan River and wintered in Cumberland House.

Map of Franklin's journey to Cumberland House
Map of Franklin’s journey to Cumberland House

He also came here on the way there and back on the expedition 1825-1827. He had seen the Cree settlement Opaskwayak already in 1819, and later he recommended to the Church Missionary Society (CMS) to establish a mission here – which ultimately led to the establishment of the „Devon Mission“ by Sakachewescam alias Henry Budd.

Sundial, sent by Lady Franklin – © Sam Waller Museum
Sundial, sent by Lady Franklin – © Sam Waller Museum

Franklin was impressed by this small „island of civilization“ in the wilderness, and his wife, Lady Jane Franklin, later sent a valuable gift to the Devon Mission (today’s Christ Church): a brass sundial. This sundial had its place in the small Devon Park in front of the church for a long time. But vandalism made it necessary to move it into the Museum — where it is now, safe and on permanent exhibit.

Commemorative plaque in the church
Commemorative plaque in the church
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Überraschungen in The Pas …

… auch Paskoyak, Basquiaw, The Paw oder Opaskwayak genannt

Reblogged vom August 2018

English version here.

Wir hatten einen festen Reiseplan, wenig Zeit und noch einen weiten Weg vor uns, und deshalb wollten wir das Sam Waller Museum in The Pas eigentlich gar nicht besuchen. Aber als wir partout die Christ Church, ein wichtiges historisches Gebäude im Ort, nicht finden konnten, fragten wir im Museum nach, was zur Folge hatte, dass wir noch zwei Stunden länger in dem kleinen Städtchen im Westen Manitobas blieben – und jede Menge dazulernten.

Die Christ Church von The Pas an einem Regentag
Die Christ Church von The Pas an einem Regentag

Seit Jahrhunderten lebten hier Angehörige der Cree First Nation, vorwiegend von Jagd und Fischfang. Die in Europa bekannte Geschichte des Ortes begann mit dem damals 19jährigen Henry Kelsey, einem Angestellten der Hudson’s Bay Company, der – vermutlich als erster Nicht-Indigener – die Gegend bereiste, um Möglichkeiten für den Pelzhandel mit den Ureinwohnern zu erkunden, und 1690 hier überwinterte. Kelsey arbeitete danach noch lange Zeit für die Company und lernte mehrere Sprachen der sogenannten „Indianer“ (das verloren geglaubte Tagebuch seiner Expedition fand sich 1926 in Irland).

 Erinnerung an Henry Kelsey in The Pas
Erinnerung an Henry Kelsey in The Pas

Ein halbes Jahrhundert später erkundete der Montrealer Forschungsreisende Pierre Gaultier de La Verendrye mit seinen Söhne die Regionen des heutigen Manitobas. Hier am Saskatchewan River gründeten sie 1743 den Handelsposten Fort Paskoyak, der aber schon Mitte der 1750er Jahre seinen Betrieb wieder einstellte.

Ausschnitt einer Karte von Samuel Hearne
Ausschnitt einer Karte von Samuel Hearne

1774 sandte die Hudson’s Bay Company Samuel Hearne aus, um „an einem Basquiaw genannten Platz am Ufer des Saskatchewan River“ ihren ersten Inlands-Handelsposten zu errichten. Da Hearne hier wenig Bauholz fand und die lokalen Cree ihn überzeugten, dass flussaufwärts an einem See ein günstiger Platz läge, gründete Hearne dort die Niederlassung Cumberland House. Sie liegt – in Luftlinie – nur 60 km entfernt von The Pas. Auf dem Saskatchewan River mögen es gut 100 km Ruderarbeit flussaufwärts bedeutet haben. Heute hat Cumberland House zwar eine Straßenanbindung, doch das sind von The Pas 320 km, großenteils grobe Schotterpiste. Es hätte (hin und zurück) mindestens 10 Stunden Autofahrt bedeutet … vielleicht können wir diesen geschichtsträchtigen Ort beim nächsten Mal besuchen?

Sir John Richardson, Gemälde von Stephen Pearce – © National Portrait Gallery, London
Sir John Richardson, Gemälde von Stephen Pearce –
© National Portrait Gallery, London

Cumberland House war eine wichtige Station der Rae-Richardson-Expedition zur Aufklärung des unbekannten Schicksals der Franklin-Expedition. Die beiden unternahmen eine Überland-Expedition zum Great Slave Lake, um anschließend zur Mündung des Mackenzie River vorzudringen und die Küste bis zum Coppermine River und das gegenüberliegende Land (Victoria-Island) abzusuchen. Damit für diese langwierige Reise ausreichend Ausrüstung und Proviant zur Verfügung stand, wurde schon 1847 eine Voraus-Expedition mit zwanzig fähigen Leuten und vier großen Booten vorausgeschickt, um Depots anzulegen. Über Hudson Strait und Hudson Bay kamen die Männer bis zur Hudson’s Bay Station Cumberland House, wo sie überwinterten.

John Rae, Gemälde von Stephen Pearce – © National Portrait Gallery, London
John Rae, Gemälde von Stephen Pearce –
© National Portrait Gallery, London

Fischen und Feuerholzbeschaffung hatten die Männer wohl nicht ganz ausgelastet – und hier kommt Sa-ka-chu-wes’cam („Der auf den Hügel geht“) ins Spiel, ein Cree, der zum Christentum bekehrt und auf den Namen Henry Budd getauft wurde. Zunächst als Farmer tätig, widmete er sich bald der weltlichen wie der geistlichen Bildung der indigenen Gemeinschaft; er war der erste ordinierte indigene Priester der Anglikanischen Kirche in Nordamerika.

Budd-Memorial in der Christ Church
Memorial für Budd in der Christ Church

1840 zog er mit seiner Familie nach Paskoyac, mit dem Auftrag, eine Missionsstation für die Cree aufzubauen. Zahlreiche Cree-Kinder besuchten seinen Schulunterricht, und er versuchte, die Versorgung mit Lebensmittel für die Gemeinschaft mit Gartenbau zu verbessern. Ab 1844 bekam er geistliche Unterstützung durch den weißen Reverend James Hunter, der allerdings ein doppelt so hohes Salär erhielt.

The Pas in einer historischen Darstellung
The Pas in einer historischen Darstellung

Für die Einrichtung der Kirche gab es tatkräftige Unterstützung von der Hilfsexpedition für Rae und Richardson aus dem „benachbarten“ Cumberland House. Diese fähigen Handwerker, darunter ausgebildete Tischler, bauten Kirchenbänke, Taufstein, Altargitter, Kanzel und Gebetspult.

Mobiliar in der Christ Church, angefertigt von Teilnehmern der Rae-Richardson-Expedition
Mobiliar in der Christ Church,
angefertigt von Teilnehmern der Rae-Richardson-Expedition

Wir staunten nicht schlecht, als wir die Christ Church in The Pas schließlich fanden und uns erklärt wurde, dass dieses kunstvolle Mobiliar auch heute noch die Kirche ziert, wenn auch inzwischen restauriert und in einem erneuerten Gebäude. Erstmals sahen wir hier die 10 Gebote gedruckt in der Silbenschrift der Cree – eine Übersetzung von Sakachewescam alias Henry Budd. Er hat auch Teile der Bibel sowie Kirchenlieder in Cree übertragen.

Die 10 Gebote in Cree-Syllabics
Die 10 Gebote in Cree-Syllabics

Noch größer war die Überraschung, als wir erfuhren, dass Rae und Richardson selbst hier waren. Im März 1848 in Liverpool losgesegelt, erreichten sie im April New York und kurz darauf Montreal. Eine Mannschaft von Irokesen und Chippewa brachte sie schließlich nach Cumberland House – über The Pas!
Im Tagebuch des berühmten kanadischen Malers Paul Kane findet sich unter dem Datum 12. Juni 1848 der Eintrag: „Wir erreichten The Paw (sic!), wo mein alter Freund Mr. Hunter … mir ein herzliches Willkommen bot. … Wir trafen Sir John Richardson and Dr. Rae, mit zwei Kanus auf dem Weg zum Mackenzie auf der Suche nach Sir John Franklin.“ Das war damals zweifellos ein interessantes Zusammentreffen!

"Brigade of Boats", Paul Kane - Courtesy of the Royal Ontario Museum, © ROM
„Brigade of Boats“, oil on canvas, 1849-1856; by Paul Kane (1810 Mallow, Ireland–1871 Toronto, Canada) – Courtesy of the Royal Ontario Museum, © ROM

Es wird noch besser: Auch Sir John Franklin selbst hatte eine persönliche Beziehung zum heutigen The Pas. Auf der Überland-Expedition von 1819 reiste er auf dem Saskatchewan River und überwinterte in Cumberland House.

Franklins Route nach Cumberland House
Franklins Route nach Cumberland House

Auch bei der Expedition 1825-1827 kam er auf Hin- und Rückweg hier entlang. Schon 1819 hatte er die Cree-Siedlung Opaskwayak gesehen und empfahl der Church Missionary Society (CMS), hier eine Mission zu errichten – was letztlich zur Gründung der „Devon Mission“ durch Sakachewescam alias Henry Budd führte.

Die von Lady Franklin übersandte Sonnenuhr – © Sam Waller Museum
Die von Lady Franklin übersandte Sonnenuhr – © Sam Waller Museum

Beeindruckt von dieser „Insel der Zivilisation in der Wildnis“, veranlasste er, dass Lady Jane Franklin später der Devon Mission – heute „Christ Church“ – ein wertvolles Geschenk übersandte: eine Sonnenuhr aus Messing. Diese Sonnenuhr hatte lange ihren Platz im kleinen Devon Park vor der Kirche, bis Vandalismus ihr so zusetzte, dass sie nun einen sicheren Platz im Sam-Waller-Museum von The Pas gefunden hat.

Erinnerungstafel an Franklins Geschenk
Erinnerungstafel an Franklins Geschenk
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Jack London – Abenteurer, Seemann, Schriftsteller

Verfasst zum 100. Todestag des Autors / reblogged zum 103. Todestag

Dawson City an einem sonnigen Tag im September. Nach einigem Umherirren haben wir es endlich gefunden: das Jack London Museum. Ich schließe gerade den Truck-Camper ab, als „Das gibt es doch nicht, was macht Ihr denn hier?“ ertönt. Im Museumsgarten steht ein ehemaliger Kollege mit Familie, den ich seit Jahren nicht gesehen hatte. Welch ein Zufall! Sie waren auf dem Chilkoot Trail den Spuren der Goldsucher gefolgt. Und jetzt führt uns Jack London hier in Dawson City zusammen.

Jack Londons Hütte im Yukon
Jack Londons Hütte im Yukon

Es fällt nicht schwer, die Geschichten Jack Londons zu mögen. Sie enthalten alles, was gute Bücher ausmachen: Abenteuer, Spannung, sie sind leicht lesbar ohne trivial zu sein – und das auch noch mit einem Abstand von mehr als 100 Jahren. Dass wir heute manche Dinge anders beurteilen als Jack London zu seiner Zeit, ist durch den Lauf der tragischen Geschichte des 20. Jahrhunderts erklärbar.

Porträt Jack London– Foto: Library of Congress
Porträt Jack London– Foto: Library of Congress

Sein 100. Todestag am 22.11.2016 war Anlass, wieder einmal einige seiner Bücher in die Hand zu nehmen und zu lesen.

Ein Reclam-Bändchen für 50 Pfennige
Ein Reclam-Bändchen für 50 Pfennige

Wenn ich mich richtig erinnere, war mein erster Jack London ein dünnes Reclam-Heft, das vor 50 Jahren nur 50 Pfennige kostete – „Der Mexikaner Felipe Rivera – Wer schlug zuerst?“ Fasziniert war ich auch von der Geschichte des Einschlag-Glendons, eines jungen Boxers aus „Der Ruhm des Kämpfers“, der seine Gegner mit einem gewaltigen Schlag matt setzte. Für einen Grundschüler, der selber einige Monate zum Boxtraining gegangen war, eine schwer vorstellbare und irgendwie irritierende Geschichte.

“Ex Libris Jack London“
“Ex Libris Jack London“

Glücklicherweise besaß mein Vater einige Bände der Werkausgabe der Büchergilde Gutenberg in der Übersetzung von Erwin Magnus, die von 1928–1934 erschienen waren.

Jack Londons Werke – Ausgabe der Büchergilde Gutenberg

Die hellblauen Leinenbände mit den vergoldeten Rücken und ihrem dem Inhalt angepassten Buchschmuck waren durch häufigen Gebrauch schon etwas verschlissen.

Ein Hobo – Foto: Library of Congress

„Die Abenteuer des Schienenstranges“ – über Jack Londons Erlebnisse als vagabundierender Hobo – habe ich mit einigem Abstand immer wieder einmal gelesen, wie auch sein Pendant von dem anderen Jack, Kerouacs „On the road“. Das Buch hatte ich Mitte der 1970er in einer Taschenausgabe in Budapest erstanden. Noch heute gönne ich mir gelegentlich einen Hellen Wiener á la Jack London – erfunden während dessen anarchistischen Streifzügen mit der Armee General Kellys durch Amerika:
„Und wir lebten großartig. Wir begnügten uns nicht einmal damit, uns unsern Kaffee mit Wasser zu kochen, sondern bereiteten ihn mit Milch, und das wunderbare Getränk nannten wir hellen Wiener.“

Das Tal des Klondike River
Das Tal des Klondike River

Es sollte aber einige Jahrzehnte dauern, bis ich den Ort erreichte, wo Jack London zum Schriftsteller wurde – am Klondike River im kanadischen Yukon, zu Zeiten des Goldrausches. Seine vielleicht bekanntesten Werke sind „Ruf der Wildnis“, „Wolfsblut“ und mein persönlicher Favorit „Die Liebe zum Leben“.

Jack London, "Die Liebe zum Leben"
Jack London, „Die Liebe zum Leben“ in einem Insel-Bändchen

In Dawson City, einem Ort, der zu Jack Londons Zeiten gerade erst entstand, erinnert ein kleines Museum an den später weltberühmt gewordenen Autor.

In Jack Londons Cabin
In Jack Londons Cabin

Das interessanteste Objekt ist die halb-originale, halb-rekonstruierte Hütte, in der Jack London während seiner Zeit im Yukon gelebt hatte. In der Wildnis wiederentdeckt hatte sie der Journalist Dick North, der sie abbaute und mit Hilfe des berühmten Gwich’in Joe Henry, dem eigentlichen Wegbahner des „Dempster Highways“ (der aus diesem Grunde besser seinen Namen, „Joe-Henry Highway“, führen sollte), nach Dawson brachte. Nachlesen kann man die spannende Geschichte in North’s Buch „Jack London’s Cabin“.

Jack London am Steuerrad
Jack London am Steuerrad

Ich liebe nicht nur seine Geschichten aus dem Norden, sondern auch die rund um die Seefahrt, wie „Der Seewolf“ quer durch den Pazifik, oder „The Cruise of the Snark“ nach Hawaii und weiter.

Die Londons in Waikiki, Hawaii
Die Londons in Waikiki, Hawaii

Jack London genoss das Leben mit vollen Zügen, er liebte und bereiste die Südsee, jedoch immer unter dem Druck, seinen – trotz der Erfolge als Autor noch zu kostspieligen – Lebensstil durch intensives Schreiben zu finanzieren.

Waikiki Beach heute
Waikiki Beach heute

Mit gerade einmal 40 Jahren ging sein Leben früh zu Ende. Die genaue Ursache des Todes konnte nie geklärt werden. Es ist erstaunlich, was für ein Werk er in den wenigen Jahren schaffen konnte! Der größte Teil davon entfaltet sein Wirkung bis heute, auch noch 100 Jahre nach seinem Ableben.

Links das einzige bekannte Foto, das Jack Londons im Yukon zeigt
Links: das einzige bekannte Foto, das Jack Londons im Yukon zeigt
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Johannes Trojan in Kanada

Gedanken zum Todestag des Schriftstellers am 21.11.1915

reblogged vom 21.11.2015

Johannes Trojan (links) und Dichterfreund Heinrich Seidel
Johannes Trojan (links) und Dichterfreund Heinrich Seidel

Wenn man wie ich in Warnemünde aufgewachsen ist, wird man gelegentlich mit der deutschen Literaturgeschichte konfrontiert. Mein Weg zur Fritz-Reuter-Schule führte mich durch die Trojanstrasse und die Fritz-Reuter-Straße. Den Rückweg ging ich oft gemeinsam mit Schulfreunden durch die John-Brinckman-Straße und folgte dann der Dänischen Straße in die Wossidlostraße. Weiter zur Ostsee hin gibt es dann noch die Schillerstraße und die Heinrich-Heine-Straße. John Brinckman, dessen Vorname sich „Joon“ spricht, war genauso wie Richard Wossidlo und Fritz Reuter waschechter Mecklenburger, während Schiller und Heine weniger mit der Küste zu tun hatten. Auch zwei Dichter aus Sachsen, Joachim Ringelnatz und Kurt Barthel (KuBa), deren Werk kaum gegensätzlicher hätte sein können, fühlten sich zu Warnemünde hingezogen.

Straßenschilder in Warnemünde
Straßenschilder in Warnemünde

Ein weiterer Dichter im Kreis der Warnemünde besonders verbundenen Literaten war Johannes Trojan, der am 14.8.1837 in Danzig geboren wurde und am 21.11.1915 in Rostock gestorben ist. Trojan hat eine Weile in dem Warnemünder Haus in der Parkstrasse 9 gewohnt, in dem ich meine Jugend verbracht habe. Ich muss allerdings gestehen, dass von Trojans Geist im Haus nichts mehr zu spüren war. Vielleicht liegt das auch daran, dass er nach Aussage seines Biografen Friedrich Mülder nur wenige Wochen in der damaligen Diedrichshäger Chaussee Nr. 9 gewohnt hatte und dann wegen nicht akzeptabler Forderungen seines Vermieters noch einmal einige Häuser weiter gezogen war.

Parkstraße 9 in Warnemünde
Parkstraße 9 in Warnemünde

Trojan, zu seiner Zeit ein bekannter Mann, ist heute zu Unrecht vergessen. Deshalb soll hier an eines seiner weniger bekannten Bücher erinnert werden, das eine ungemein interessante und unterhaltsame Lektüre ist: Auf der anderen Seite: Streifzüge am Ontario-See. Das Buch ist 1902 erschienen und erzählt von einer Reise nach Kanada. Trojan reiste mit seiner Frau, um seine Tochter und deren junge Familie in Toronto zu besuchen, was vor über 100 Jahren noch immer ein echtes Abenteuer war. Das Ganze muss man natürlich selber lesen, leider ist das Buch aber nur noch in guten Bibliotheken oder antiquarisch zu finden. Deshalb hier für alle Trojan- und Kanada-Freunde einige kurze Auszüge zum „Appetit machen“!

Mit dem Schiff „Großer Kurfürst“ reiste Trojan nach Amerika
Mit dem Schiff „Großer Kurfürst“ reiste Trojan nach Amerika

“Gleich hinter Buffalo, das am Erie-See liegt, kommt man nach Canada hinein und verläßt in gewissem Sinne Amerika. Denn die Bewohner Canadas dulden es nicht, daß sie Amerikaner genannt werden; Amerikaner sind für sie die Bewohner der Vereinigten Staaten, die Yankees, die sie hochschätzen, ohne daß sie den Wunsch hegen, mit ihnen verwechselt zu werden. Sie wollen nichts anderes sein und nicht anders genannt werden als Canadier.“

Das Alte Rathaus in Toronto
Das Alte Rathaus in Toronto stand auch damals schon

„Von dem Seeufer, das ihre Basis bildet, breitet sich die Stadt, durch deren Gebiet ein kleiner in den See mündender Fluß, der Don River, strömt, weit nach Osten, Westen und Norden hin aus. Es ist schade, daß Toronto keine Straße am See besitzt; die ganze Wasserseite nehmen, wie auch in Montreal, Hafenanlagen und Fabriken ein.“

Toronto Waterfront
Toronto heute – Am Ufer des Ontariosees

„Im Hafen von Toronto lag der kleine Fracht- und Personendampfer »Persia«, gerüstet zur Fahrt über den Ontariosee und dann weiter den Lorenzstrom hinunter nach Montreal. … Noch am Vormittag legten wir bei Kingston an, das da liegt, wo der Lorenzstrom als Ausfluß der fünf großen Seen beginnt. Am 10. Mai 1841 kam Dickens auf seiner ersten amerikanischen Reise … auch von Toronto her nach Kingston, das er ein sehr armes Städtchen nennt, noch ärmer, als es schon war, durch eine Feuersbrunst geworden, die darin gewütet hatte.“

Die St. George's Cathedral in Kingston, Ontario
Die St. George’s Cathedral in Kingston, Ontario

„Auf der Straße [in Montreal] hatte sich ein Mann mit einem photographischen Projektionsapparat postiert und warf auf die Mauer eines Gebäudes unablässig Bilder, deren jedes auf eine Reklame für eines der Geschäfte der Stadt hinauslief. Eine derartige Reklame war mir noch nicht vorgekommen.“

Blick auf Montreal
Blick auf Montreal

„Als ich dann drüben war, stand mein ganzes Verlangen nach dem nördlichen Waldgebiet. Ich beredete meinen Schwiegersohn dazu, mich auf einer Fußwanderung dorthin zu begleiten. Weshalb er anfangs für die Sache nicht sehr eingenommen war, ist mir später klar geworden. Wir wurden nämlich beide dieser Unternehmung wegen für verrückt gehalten.“

Muskoka
Muskoka im Herbst

„Nun, daraus darf man sich nichts machen, wenn man etwas lernen und seinen Anschauungskreis erweitern will. …Wir nahmen so wenig Gepäck wie möglich mit, ich mußte aber doch auf meine Umhängetasche eine Pflanzenpresse mit einigem Vorrat an Preßpapier aufschnallen, denn ohne das hatte ich keine Aussicht, etwas an botanischer Ausbeute heimzubringen.“

See bei Peterborough, Ontario

„Ich war noch ziemlich klein, als ich schon aus dem »Pfennigmagazin für Kinder« wußte, daß Niagara »donnerndes Wasser« bedeutet, daß ich aber selbst einmal zu diesem donnernden Wasser kommen würde, habe ich bis vor wenigen Jahren nicht für möglich gehalten. So habe ich eines der größten Weltwunder zu sehen bekommen und kann nun in einer Berliner Gesellschaft … sehr wohl … fragen: »Waren Sie auch schon einmal am Niagara?« Nein doch, das thue ich nicht. Denn erstens ist alles Renommieren mir verhaßt, und dann … erscheint man in einem solchen Fall viel glaubwürdiger … wenn man fragt: »Waren Sie auch schon einmal am Schwielowsee oder am Werbelinsee?“

Historische Ansichtskarte - Niagara Falls
Historische Ansichtskarte mit den Niagara Falls

Seit einiger Zeit gibt es übrigens von dem Rostocker Willi Passig eine neue Biografie über Johannes Trojan: „Von Danzig über Berlin nach Rostock„.

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Im Eisland: “Verschollen“ – Aus dem Buchregal

Graphic Novel von Kristina Gehrmann

Vor einer Woche fand eines von Kristina Gehrmanns neuen Büchern, “ The Jungle“ (deutsch“ Der Dschungel) nach Upton Sinclairs berühmten Roman, in einem Artikel der NEW York Times hohe Anerkennung Grund genug für uns, unsere Besprechung von ihrem Erfolgsbuch über das Schicksal der Franklin-Expedition mit den Schiffen Erebus und Terror noch einmal zu „rebloggen“.

Auf die Idee, eine Graphic Novel zu lesen (sagt man bei Graphic Novels eigentlich auch „lesen“?), und dann noch drei Bände, erschienen im Abstand von insgesamt 12 Monaten, wäre ich wohl nie gekommen – wenn es nicht DIESES Thema gewesen wäre!
Das Schicksal der gescheiterten Franklin-Expedition ist auch heute noch ein ungelöstes Rätsel, das für viele eine eigenartige Faszination erzeugt. Nur wenige Anhaltspunkte und Fundstücke liegen den Historikern vor, spärliche „Puzzleteile“, die sich auch beim besten Willen noch immer nicht zu einem schlüssigen Gesamtbild fügen. Sie werfen mehr Fragen auf, als sie Antworten geben. Viele Theorien, Spekulationen, Phantasien haben versucht, die Lücken aufzufüllen.
Nun liegt mit „Verschollen“ bereits der dritte Band von Kristina Gehrmanns Trilogie „Im Eisland“ auf dem Tisch. Ich konnte es kaum erwarten, ihn zu lesen: wie wird sie hier mit den vielen offenen Fragen umgehen?

Inuit berichten Hall von den Fremden – © 2016 Kristina Gehrmann, Hinstorff Verlag
Inuit berichten von den Fremden – © 2016 Kristina Gehrmann, Hinstorff Verlag

Band I beginnt mit einem Prolog, in dem Inuit ihre Erinnerungen an die fremden Reisenden schildern, oral history, damals, im Jahre 1869, aufgezeichnet vom Arktisforscher Hall. Die von den Inuit über mehrere Generationen bis in die Gegenwart weitergegeben Überlieferungen sind leider mehr als hundert Jahre lang nicht ernst genug genommen worden; wäre sonst vielleicht die Erforschung des Expeditionsverlaufes erfolgreicher gewesen?

Franklin-Expedition verlässt England – © 2016 Kristina Gehrmann, Hinstorff Verlag
Die Franklin-Expedition verlässt England – © 2016 Kristina Gehrmann, Hinstorff Verlag

Kapitel 1 des ersten Bandes führt uns ins Jahr 1845. Wir erleben den hoffnungsvollen Aufbruch der Expedition, die endlich die lang gesuchte Nordwestpassage – über die Arktis nach Asien – finden soll. Doch schon bald bremst der arktische Winter die Weiterfahrt… Den Verlauf der Expedition und die Geschehnisse will ich hier nicht weiter vorwegnehmen, lest selber!
Sehr einfallsreich hat die Autorin vermocht, aus teilweise nur dürftig vorhandenen Informationen, wie etwa den Mannschaftslisten, lebendige Charaktere zu schaffen. Vielleicht war es bei den Offizieren der Expedition etwas leichter – immerhin existieren Fotos/Daguerreotypien, manchmal andere Porträts und hier und da auch biografische Informationen, aus denen man wenigstens Hinweise für die bildliche Darstellung und für die Charakterzüge gewinnen kann. Wo die Protagonisten nur einfache Seemänner waren, war die Autorin hingegen völlig auf ihre eigene Vorstellungskraft angewiesen. In beiden Fällen sind die Ergebnisse bewundernswert.

Porträts von Sir John Franklin – rechts: © 2016 Kristina Gehrmann, Hinstorff Verlag
Porträts von Sir John Franklin – rechts: © 2016 Kristina Gehrmann, Hinstorff Verlag

Kristina Gehrmanns lebendige Bilder von den Geschehnissen des ersten Winters im Eis, vom Leben an Bord, mit Zeitvertreib, einigen Zwischenfällen, ernsten Konflikten – und auch dem ersten Toten – erzeugen Spannung und Mitgefühl; ich bekam Lust auf die Fortsetzung, musste aber noch einige Monate warten.
Im zweiten Band „Gefangen“ sind die Seefahrer mit der gnadenlosen Realität des arktischen Nordens konfrontiert. Die Eissituation durchkreuzt ihre Pläne und Vorhaben, Hunger und Kälte fordern ihren Tribut, die Situation wird immer ernster.
Es ist erstaunlich, wie hier die Geschehnisse mehrerer Jahre auf zwei verschiedenen Schiffen in kürzeren Szenen verdichtet werden. Einige Zeitsprünge sind dabei unumgänglich. Um die Vielzahl der agierenden Personen zu überschauen und zu unterscheiden, hilft in Band II und III eine Personentafel (jeweils am Beginn der Buches).

Es wird nichts ausgespart: Obduktion – © 2016 Kristina Gehrmann, Hinstorff Verlag
Es wird nichts ausgespart: Obduktion – © 2016 Kristina Gehrmann, Hinstorff Verlag

Kristina Gehrmanns Zeichenkunst macht nicht nur Atmosphäre an Bord der Expeditionsschiffe des 19. Jahrhunderts nach-erlebbar, sondern auch die menschlichen Beziehungen. Wie schon in den beiden ersten Teilen stellt sich die Autorin auch im Band 3 „Verschollen“ in bemerkenswerter Unerschrockenheit solchen Problemen, die in den meisten anderen Darstellungen der Franklin-Expedition gar nicht erst zur Sprache kommen. Die Vielzahl von Gefühlen, Beziehungen und Konflikten zwischen Menschen in einer Notgemeinschaft werden teilweise auch drastisch dargestellt – ob es um Depressionen, Missbrauch von Medikamenten, sexuelle Beziehungen unter Seeleuten oder schließlich um Kannibalismus geht – doch immer sind die Geschichten anrührend und nachvollziehbar, die Menschen zwischen Verzweiflung und Hoffnung irgendwie menschlich – wenn auch im ganzen Spektrum menschlicher Lebensäußerungen.

Aufbruch der Verzweifelten – © 2016 Kristina Gehrmann, Hinstorff Verlag
Aufbruch der Verzweifelten – © 2016 Kristina Gehrmann, Hinstorff Verlag

Kristina Gehrmann gelingt zudem in allen drei Bänden die Gratwanderung zwischen einer spannungsreichen Geschichte und historischer Genauigkeit, soweit die wenigen bekannten Fakten eine solche erlauben. Keine der fundierten historischen Tatsachen, der neuen Funde und Erkenntnisse wird vernachlässigt. Mit einem Kunstgriff – einer Debatte, die Beteiligte an Bord der Schiffe führen – diskutiert sie sogar neueste wissenschaftliche Korrekturen einer vormaligem Theorie zur Bleivergiftung bei den Seeleuten; und auch der Fund des Schiffswracks HMS Erebus im arktischen Ozean von 2014 bereichert den Ausgang des Buches.

„Im Eisland“ ist auch Sachbuch – © 2016 Kristina Gehrmann, Hinstorff Verlag
„Im Eisland“ ist auch Sachbuch – © 2016 Kristina Gehrmann, Hinstorff Verlag

„Im Eisland“ ist somit – neben aller Fiktion und Fantasie, aller spannenden Erzählung und lebendigen Zeichenkunst – gleichzeitig noch ein Sachbuch, das die derzeit verfügbaren historischen und geografischen Informationen zur Franklin-Expedition bildhaft, aber seriös zusammenfasst und sogar Ereignisse im Umfeld, etwa Episoden aus den Suchexpeditionen damals wie heute, mit einbringt. Sehr zu empfehlen!

Dieser Beitrag wurde erstmals im März 2016 veröffentlicht.

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„Der Stille Fluss Kamtschatka“ – Aus dem Buchregal

reblogged vom April 2016

Ullrich Wannhoffs Buch über eine ungewöhnliche Flussfahrt

Sein Freund Viktor hatte ihn in Petropawlowsk 3-fach gewarnt: vor dem Hochwasser, das die Ufer unzugänglich macht, vor den Mücken, die ihn zur Umkehr zwingen würden, und vor den Braunbären, die für Alleinreisende gefährlicher sind als für Gruppen. Der Maler, Naturfreund und -forscher Ullrich Wannhoff trat dennoch seine 400 km lange Paddeltour an: auf dem Fluss Kamtschatka bis zum Stillen Ozean. Er war ja kein Neuling mehr und hatte die Halbinsel im Fernen Osten Russlands schon viele Male bereist. Allerdings noch nie mit einem Kajak auf dem Fluss! Diese Fahrt hat er nun in einem neuen Buch voller Reminiszenzen über Natur, Geschichte und seine Paddelei beschrieben.

“Rostiges Ufer“ – © Ullrich Wannhoff
“Rostiges Ufer“ – © Ullrich Wannhoff

Mit Zelt und Rucksack, einem aufblasbaren Kajak und – angesichts der Warnungen – bemerkenswert viel gutem Mut trat er seine einsame Reise an. Die Bären mussten ihn wohl ausreichend in Ruhe gelassen haben, denn er kam heil zurück, und wer unseren Blog verfolgt, hat vielleicht hier oder hier schon über einige seiner Erlebnisse und Impressionen auf dem Kamtschatka-Fluss gelesen.

Jede Menge Mücken, auch im Zelt – Foto: © Ullrich Wannhoff
Jede Menge Mücken, auch im Zelt – Foto: © Ullrich Wannhoff

Welche Probleme ihm die Mücken bereiteten, kann man vielleicht ahnen – oder man liest es besser nach: Kürzlich erschien Ullrich Wannhoffs Buch „Der stille Fluss Kamtschatka“. Hier geht es jedoch um wesentlich mehr als um Mücken …

Der stille Fluss Kamtschatka
Buch „Der stille Fluss Kamtschatka“

Ullrich Wannhoff nimmt uns mit auf einen breiten und ruhig dahinfliessenden Fluss. Seine Art des Reisens in der einzigartigen Flusslandschaft zwischen den Vulkangebirgen Kamtschatkas ermöglicht ihm reichlich Gelegenheit zur Naturbeobachtungen, und er hat Zeit zum Nachdenken und Verarbeiten.

Möwe – © Ullrich Wannhoff
Aus dem Skizzenbuch: Möwe – © Ullrich Wannhoff

Wir erfahren nicht nur, was Ullrich Wannhoff sieht und erlebt, sondern auch so einiges von dem, was ihm durch den Kopf geht. Der belesene, historisch und naturwissenschaftlich interessierte Künstler kennt auch die Berichte der Reisenden und Forscher, die bereits vor Jahrhunderten an diesen fernen Orten unterwegs waren. Historischer Hintergrund, Beobachtungen über die gegenwärtigen Verhältnisse im Kontrast zum Leben während der Sowjetzeit und im zaristischen Russland fließen in den Text ein, ebenso wie sein Dialog mit der Natur, Landschaftsimpressionen und Gedanken über Kunst.

Vulkangebirge zwischen Himmel und Fluss – © Ullrich Wannhoff
Pastellskizze: Vulkangebirge zwischen Himmel und Fluss – © Ullrich Wannhoff

Lassen wir Ullrich Wannhof selbst zu Wort kommen, wenn er sich über sein Buch äußert:
Georg Forster schreibt an seinen Verleger Spener: ‚dass der Mensch keine angeborne Ideen habe, sein Gedächtnis materiel sey, dass das ganze der Vernunft auf den erhaltenen sinnlichen Eindrücke beruhe…‘. Dies entspricht ganz meiner Weise, meine Beobachtungen aus dem Materiellen in sinnliche Konstruktionen zu verwandeln, also in Malerei oder in Worte.

Aus dem Skizzenbuch – © Ullrich Wannhoff
Aus dem Skizzenbuch – © Ullrich Wannhoff

Ich bin sehr gerne allein und fröne meiner „Menschenallergie“, aber treffe ich auf Menschen, bleiben meine Beobachtungen nicht unberührt. Das Spagat zwischen Natur und Gesellschaft – wie weit kann und darf Natur (Evolution) in die Gesellschaft hineinfließen oder umgekehrt – bleibt immer wie eine Schere, die sich nicht schließt. Das reißt Gedanken auf, die wir von Georg Forster her gut kennen.

Vulkan – © Ullrich Wannhoff
“Blick in den weißen Krater“ – © Ullrich Wannhoff

Der Versuch, ein einheitliches „Gebäude“ zu formulieren, bleibt Fragment. Auch dieses Buch ist eine Collage von vielem, wo Naturwissenschaft und Kunst im Streit liegen – und wohl noch nie so weit auseinander lagen, wie in der heutigen, spezialisierten Zeit. Das Vorhaben, dies zu kitten, bleibt ein hilfloser, romantischer Versuch, mehr nicht…

Collage – © Ullrich Wannhoff
Collage mit Teebeutel „Kreis im Quadrat“ – © Ullrich Wannhoff

Es wird klar, dass Ullrich Wannhoffs Buch kein herkömmliches Abenteuerbuch ist – trotz der so abenteuerlich anmutenden Unternehmung – sondern ein Versuch, ganz Verschiedenartiges zusammenzubringen: das unmittelbare Erleben, die Kunst, Reflexionen über Naturwissenschaft und Geschichte: es ist zu großen Teilen ein Gedanken-Buch.

Trittsiegel von Bär und Mensch – Foto: © Ullrich Wannhoff
Trittsiegel von Bär und Mensch – Foto: © Ullrich Wannhoff

Doch auch der Alltag des Paddlers im fremden Land kommt nicht zu kurz, mit seinen schönen Seiten wie auch seinen Problemen. Wir können seine Freude miterleben, wenn er Vögel beobachtet; er lässt uns an seinen Begegnungen mit den Bewohnern Kamtschatkas teilnehmen; plastisch schildert er die vergebliche Suche nach einem Platz zum Kampieren am überfluteten Ufer oder seine mühseligen Bestrebungen, die Batterien für seine Kamera aufzuladen. Es ist höchst interessant, was er unternimmt, um von den Bären ungeschoren zu bleiben. Und was mit seinen beiden Kameras im Verlauf der Reise geschieht, das verraten wir hier nicht. Nachlesen!!!

P. S. Ullrich Wannhoff paddelte auch in Deutschland, z.B. auf Spree und Peene, nochmals auf der Spree und dem Dämeritzsee, sowie in Kanada – als Eremit auf dem Second Christopher Lake und in verschiedenen Meeresbuchten; und er hatte dort am Saisonende im Herbst einen ganzen Provinzpark für sich allein.

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Bären auf Kamtschatka Teil II – Jagd gestern und heute

Reblogged vom November 2016

Schwarze Bären … hat man auf ganz Kamtschatka in unbeschreiblicher Menge, und sieht man solche Heerdenweise auf denen Feldern umher schweifen. Im Frühjahr kommen sie haufenweise von den Quellen der Flüsse aus denen Gebürgen, wohin sie sich in Herbste der Nahrung wegen begeben, um daselbst zu überwintern.“ Solche Sätze und mehr finden wir bei Georg Wilhelm Steller, der 1739-1746 auf Kamtschatka war.
Die Itelmenen – eines der indigenen Völker auf Kamtschatka – erlegten die Bären mit Speeren, nachdem sie Fallgruben ausgehoben und mit einer Grasdecke überzogen hatten. Im Winter suchten sie die Bären in ihren Höhlen auf, wohin diese sich zur Winterruhe zurückzogen (Bären senken ihren Blutkreislauf auf ein Minimum). Die Itelmenen stießen mit Speeren durch die Erdhöhle.

Aufgespannte Bärenfelle – Foto: © Ullrich Wannhoff
Aufgespannte Bärenfelle, mit Salz eingerieben – Foto: © Ullrich Wannhoff

Bären haben ausgetretene Pfade, die sie immer wieder benutzen, und dort werden Schlingen aufgestellt. Eine Fangmethode, die bis noch heute üblich ist. In einer Jagdhütte fand ich den Schädel eines so gefangenen Bären. Die Zähne waren stark abgenutzt, als der Bär sich von der Metallschlinge befreien wollte – ein hoffnungsloses Unterfangen.
Steller schreibt weiter: „Sie kommen an die Mündung derer Flüsse, stehen an den Ufern, fangen Fische und werfen sie nach dem Ufer und fressen sie zu der Zeit, wenn die Fische im Überflusse sind, nach Art der Hunde, nicht mehr von ihnen als den Kopf.“ Eine Beobachtung, die auch ich bei Raubtieren machte: oft bleibt das Fleisch liegen, und es fehlen die Köpfe.

Stellers Buch über Kamtschatka
Stellers Buch über Kamtschatka

Die nachfolgenden Expeditionen und Großwildjäger im 19. und Anfang des zwanzigsten Jahrhundert berichten von ähnlichen Erlebnissen, wie Steller sie beschrieb.
Der einzige Zar, der Kamtschatka aufsuchte, war Alexander III., der die Reformen seinen Vaters und die Einführung westeuropäische Rechtsstaatlichkeit wieder rückgängig machte. Er liebte die Jagd und den Fischfang. So hielt er sich 1882 zur Bärenjagd in Kamtschatka auf und veranlasste, in Süden der Halbinsel eine Schutzzone einzurichten, die bis heute erhalten blieb.

Braunbaer-Mama mit Nachwuchs
In den Naturparks von Kamtschatka, wie hier am Kurilensee, sind die Bären geschützt – Foto: © Ullrich Wannhoff

Viele wissenschaftliche Expeditionen erlegten Braunbären für europäische Museen. Unter anderem Sten Bergman, der Kamtschatka 1922 während der Interventionskriege aufsuchte.
Der schwedischen Zoologe schreibt: „Der alte Jäger [ein fünfzigjähriger Kamtschadal-Russe] hatte innerhalb einiger Augenblicke sechs Bären zur Strecke gebracht … Er aber zog ruhig sein Wetzstein hervor und begann sein Messer zu schärfen, während wir übrigen uns versammelten, um das Schlachtfeld zu besehen, über das der Nebel vom Meer hereinzuziehen begann.“

Aus meinem Skizzenblock 2016  –  © Ullrich Wannhoff
Aus meinem Skizzenblock 2016 – © Ullrich Wannhoff

Das reichhaltige Nahrungsangebot der großen Bären machte sie früher wie heute zu einem der beliebtesten Jagdobjekte für Trophäenjäger. Ihre geringe Distanz zum Menschen und ihr friedliches Leben trug dazu bei. Zuerst wurden die stärksten Bären zu Opfern. Die scheueren und kleineren Bären überlebten. Über die Zeit werden die Gene der großen Bären verschwinden, und zurück bleibt eine Art Bär in mittlerer Größe. Ähnlich ist es bei unserem Rotwild, bei dem die stärksten und größten Tiere vor dreihundert Jahren von Adligen und Fürsten abgeschossen wurden. Übrig blieb heute eine kleinere, sehr scheue Rothirschart.

Aus Niediecks Buch „Kreuzfahrten im Beringmeer“
Aus Niediecks Buch „Kreuzfahrten im Beringmeer“

Der Großwildjäger Paul Niedieck schreibt über „Mein stärkster Bär“ „ … so dass ich mich plötzlich nur noch wenige Schritte von dem schlafenden Bär befand, der grunzende Töne von sich stieß, die der Ausdruck des Behagens oder auch Schnarchern gewesen sein mögen. Ich ging nun etwas zur Seite, an eine Stelle, von der aus ich besser schießen konnte, und ließ meine Kugel fahren.“ Das war im Juni 1906 nördlich von Petropavlovsk, wo er mit Helfern und einem Boot mehrere Buchten abfuhren. Im Sommer war das Land in Kamtschatka schwer begehbar.

Paul Niedieck: "Unsere Strecke an Bären und Schafen“
Paul Niedieck: „Unsere Strecke an Bären und Schafen“

Einen Bären in Kamtschatka zu erschießen ist in etwa, als würde ich bei uns eine weidende, friedliche Kuh erschießen. Mit Jagen hat das sehr wenig zu tun!!!
Niedieck brachte aus Kamtschatka und Alaska eine sehr beachtliche Sammlung für das Berliner Naturkundemuseum mit.

Paul Niedieck mit erlegtem Bären

Nach der Wende wurde der Bär stark bejagt – wegen der Galle, die illegal nach China ausgeführt wird. Für etwa 300 Bären pro Jahr werden Jagd-Lizensen ausgegeben, laut mündlicher Aussage. Wie weit illegal gejagt wird – keine Ahnung. Einige Jäger, wie Sergey Gorshkov, wurden zu Fotojägern, die sich heute für den Schutz und Erhalt der Tiere einsetzen.

Zum Thema „Bären auf Kamtschatka“ kann man auch meinen Beitrag „Bären in Kamtschatka – Menschen hinterm Weidezaun“ lesen.

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Bären in Kamtschatka – Teil I: Menschen hinterm Weidezaun

Bärenbeobachtung – Am Kurilensee in Kamtschatka

Reblogged vom Oktober 2016

Ein bewaffneter Parkranger holt uns an der Hängebrücke am Fluss Osernaya ab. Unser Gepäck mit gesamter Küche liegt im Aluboot und die Fahrt geht zum Kurilensee. Wir laufen einen 12 Kilometer langen Weg durch ein Flusstal.

Fels aus hellem Tuff – Foto: © Ullrich Wannhoff
Fels aus hellem Tuff steht im Grünen – Foto: © Ullrich Wannhoff

Majestätisch erheben sich links von uns weiße Felswände aus hellen Tuffgestein, eingebettet in Grün. Nach einem reichlich drei Stunden langen Marsch entlang des Flusses Osernaja kommen wir am sonnigen Nachmittag ans Ziel.

Fluss Osernaja mit dem Vulkan Illjynski – Foto: © Ullrich Wannhoff
Fluss Osernaja mit dem Vulkan Illjynski – Foto: © Ullrich Wannhoff

Der Blick, der sich auf den See öffnet, bietet ein fast langweiliges „Postkarten“-Wetter mit blauem Himmel; die brennende Sonne wirft violette Schatten. Am gegenüberliegenden Seeufer begrüßt uns ein alter, roter (weil Eisenoxid enthaltender) Vulkankegel, der Illjynski mit einer Höhe von 1577 m. Das Panorama wird durch einen Elektrozaun zerschnitten. Es ist ein Kuhweidezaun, wie wir ihn bei uns zu Hause kennen. Nur dass wir die Kühe sind – und die Bären frei herumlaufen.

Unsere verschiedenen Unterkünfte – Foto: © Ullrich Wannhoff
Unsere verschiedenen Unterkünfte – Foto: © Ullrich Wannhoff

In dem eingezäunten Grundstück sieht es aus wie bei uns: Wasserklosett, fabelhaft eingerichtete Küchen und Aufenthaltsräume für die ankommenden Gruppen. Unterkünfte in großen Zelten oder in modernen Holzhäusern.

Verbots- und Gebotsschilder – Foto © Ullrich Wannhoff
Verbots- und Gebotsschilder – Foto: © Ullrich Wannhoff

Am Elektrozaun beginnt die Inszenierung. sie erinnert mich an Theaterstücke von Goldoni, wo die Szenerie wie eine Guckkastenbühne aufgebaut ist. Der offene und einsehbare Uferstreifen – zweihundert Meter davon sind frisch gemäht. Dahinter beginnen die Weidenwälder, gemischt mit Steinbirken und Hochstauden, die die hohen Berghänge bedecken.

Bärenmutter mit vier Jungen – Foto: © Ullrich Wannhoff
Bärenmutter mit vier Jungen – Foto: © Ullrich Wannhoff

Eine Bärin mit vier Jungen kommt aus dem Weidengebüsch am Ufer und läuft von links nach rechts. Die Jungen sind in diesem Jahr geboren. Wieder von links nach rechts kommt noch eine Bärin mit zwei großen Jungen, die eventuell noch in diesem Jahr von der Mutter verlassen werden. Dann kommt ein Junggeselle auf die Bühne – schon von der Mutter entwöhnt. Er läuft von rechts nach links und ist ängstlicher als die anderen Bären.

Landebrücke – Foto: © Ullrich Wannhoff
Landebrücke – Foto: © Ullrich Wannhoff

Am offenen Uferstreifen befindet sich die Anlegestelle für die Boote, die uns zu den Flussmündungen am See fahren, wo die Bären fischen. Aber vorher werden die beiden Elektrodrähte entkoppelt und dann wieder eingehängt und angeschlossen.

Bärenmutter mit Jungem im Gehen – Foto: © Ullrich Wannhoff
Bärenmutter mit Jungem im Gehen – Foto: © Ullrich Wannhoff

Mit dem Boot fahren wir recht dicht an den fischenden Bären vorbei, die uns keines Blickes würdigen, weil die Lachse viel wichtiger sind. Wie war das bei Brecht? „Zuerst das Fressen und dann die Moral“. Die Braunbären haben sich über die Jahrzehnte an uns Menschen gewöhnt.

Hütte der Ranger – Foto: © Ullrich Wannhoff
Hütte der Ranger – Foto: © Ullrich Wannhoff

Am Ufer werden wir vom Bootsführer mit dem Ranger entlassen und stehen nun am Waldesrand und beobachten die Bären auf den Sandbänken mit den vom Fluss vorgeschobenen weichen Sedimenten. Hier sind die Laichplätze der Lachse (Nerka = Blaurückenlachs). Ein großer alter kampferprobter Bär ist „Platzhirsch“.

Baer kuehlt sich ab - Foto: © Ullrich Wannhoff
„Platzhirsch“ Bär kühlt sich im Wasser des Kurilensees – Foto: © Ullrich Wannhoff

Läuft er über die Sandbänke, verschwinden alle Bären im Gebüsch. Verlässt er diesen Platz, kommen die jüngeren Bären zögerlich aus den Hochstauden.

Blickt zu seinen Artgenossen – Foto: © Ullrich Wannhoff
Blickt zu seinen Artgenossen – Foto: © Ullrich Wannhoff

Dabei gibt es unter den kleineren Bären wieder eine Rangordnung. Ein recht junger Bär fischt erfolgreich einen Lachs und muss auf der Hut sein, schnell zu fressen, bevor Neider kommen. Den letzten Rest des Lachses verzehrt er im Wegrennen.

Junger Bär holt sich ein Lachs – Foto: © Ullrich Wannhoff
Junger Bär holt sich ein Lachs – Foto: © Ullrich Wannhoff

Unser großer Bär läuft in fast fünfzehn Meter Abstand an uns vorbei. Der Ranger hat schon den Schraubverschluss der Leuchtpatrone an der Hand. Das Gewehr ist noch über der Schulter. Wir halten den Atem an. Angst habe ich keine, aber mächtigen Respekt!

Keine zwei Meter von uns „grast“ der Bär – Foto: © Ullrich Wannhoff
Keine zwei Meter von uns „grast“ der Bär – Foto: © Ullrich Wannhoff

Auf den Uferstreifen, der auf einer Länge etwa dreihundert Meter auf jeder Seite einsehbar ist, zähle ich etwa zwanzig Braunbären. Nach zwei Stunden werden wir mit dem Boot wieder abgeholt zur „Kuhweide“.

Dreijähriger Bär auf der Sandbank – Foto: © Ullrich Wannhoff
Dreijähriger Bär auf der Sandbank – Foto: © Ullrich Wannhoff

Auch wenn das alles ein wenig an „Zoofotografie“ erinnert, bleibt es doch ein schönes Erlebnis. Die Bärenmutter mit den vier Jungen hat sich so an unsere kleine Siedlung gewöhnt, dass sie ihre Jungen dicht am Elektrozaun säugt. Unter den Menschen ist sie sicherer, als in der freien Wildnis, wo ihr männliche Bären nachstellen.

Friedlich und ohne Hast läuft die Bärenmutter an uns vorbei – Foto: © Ullrich Wannhoff
Friedlich und ohne Hast läuft die Bärenmutter an uns vorbei – Foto: © Ullrich Wannhoff

An einem Tag zähle ich fünf ankommende Hubschrauber, aus denen „Busladungen“ von Menschen aussteigen.

Hubschrauber fliegen fast täglich ein und aus, je nach Wetter – Foto: © Ullrich Wannhoff
Hubschrauber fliegen fast täglich ein und aus, je nach Wetter – Foto: © Ullrich Wannhoff

Jedem sei es vergönnt, seinen Bären zu fotografieren – so wie ich es mit großer Freude tat.

Ein kalter Nebel über den Kurilensee löst sich langsam auf – Foto: © Ullrich Wannhoff
Ein kalter Nebel über den Kurilensee löst sich langsam auf – Foto: © Ullrich Wannhoff

Fortsetzung dieses Beitrages: „Bären auf Kamtschatka Teil II – Jagd gestern und heute

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Seume kam nicht nach Karelien

1000 Seen, Nordenskiöld und die Leningrad Cowboys

Reblogged vom Mai 2017

Vor einiger Zeit erhielt ich die Nachricht oder in neu-deutsch einen Newsletter über die geplante Eröffnung des neuen Hossa Nationalparks, der ungefähr in der Mitte Finnlands – rund 200 Kilometer von Oulu entfernt – an der Grenze zu Russland liegt.

Hossa Nationalpark – Foto: © Visit Finland
Kristallklares Wasser im Hossa Nationalpark – Foto: © Visit Finland

Mit Oulu ist meine erste Wahrnehmung von Finnland verbunden, lange bevor ich von dem Wunderläufer Paavo Nurmi, von Jean Sibelius oder von der finnischen Sauna gehört hatte.

Eila Hiltunens Skulptur von Jean Sibelius
Eila Hiltunens Skulptur von Jean Sibelius, dem Schöpfer der „Finlandia“

Von einer Schiffsreise nach Oulu hatte mir meine Mutter ein Puukko als Andenken mitgebracht, einen traditionellen „Finnendolch“, der noch heute, Jahrzehnte später, im Bücherregal neben Büchern der finnischen Autoren Juhani Aho und Martti Larni liegt. Ahos Roman „Schweres Blut“, übrigens von Aki Kaurismäki – dem Regisseur der Filme über die schräge finnische Rockband „Leningrad Cowboys“ – als Stummfilm meisterhaft verfilmt, spielt in Karelien, genau der Landschaft, in der sich auch der Hossa Nationalpark befindet.

Puukko
Mein Puukko, ein Geschenk meiner Mutter

Einer der ersten deutschen Autoren, der Finnland und seine wechselvollen Landschaften bereist hat, war Johann Gottfried Seume, der in seinem „Mein Sommer 1805“ berichtet: „Von da [Borgo, heute Porvoo] bis Helsingfors [Helsinki] ward es mir unerträglich heiß; weit heißer, als es mir um den Aetna und in der Lombardey geworden ist.“

Rathaus in Porvoo  – Foto: kallerna
Das Rathaus in Porvoo stand schon zu Seumes Zeiten – Foto: kallerna

Das war im Hochsommer, wenn selbst im Süden Finnlands die Sonne kaum untergeht. An anderer Stelle schreibt er „Finnland ist eine ungeheure Granitschicht, zwischen welcher sich hier und da schöne fruchtbare bebaute Niederungen hinziehen.“ Die sprichwörtlichen tausend Seen erwähnt er nicht; denn er hatte wohl zu wenig vom Land gesehen.

Dom in Helsinki
Entstand erst nach Seumes Besuch: Dom in Helsinki

Von Helsinki war ihm nur erwähnenswert, dass der Postmeister deutsch sprach und „ein sehr gutes Haus hält“. Die heutige Hauptstadt war damals allerdings nur ein kleines Nest, das kurz danach im Russisch-Schwedischen Krieg von 1808 fast vollständig zerstört wurde.

Uspenski-Kathdrale in Helsinki
Die Uspenski-Kathdrale in Helsinki entstand in der Zeit der russischen Herrschaft

Was uns heute am Stadtbild von Helsinki gefällt, entstand entweder unter russischer Herrschaft oder erst nach der Unabhängigkeit Finnlands im Jahr 1917. Nach der schwedischen bzw. russischen Vorherrschaft endete das jahrhundertelange Gezerre um Finnland endgültig erst nach dem zweiten Weltkrieg.

Das maritime Helsinki
Das maritime Helsinki

Der Südhafen von Helsinki liegt direkt im Zentrum und bietet freien Blick auf eine weite Bucht und Werftanlagen, wo mächtige Eisbrecher liegen, die daran erinnern, dass Finnland – obwohl es keinen direkten Zugang zum Polarmeer hat – an der Ostsee fast bis an den Polarkreis reicht.

Adolf Erik Nordenskiöld
Adolf Erik Nordenskiöld, aus einem Gemälde von Georg von Rosen, 1886

Es ist also nicht verwunderlich, dass sich auch Finnen an der Entdeckung und Erschließung der Arktis beteiligt haben. Der in Helsinki geborene finnisch-schwedische Polarforscher Adolf Erik Nordenskiöld ist der bekannteste von ihnen. Unter seiner Führung gelang es dem schwedischen Expeditionsschiff Vega, 1878/79 erstmalig die Nordost-Passage von Europa entlang der Nordküste Sibiriens bis nach Asien zu befahren. Im Anschluss umrundete er noch ganz Asien, durchfuhr den Suez-Kanal und kehrte nach Stockholm zurück. Seinen Ruhm teilen sich nun Finnland und Schweden brüderlich.

Finnische Briefmarke
In Finnland wie in Schweden wird Nordenskiöld geehrt
Schwedische Briefmarke

Etwas bescheidenere Entdeckungstouren bieten heute viele finnische Wandergebiete und Nationalparks an, wie neuerdings der von Hossa.

Kajaktouren im Hossa Nationalpark – Foto: © Visit Finland
Spektakuläre Kajaktour durch den Hossa Nationalpark – Foto: © Visit Finland

Wer sich dort mit Kanu oder Kajak auf den Weg macht, wird zwar nicht wie seinerzeit Nordenskiöld auf Eisbären stoßen, sondern „bestenfalls“ auf den fast genauso großen Braunbären, der als Finnlands mythisches Nationaltier gilt. Vorsicht und Umsicht sind also auch in der finnischen Wildnis geboten.

Hossa Nationalpark  – Foto: © Visit Finland
Naturparadies mit freiem Eintritt – der Hossa Nationalpark – Foto: © Visit Finland

Herzlichen Dank an Visit Finland für die Anregung zu diesem Blog!

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Unterwegs am Rand der Welt: Haida Gwaii

Geneviève Susemihls Buch „Bären, Lachse, Totempfähle“

Reblogged vom Januar 2017

Wir hatten Haida Gwaii (bis 2010 bekannt unter dem kolonialen Namen Queen Charlotte Islands) vor einigen Jahren selbst besucht – darum waren wir auf dieses Buch besonders gespannt. Nicht nur ihre einmalige Natur – Stichwort: nördlichster Regenwald der Erde mit den größten Schwarzbären weltweit – sondern auch die faszinierende Kultur der Haida – Stichwort: Totempfähle und Potlatch – macht diese seit über 12.000 Jahren bewohnten Inseln so interessant.

Bären, Lachse, Totempfähle – das Buch von  Geneviève Susemihl
Bären, Lachse, Totempfähle – das Buch von Geneviève Susemihl

Die Autorin versteht es, ihre unmittelbaren Reiseeindrücke und -erlebnisse mit profunder Sachkenntnis zu verbinden. Mit ihrer lebendigen Erzählweise nimmt sie den Leser mit auf ihren Weg – vom Abschied von ihrer Familie in Mecklenburg, auf ihren Flug und zunächst zur Zwischenstation in Vancouver. Hier lernt man nicht nur ihre Freunde vor Ort kennen, sondern besucht mit ihr auch Bibliothek und Museen und betrachtet zeitgenössische Skulpturen. Dabei erfährt man schon eine Menge über die traditionelle Gesellschaft der Haida, mit den beiden Abstammungslinien „Eagle“ und Raven“ und den höchst komplexen Gesellschaftsstrukturen mit Clans, Chiefs und matrilinearer Erbfolge – und auch, was die berühmten totem poles zu erzählen haben.

Skulptur Frog Constellation von James Hart – Foto: © Geneviève Susemihl
Frog Constellation (James Hart) – Foto: © Geneviève Susemihl

Dass nicht immer alle Pläne aufgehen, weiß jeder, der sich auf Fernreisen abseits der ausgetretenen Pfade begibt. Das Wetter, die Jahreszeit und andere Gegebenheiten vor Ort machen auch der Autorin zu schaffen, als sie Haida Gwaii erreicht. Man kann förmlich mit ihr mitfiebern, ob sie ihre Ziele, wie etwa den Gwaii Hanaas Nationalpark, erreichen wird – und man kann sich mit ihr über ganz außergewöhnliche Begegnungen freuen.

Im aufgegebenen Dorf Skedans - Baum umarmt umgestürzten Totempfahl – Foto: © Geneviève Susemihl
Im aufgegebenen Dorf Skedans – Baum umarmt umgestürzten Totempfahl –
Foto: © Geneviève Susemihl

Geneviève Susemihl nimmt uns mit auf ihre Spurensuche auf den weitläufigen Inseln, auch an Orte, zu denen keine Straßen führen. Dieses Buch wird den Naturliebhaber erfreuen, denn er findet darin, was üblicherweise bei Reiseberichten viel zu kurz kommt – fast alles über Tier- und Pflanzenwelt der Insel und des umgebenden Meeres, und selbst die geographischen und geologischen Eigenheiten des abgelegensten Archipels Nordamerikas am Rand der Kontinentalplatte werden vorgestellt. Wer beispielsweise schon immer wissen wollte, wie wichtig die Kelpwälder im Ozean sind, bekommt diese Information hier so ganz nebenbei, wenn während einer spannenden Bootsfahrt über die putzigen Seeotter berichtet wird, die einst wegen ihrer Pelze schonungslos gejagt und dabei fast ausgerottet wurden.

Im nördlichen Regenwald: mächtige Zeder – Foto: © Geneviève Susemihl
Im nördlichen Regenwald: mächtige Zeder – Foto: © Geneviève Susemihl

Auf ihren Spaziergängen beobachtet die Autorin Raven, den Trickster; auf einer abenteuerlichen Wanderung ganz allein in der Wildnis wird uns Taan, den Herr des Waldes, vorgestellt – Gelegenheiten, uns die Mythologie der Haida wie auch aktuelle Konflikte nahezubringen. Hierzu gehören die umstrittene Trophäenjagd wie auch die skrupellose Abholzung des Regenwaldes mit ihren Folgen für Waldgesundheit und Lachsflüsse, sowie der Kampf der Haida um Schutzgebiete, um nachhaltigen Umgang mit den Ressourcen des Landes und um ihre Teilhabe und Selbstbestimmung.

Zweisprachiges Strassenschild im Haida-Dorf Skidegate – Foto: © Geneviève Susemihl
Zweisprachiges Strassenschild im Haida-Dorf Skidegate –
Foto: © Geneviève Susemihl

In einer gelungenen Kombination von Geschichtswissen und eigener Anschauung macht das Buch deutlich, wie die Kultur der Haida der Kolonisierung getrotzt, in vielen Teilen überlebt hat und eine Erneuerung erfährt.
Viele Farbfotos, eine Übersichtskarte, praktische Reisehinweise sowie eine Liste mit weiterführender Literatur ergänzen das handliche, 284 Seiten starke Buch. Eine absolute Empfehlung für alle, die sich für die landschaftlich und kulturell so reizvolle Region an der Pazifikküste Kanadas und für die First Nations damals wie heute interessieren.

Kunstgalerie und Totempfahl im Haida-Dorf Old Massett – Foto: © Geneviève Susemihl
Kunstgalerie und Totempfahl im Haida-Dorf Old Massett –
Foto: © Geneviève Susemihl

Das Buch „Bären, Lachse, Totempfähle“ von Geneviève Susemihl ist 2016 erschienen bei: traveldiary Verlag / 360° medien mettmann.

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Von Mecklenburg nach Patagonien und Feuerland

Gunther Plüschow und Ernst Dreblow – fast am Ende der Welt

reblogged vom April 2016

Das „Ende der Welt“ ist eine Ortsbezeichnung, aber auch eine Zeitangabe. Üblicherweise denkt man an weit entfernte und schwer erreichbare Sehnsuchtsorte wie Tasmanien, Feuerland, Kamtschatka oder den Nordpol – obwohl gerade der letztere kein Ort, sondern nur eine Fiktion ist. Und Pessimisten und Verschwörungstheoretiker spekulieren über ein anderes „Ende der Welt“ – ihren nicht allzu fernen Untergang.

Grandiose Bergwelt – Cuernos del Paine
Grandiose Bergwelt – Cuernos del Paine

Für zwei deutsche Flugpioniere aus dem ersten Drittel des 20. Jahrhunderts waren diese beiden „Enden der Welt“ auf tragische Weise miteinander verbunden: den in München geborenen Mecklenburger Gunther Plüschow und den Rand-Berliner Ernst Dreblow. Plüschow, ein Flugpionier im 1. Weltkrieg, war besonders durch die Flucht mit seiner Taube aus der umzingelten deutschen Kolonie Tsingtau in China bekannt geworden.

Gunther Plüschow
Gunther Plüschow
Gunther Plüschow  und Ernst Dreblow
Gunther Plüschow und Ernst Dreblow

Dreblow arbeitete nach dem Krieg in den Berliner Askania-Werken, einem der seinerzeit führenden Unternehmen der Mess-, Navigations- und Kameratechnik. Die Kombination beider Talente und Erfahrungen machte aus ihnen ein erfolgreiches Team in der Geschichte des frühen kommerziellen Flugwesens. Von Plüschow stammte die Idee, sich als Flieger am weitgehend unerschlossenen „Ende der Welt“ Südamerikas – in Patagonien und Feuerland – zu versuchen. Dreblow, ein exzellenter Techniker, war für ihn der ideale Partner.

Wolkiger Tag in der Magellanstraße
Wolkiger Tag in der Magellanstraße

Ende November 1927 brach Plüschow mit dem speziell für ihn gefertigten Kutter Feuerland nach Südamerika auf. Gleichzeitig begleitete Dreblow den Transport eines zerlegten Flugzeuges der Warnemünder Heinkel-Werke auf einem Dampfer nach dem chilenischen Punta Arenas an der Magellanstraße.

Der Kutter Feuerland
Der Kutter Feuerland

Hier bauten sie den Doppeldecker Tsingtau zusammen. Es begann eine schwierige und auch gefährliche Erforschung der Eis- und Bergwelten Patagoniens und Feuerlands und der Kanäle, Seen und Wasserwege an diesem bis dahin nur wenig bekannten „Ende der welt“.

Das Flugzeug Tsingtau, eine Heinkel HD 24
Das Flugzeug Tsingtau, eine Heinkel HD 24

Antoine de Saint-Exupéry, weltberühmter Autor von „Der kleine Prinz“, war übrigens eine Art Pendant zu Plüschow: ein wagemutiger Pilot, erfolgreicher Schriftsteller selbst bis in den Tod.

Blick auf den schneebedeckten Monte Sarmiento
Blick auf den schneebedeckten Monte Sarmiento

Von den Ureinwohnern, die diese Insel- und Bergwelten seit Jahrhunderten bewohnt hatten, waren allerdings „dank“ der weißen Kolonisatoren damals leider nur noch wenige am Leben.

Die Ureinwohner vom Selknam-Volk – Foto: Alberto M. de Agostini
Die Ureinwohner vom Selknam-Volk – Foto: Alberto M. de Agostini

Die gewaltigen Gebirge, die zahlreichen Wasserstraßen, die schwer zugänglichen und weithin menschenleeren Gebiete mit ihren Naturschönheiten aus der Luft zu erkunden, war eine faszinierende Aufgabe für Plüschow und Dreblow. Ähnlich wie ein paar Jahre zuvor ihr Kollege Arthur Neumann, der mit dem Ziel „Nordpol“ über Spitzbergen flog, überquerten sie auch ausgedehnte Schneefelder und Gletscher.

Leuchttum Les Éclaireurs im Beagle-Kanal
Leuchttum Les Éclaireurs im Beagle-Kanal

Nach einem Zwischenaufenthalt in Deutschland, wo Plüschow sein Buch Silberkondor über Feuerland und einen mit Dreblow gedrehten Dokumentarfilm vorgestellt hatte, kehrte Plüschow im Dezember 1930 nach Patagonien zurück, um seine Erkundungsflüge fortzusetzen.

Die berühmten Torres del Paine
Die berühmten Torres del Paine

Nur wenige Wochen später stürzte ihr Flugzeug infolge eines Maschinenschadens über dem Lago Argentino ab. Plüschow und Dreblow konnten nur noch tot geborgen werden.

Gedenkstein für Plüschow und Dreblow
Gedenkstein für Plüschow und Dreblow

Heute erinnern Denkmale in der Nähe der Absturzstelle und nahe ihres Basislagers an die beiden enthusiastischen Flieger.

Pinguine im Beagle-Kanal
Pinguine im Beagle-Kanal

Noch immer aber sind Patagonien und Feuerland für Reisende eines der schönsten „Enden der Welt“ – mit grandiosen Landschaften, unberührter Natur und einer einmaligen Tierwelt.

Abenteuerliche Fahrt über eine schmale Brücke
Abenteuerliche Fahrt über eine schmale Brücke

An die ursprünglichen Bewohner von Feuerland erinnern heute aber nur noch eine Reihe von Bücher und Fotografien aus vergangener Zeit, einige wenige Filmaufnahmen – sowie eine Handvoll Denkmale oder Bildkunstwerke.

Kataix, gehörnter Wald-Geist der Selknam
Kataix, gehörnter Wald-Geist der Selknam
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Friedhof – ein russisch geflickter Mantel

Impressionen von der Bering-Insel

reblogged vom November 2017

Millionen Jahre brausen die Wellen gegen die Basaltriffe. Im Inneren der Insel liegen die Knochen der Seeleute, nicht länger als 276 Jahre. Die Knochen der anderen Lebewesen liegen tiefer vergraben, oder das Meer hat die Leichen und Kadaver am Ufer abgeräumt.
Unter dem maroden alten Schulgebäude liegt das Gräberfeld des 19. Jahrhunderts. In den Gehirnen der Funktionäre war kein Platz für Geschichte, obwohl es anderswo auf der Insel tausendmal Platz für die Schule gegeben hätte.

Unter dem Sowjetstern (das Vergangene) –  Foto © Ullrich Wannhoff
Unter dem Sowjetstern (das Vergangene) – Foto © Ullrich Wannhoff

An dem grünen Holzgebäude nagen Wind, Schnee, Frost und der häufige Regen. Die Indigenen sind an Zahl viel zu gering, sich dagegen aufzubäumen. Das Blut ist über die Generationen vermischt. Wer sagt: „Ich gehöre dazu“, der lügt. Nur ein empirisches Kleid schaut aus dem russischen Mantel heraus. Zu wenig für eine Identität. Die Sowjetzeit löschte die russischen Orthodoxen Kreuze aus. Der Sowjetstern sticht gegen den grauen Himmel empor. „Der erlöscht nie“, dachten die Führer der bolschewistischen Partei und betäubten das Volk mit wirtschaftlichen Großtaten, die heute in absurden Landschaften brach liegen.

Orthodoxe Kirche und Wohnhaus  –  Foto © Ullrich Wannhoff
Orthodoxe Kirche und Wohnhaus – Foto © Ullrich Wannhoff

Der heutige Friedhof liegt an einer Bergschräge, unauffällig hinter dem Dorf, vor den aufgegebenen Kartoffelfeldern. Weit dahinter beginnt die Tundra mit einer breiten Feuchtwiese, die von Bächen zerfurcht wird. Lachse laichen. Das kalte Schmelzwasser fließt durch den See, und am Ende des Dorfufers erreichen die jungen Lachse das ersehnte Meer.

Gräberfeld der Orthodoxen Kirche –  Foto © Ullrich Wannhoff
Gräberfeld der Orthodoxen Kirche – Foto © Ullrich Wannhoff

Orthodoxe Kreuze schmücken das überwachsene Gräberfeld. Das sowjetische Imperium hat sich verabschiedet. Die Sehnsucht nach dem alten russischen Mantel wird geflickt. Gogol erscheint als Gespenst des 19. Jahrhunderts. Wer kennt Gogol auf der Insel? – die düsteren Straßen von Petersburg, die windigen Ecken, wo das Elend der niederen Gesellschaft lebte? Der Geruch der Kanäle, der Dreck der Hinterhöfe, wo der Mensch die Ratten mitbrachte, während die Kuppeln und Dächer in Gold erglänzen?

Die neuen Grabsteine –  Foto © Ullrich Wannhoff
Die neuen Grabsteine – Foto © Ullrich Wannhoff

Verschämt werden rote Sowjetsterne ausgetauscht gegen orthodoxen Kreuze. „In unserer Verwandtschaft gab es keine Kommunisten“, so oder ähnlich kann man es interpretieren. Die Kirche ist ihnen fremd.

Ein neues Grab vom August 2017: Wladimir Fomin, Fischinspektor, der 
die Natur und die Insel liebte –  Foto © Ullrich Wannhoff
Ein neues Grab vom August 2017: Wladimir Fomin, Fischinspektor, der
die Natur und die Insel liebte – Foto © Ullrich Wannhoff

Der Ikonostas glitzert reich und neu. Wie ein unbekanntes Märchen einer fremden Welt steht das Bilderprogramm vor den Einwohnern. Wer schaut schon ins Wikipedia, um die Geschichte der russischen Orthodoxie zu verstehen? Nur das Gefühl sagt, ich gehöre dazu. Der Präsident weiß das zu nutzen.

Ausschnitt vom Ikonostas –  Foto © Ullrich Wannhoff
Ausschnitt vom Ikonostas – Foto © Ullrich Wannhoff
Lachspakete werden verfrachtet –  Foto © Ullrich Wannhoff
Lachspakete werden verfrachtet – Foto © Ullrich Wannhoff

Der Pfarrer steht mit seinem leeren Kinderwagen allein an der Pier und schaut melancholisch in die Weite. Zuvor transportierte er eine Kiste, die im Dampfer verstaut wurde. Dreißig Tonnen Lachse werden von den Fischern verfrachtet. Keiner kümmert sich um ihn. Der Dialog mit Gott findet in seinem schwarzen Mantel statt, und keiner sieht es.

Gott im Gespräch mit dem Kinderwagen –  Foto © Ullrich Wannhoff
Gott im Gespräch mit dem Kinderwagen – Foto © Ullrich Wannhoff
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